Александр Дюма

Karl Sand


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Feinde ihre besten Läufer hinter ihm drein gesandt. Hierauf faßten die Belagerten, als sie den Erfolg ihres Unternehmens sahen, Muth und vereinigten ihre Anstrengungen gegen die Belagerer, indem sie Alles von der Beredtsamkeit Sands, dem dieselbe eine große Gewalt über seine jungen Gefährten verlieh, erwarteten. In der That sah man ihn nach einer halben Stunde an der Spitze von etwa 30 Kindern seines Alters, mit Schleudern und Armbrüsten bewaffnet, wieder erscheinen. Die Belagerer, auf dem Punkte, von vorn und von hinten angegriffen zu werden, bemerkten den Nachtheil ihrer Stellung und zogen sich zurück. Der Sieg verblieb der Partei Sands; was ihn selbst betrifft, hatte er alle Ehre des Tages.

      Wir haben diese Anekdote im Einzelnen erzählt, um unsern Lesern durch den Charakter des Kindes begreiflich zu machen, wie später der des Mannes sich gestalten würde. Uebrigens werden wir ihn stets ruhig überlegend in seiner Entwickelung sehen, inmitten der kleinen wie der großen Ereignisse. – Um dieselbe Zeit entging Sand zwei Gefahren auf eine wunderbare Weise. Eines Tages fiel ein Gipskübel von einem Gerüst und zerbrach vor seinen Füßen. An einem andern Tage überraschte der Prinz von Coburg, der, während der König von Preußen in dem Alexandersbade sich befand, bei Sands Eltern wohnte, mit 4 Pferden im Galopp zurückkehrend, den jungen Karl unter einem großen Thore; es gab kein Mittel zur Flucht, weder rechts noch links, ohne Gefahr zu laufen, zwischen der Mauer und den Rädern zermalmt zu werden; der Kutscher, fortgerissen, konnte sein Gespann nicht zurückhalten; Sand warf sich platt auf den Boden und der Wagen ging über seinen Leib weg, ohne daß weder die Pferde noch die Räder ihm nur einen einzigen Ritz verursacht hätten. – Von diesem Augenblick an sahen ihn Viele als einen Auserwählten an und sagten, daß Gottes Hand über ihm schwebe.

      Indeß entwickelten sich die politischen Ereignisse in der Nähe des Kindes, das ihre Gewichtigkeit vor der Zeit zum Jüngling machte. Napoleon lastete auf Deutschland wie ein zweiter Sanherib. Staps hatte die Rolle von Mucius Scävola spielen wollen und war als Märtyrer gestorben.

      Sand war damals zu Hof und besuchte das Gymnasium seines guten Professors Sealfran. Er erfuhr, daß Der, welchen er als Antichrist betrachtete, eine Heerschau abhalten wollte in dieser Stadt: er verließ sie sogleich und ging zu seinen Eltern zurück. Diese fragten ihn, weshalb er das Gymnasium verlassen habe: »Weil,« erwiderte er, »ich mich nicht in derselben Stadt mit Napoleon befinden konnte ohne zu versuchen ihn zu tödten, und weil ich meine Hand dazu noch nicht für sicher genug halte.«

      Das geschah 1809: Sand war 14 Jahre alt. Der Friede, am 15. October unterzeichnet, gewährte Deutschland einige Erholung und erlaubte dem jungen Fanatiker seine Studien wieder zu ergreifen, ohne durch seine politischen Vorurtheile abgezogen zu werden: er war damit noch 1811 beschäftigt, als er vernahm, das Gymnasium sei aufgelöst und durch eines Primärschule ersetzt. Der Rector Saalfrank blieb als Professor an dieselbe gebunden; aber anstatt 1000 Gulden, die ihm seine alte Stelle einbrachte betrug die neue nicht mehr als 500; Karl konnte nicht mehr in einer Primärschule bleiben, wo er seine Erziehung nicht hätte fortsetzen können; er schrieb an seine Mutter, um ihr dieses Ereigniß anzuzeigen und ihr zu sagen, mit welchem Gleichmuth es der alte deutsche Philosoph ertragen. Hier folgt die Antwort von Sands Mutter: sie wird genügen, um diese Frau kennen zu lernen, deren starke Seele sich nie inmitten der heftigsten Kümmernisse verleugnete; dieser Antwort ist der deutsches Mysticismus ausgeprägt, von dem wir in Frankreich keine Vorstellung haben.

      »Lieber Karl!

      »Leider hättest Du mir keine Nachricht geben können, die mich mehr erschüttert hätte, als das kränkende Loos, welches Deinem verehrungswürdigen Lehrer und Pflegevater zu Theil geworden sein soll. Dein würdiger Mentor wird es hinnehmen, um auch in dem Fall der gekränkten und gedrückten Tugend seinen Zöglingen und seinen Zeitgenossen ein gutes Beispiel als ein folgsamer Unterthan des Königs zu geben, welchem ihn Gott unterworfen hat. Aber er wird mit Haaren auf den Zähnen auftreten und eine Kraftsprache sprechen, die der gleißnerische und in den kühnsten Künsten der Falschheit eingeweihte und darin Meisier gewordene Schurke nicht kennt, weil jene nur allein aus dem Bewußtsein eines ganz reinen Herzens und der frohen, ungetheilten Ueberzeugung, seine Pflichten nach Kräften erfüllt zu haben, entspringen kann. – Merke Dir, liebes Kind, daß es keine richtig berechnete Politik gibt, als die Ausübung der alten Regel: fürchte Gott, thue recht und scheue Niemand.

      »Und merke Dir auch, daß da, wo gegen Rechtschaffene Unrecht laut und schreiend wird, eine allgemeine Stimme sich erhebt, und schon diese die Abänderung der Sache herbeiführt.

      »Sollte aber wider Erwarten der Fall eintreten, daß Gott der hohen Tugend unsers beiderseitigen Freundes diese äußerst seltene Prüfung auflegt, daß sie sich an ihm ganz zum Schuldner macht, so hat sie auch für diesen Fall außerordentliche Entschädigungen. Alles, was auf und um uns wirkt, sind Maschinen, die eine höhere Hand auf uns wirken läßt, um unsere Erziehung für eine bessere Welt (in der wir erst unseren rechten Platz einnehmen) zu vollenden. Bestrebe Dich daher, liebes Kind, immer und ununterbrochen auf Dich Acht zu haben, damit Du nicht einzelne große, gute Handlungen für Tugend hältst, sondern jede Minute Das zu wirken und zu leisten suchst, was unsere Pflicht von uns fordert. Es ist im Grunde Nichts groß und Nichts klein; denn wer kann sagen, wo ein einziges unrecht gesprochenes Wort zu wirken aufhört?

      »Gott legt nur da viele Prüfungen hin, wo er viele Kräfte findet. Und Du schilderst mir ja selbst im Enthusiasmus wie philosophisch sich Dein theurer Wohlthäter beträgt. Ich hoffe, daß Du dieses Beispiele schätzen weißt, und es nachahmen wirst, wenn sich wirklich kein Ausweg finden sollte und Du, von ihm gerissen, nach Bamberg oder Coburg müßtest. Es giebt dreierlei Erziehungen für den Menschen:

      die erste ist die, welche der Mensch von seinen Eltern erhält;

      die zweite die, welche die Umstände geben;

      die dritte ist die, welche der Mensch sich selbst giebt.

      »Tritt der erwähnte Fall wirklich ein, so fordert Gott Deine moralische, vollendete Ausbildung Dir allein ab. Er fordert, daß Du die hoffentlich tief in Dein Herz geprägten Lehren, welche Du besonders, glücklich vor so vielen Tausenden Deiner Brüder, anderthalb Jahre von dem würdigsten Lehrer, der Dir unendlich mehr, der Dir Freund und Vater war, durch Lehren und Beispiel erhalten hast, auf Dein ganzes Leben wirken lassen sollst. Durchgehe die Jugendjahre des tugendhaften Mannes, welchem Du so unendlich viel zu verdanken hast. Er war bei weitem nicht so glücklich als Du.

      »Mit wie vielen Sorgen hatte er nur zu kämpfen, um seine geistige Ausbildung zu bewirken! Von Seiten der moralischen wird er sich wahrscheinlich Alles und Alles haben selbst sein müssen. Setze denn auch den Fall, daß seine Lehrer für sein moralisches Bestes sorgten: – ach, liebes Kind, die Lehrstunden reichen nicht hin, wo keine Auswahl in dem gesellschaftlichen Umgange gemacht werden kann! Wie oft wird die Verführung ihm nahe getreten sein und er mußte sie durch eigene Standhaftigkeit entfernen. So, liebes Kind, so sollst, so mußt Du handeln; schämen mußt Du Dich, hinter ihm zurückzubleiben, da Du weit mehr empfangen hast als er. Ich lege Dir auch die, Lebensbeschreibung und das Vermächtniß meines Vaters bei, von dem Du noch sehr wenig gehört hast. Sein Geist ruht in Aehnlichkeit der Seelenanlagen und des Gesichtes auf Dir ganz allein unter allen Deinen Geschwistern. Der unglückliche Brand, der Deine Vaterstadt in einen Aschenhaufen verwandelte, zertrümmerte das Vermögen seiner Eltern. Der Gram, daß sie Alles und Alles verloren hatten, da die Flamme in dem ihnen nächsten Hause ausbrach, kostete seinem Vater das Leben, streckte die Mutter auf’s Krankenbett, wo die Gicht sechs Jahre lang in ihren Gliedern wüthete, unter welcher Zeit sie durch Handarbeiten ihrer drei noch kleinen Töchter ernährt wurde. Mein Vater war als Lehrling in eins der größten den meisten Aufwand machenden Häuser in Augsburg gekommen, wo sein lebhaftes und immer heiteres Temperament willkommen war. Er kam mit einem rein ganz unbefleckten Herzen nach Hause, ward der Ernährer seiner Mutter, der Versorger seiner Schwester. Der Mensch kann sich sehr viel und das Meiste selbst sein, wenn er es sich nur sein will. Bereinige Dein Bestreben mit den Bitten Deiner Mutter, und sei Dir das selbst!«

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      Die Voraussagung der Puritanerin ging in Erfüllung: kurze Zeit darauf ward der Rector Saalfrank zum Professor zu Regensburg ernannt, wohin Sand ihm folgte; dort treffen ihn die Begebenheiten von 1813. Im März schrieb er an seine Mutter:

      »Kaum kann ich Ihnen aber, beste Mutter, beschreiben, wie heiter ich jetzt manchmal bin, zumal wenn ich von einer Befreiung