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Karl Sand
Es war am 22. März 1819 gegen neun Uhr des Morgens, als ein junger Mann von ungefähr 23 bis 24 Jahren in der Tracht der deutschen Studenten, bestehend aus einem kurzen Rock mit seidenen Schnüren, aus anliegenden Beinkleidern und kurzen Stiefeln, auf einer kleinen Anhöhe stehen blieb, ¾ des Wegs von Kaiserthal nach Mannheim, von deren Spitze man letztere Stadt erblickt, still und anmuthig sich erhebend in der Mitte von Gärten, welche ehemals Wälle waren und dieselben heutiges Tages wie ein Gürtel von Laub und Blumen umgeben und zusammendrängen. Dort angelangt nahm er seine Mütze ab, über deren Blende sich drei in Silber gestickte Eichenblätter ineinander schlangen, und entblößten Hauptes blieb er so eine Zeitlang, um die frische Luft zu genießen, welche ihm aus dem Neckarthale entgegenwehte.
Beim ersten Anblick machten seine regelmäßigen Züge einen eigenthümlichen Eindruck, aber bei der Blässe seines von den Blattern stark gefurchten Gesichts, bei, der unendlichen Sanftmuth seines Auges und bei dem netten Ansehn seines langen, wallenden schwarzen Haares, mit schönem Scheitel auf breiter hoher Stirn; fühlte man bald für ihn eines jener düsteren unerklärlichen Gefühle, dem man nachgibt, ohne selbst daran zu denken, ihm zu widerstehen.
Obgleich es noch zeitig war, schien er, doch schon einen ziemlich langen Weg zurückgelegt zu haben, denn seine Stiefel waren mit Staub bedeckt; er war aber ohne Zweifel dem Ziele seiner Bestimmung nahe, denn indem er seine Mütze fallen ließ und an seinen Gurt die lange Pfeife, eine unzertrennliche Begleiterin des deutschen Burschen, hing, zog er ein kleines Notizbuch aus seiner Tasche und schrieb darin mit Bleistift: »Früh um 5 Uhr von Kaiserthal abgereist, ¼ 10 Uhr vor Mannheim. Gott helfe mir!« Dann, nachdem er sein Büchlein in die Tasche gesteckt, blieb er einen Augenblick reglos, nur die Lippen bewegend, als wenn er ein innerliches Gebet verrichte, nahm dann seine Mütze wieder auf und setzte festen Fußes seine Reise nach Mannheim fort.
Dieser junge Student im war Karl Ludwig Sand, der von Jena auf dem Wege über Frankfurt und Darmstadt herkam, um Kotzebue zu ermorden.
Jetzt, wo wir eine jener schrecklichen Handlungen unsern Lesern vor Augen führen wollen, zu deren Würdigung es keinen andern wahren Richter gibt, als das Gewissen, mögen sie gestatten, daß wir sie völlig mit Dem bekannt machen, den die Könige als einen Mörder, die Richter als einen Fanatiker und die deutsche Jugend als einen Märtyrer angesehen haben.
Karl Ludwig Sand war geboren am 5. October 1795 zu Wunsiedel in Fichtelgebirge. Er war der jüngste Sohn von Gottfried Christoph Sand, erstem Präsidenten und Justizrath des Königs von Preußen, und von Dorothea Johanna Wilhelmine Schöpf, seiner Frau. Außer zwei älteren Brüdern, Georg, der den Stand eines Kaufmanns zu St. Gatten ergriffen, und Fritz, welcher Advocat war am Appellationsgerichte zu Berlin, hatte er noch eine ältere Schwester, Namens Caroline, und eine jüngere, Julie.
Noch in der Wiege war er von Blattern der schlimmsten Art befallen worden. Das Pockengifts hatte sich in seinem ganzen Körper verbreitet, seine Rippen blosgelegt und seine Hirnschale beinahe verzehrt. Mehrere Monate hindurch schwankte er zwischen Leben und Tod, endlich siegte das Leben; dennoch blieb er schwach und kränklich bis in sein siebentes Jahr, wo ihn eine Gehirnentzündung ergriff und sein Leben von Neuem in Gefahr brachte. Zum Ersatz übrigens schien diese Entzündung, als sie ihn verließ, alle Spuren seiner früheren Krankheit mit sich genommen zu haben.
Von dieser Zeit an schienen seine Gesundheit und seine Kräfte emporzublühen, aber während dieser beiden langwierigen Krankheiten war sein Unterricht zurückgeblieben und erst im Alter von acht Jahren konnte er seine ersten Studien beginnen. So hatte er, da die körperlichen Leiden die Entwickelung seiner geistigen Fähigkeiten verzögert, gleich Anfangs einen noch einmal so großen Fleiß nöthig, als die Andern, um zu demselben Resultate zu gelangen. Bei den Anstrengungen, welche noch als Kind der junge Sand machte, um die Fehler seiner Organisation zu überwinden, faßte der Professor Saalfrank, ein Mann von Kenntnissen und Auszeichnung, Rector des Hofer Gymnasiums, eine solche Hinneigung zu ihm, daß er, später zum Rector des Gymnasiums von Regensburg ernannt, sich nicht von seinem Zögling trennen konnte und ihn mit sich nahm. In dieser Stadt und im Alter von 11 Jahren gab er den ersten Beweis von seinem Muth und seiner Menschenfreundlichkeit. Eines Tages, als Jener mit seinem jungen Freunde spazieren ging, hörte er um Hilfe rufen; er lief dem Geschrei nach: ein kleiner Knabe von 8 bis 9 Jahren: war in einen Teich gefallen. Sogleich stürzte sich Sand, ohne auf seine schönen Festtagskleider zu achten, in’s Wasser und nach unerhörten Anstrengungen für ein Kind von seinem Alter zog er den eben Ertrinkenden an’s Land.
Im Alter von 12 oder 13 Jahren belustigte sich Sand, der gewandter, rascher und kühner als Viele, die älter waren als er, oft damit, den Knaben aus der Stadt und der Umgegend Treffen zu liefern. Der Schauplatz dieser Kinderkämpfe, ein schwaches unschuldiges Bild der großen Schlachten, welche damals Deutschland mit Blut überschwemmten, war gewöhnlich eine Ebene, die sich von der Stadt Wunsiedel bis an den Katharinenberg hinzieht, auf dessen Gipfel Ruinen sich befanden und unter diesen Ruinen ein vollkommen erhaltener Thurm. Sand, der zu den eifrigsten Kämpfern gehörte, sehend, daß seine Partei mehrmals geschlagen worden war wegen ihrer numerischen Schwäche, beschloß, um diesem Uebel abzuhelfen, den Katharinenthurm zu befestigen und sich in der nächsten Schlacht dahin zurückzuziehen, wenn das Schicksal ihm übel wollte, und theilte seinen Kameraden den den Vorschlag mit, welcher mit Begeisterung aufgenommen wurde. Demzufolge brachte man eine Woche damit zu, im Thurme alle möglichen Verttheidigungsmittel aufzuhäufen und die Thore und Treppen auszubessern. Diese Vorbereitungen waren so geheim getroffen worden, daß die feindliche Armee keine Kenntniß davon hatte.
Der Sonntag kam; die Feiertage waren die Schlachttage. Sei es nun aus Scham, daß sie das letzte Mal waren geschlagen worden, sei es ans irgend einer andern Ursache, die Partei, zu der Sand gehörte, fand steh noch schwächer als gewöhnlich ein. Gleichwol ihres Rückhalts sicher, nahm sie nichtsdestoweniger den Kampf an. Der Angriff dauerte nicht lange.«
Die eine der beiden Parteien war an Zahl zu gering, um lange widerstehen zu können; auch begann sie in der bestmöglichen Ordnung nach dem Katharinenthurm sich zurückzuziehen, wo sie auch ohne allzugroße Schwierigkeit anlangte. Dort angekommen, stiegen Einige sogleich auf die Terrassen und während die Andern sich am Fuß der Mauer vertheidigten, fingen sie an Steine auf die Sieger regnen zu lassen. Diese überrascht von dem neuen, zum ersten Mal gebrauchten Vertheidigungsmittel, wichen einige Schritte zurück; der übrige Theil benutzte diese Gelegenheit, um in die Festung sich zu ziehen und das Thor zu schließen. Das Erstaunen von Seiten der Belagerer war groß; sie hatten dieses Thor stets in unbrauchbaren Zustande gesehen, und jetzt stellte es ihnen einen Widerstand entgegen, der die Belagerten vor ihren Angriffen sicherte. Drei oder Vier entfernten sich um Werkzeuge zu holen, mit deren Hilfe sie es zertrümmern könnten; während dieser Zeit hielt der übrige Theil des feindlichen Heeres die Besatzung in Schach.
Nach einer halben Stunde kamen die Abgesandten nicht allein mit Hebebäumen und Hacken zurück, sie brachten auch seine beträchtliche Verstärkung, bestehend aus den jungen Leuten des Dorfes, wo sie die Belagerungswerkzeuge gefunden hatten. Jetzt begann der Sturm; Sand und seine Gefährten vertheidigten sich wie Verzweifelte, doch wurde es bald klar, daß die Besatzung wenn ihr keine Hilfe käme, gezwungen sein würde, zu capituliren. Man schlug vor zu losen, und einen der Belagerten abzusenden, welcher mit Hintansetzung der Gefahr aus dem Thurm sich entfernen, durch die feindliche Armee auf irgend eine Weise dringen und die übrigen jungen Leute von Wunsiedel, die feiger Weise zu Hause geblieben, herbeirufen sollte. Die Erzählung der Gefahr, in der sich ihre Kameraden befanden, die Schmach einer Uebergabe, welche auf sie zurückfiele, müßte offenbar ihre Trägheit besiegen, und sie bestimmen, einen Seitenangriff zu machen, welcher der Besatzung einen Ausfall erlauben könnte. Dieser Vorschlag ward angenommen; aber anstatt die Entscheidung dem Zufall zu überlassen, bot Sand zu dieser Sendung sich an. Da Jeder seinen Muth, seine Geschicklichkeit und seine Geschwindigkeit kannte, so wurde das Anerbieten mit allgemeiner Zustimmung angenommen und der neue Decius bereitete sich, seine Aufopferung zu vollenden. Die Sache war nicht ohne Gefahr; es gab nur zwei Mittel zur Entfernung: eines durch das Thor, und man fiel offenbar in die Hände der Feinde, das andere durch einen Sprung von der Höhe einer Terrasse hinunter, die zu hoch war, als daß die Belagerer daran gedacht hätten, sie zu bewachen. Sand ging, ohne einen Augenblick zu schwanken, auf die Terrasse; dort verrichtete er, stets religiös, selbst in seinen Kindervergnügungen, ein kurzes Gebet, dann sprang er ohne Furcht, ohne Zögern, mit einer fast himmlischen Zuversicht,