half er den Ankommenden beim Aussteigen.
»Ja gelt, da riecht’s gut, kleines Fräulein!« lachte er, indem er die kleine Elisabeth aus dem Wagen hob und für einen Augenblick auf dem Arm behielt. Das Kind sog mit sichtlichem Wohlbehagen die herüberwehende Luft ein. »Alles eitel Duft, alles ein Blühen, wohin der Mensch guckt, Kindchen! Ja, der liebe Herrgott meint es gut mit dem alten Heinemann!«
Er hatte recht. Ein wahres Gewoge von Narzissendüften und dem berauschenden Odem aus tausendfältigen Kelchen des Flieders erfüllte die Luft.
»Wollen wir nun zu Fräulein Lindenmeyer gehen?« fragte er die Kleine mit lustigem Augenzwinkern. »Dort steht sie mit ihrem allerschönsten Bandwerk auf dem Kopfe! Hat den ganzen Morgen Kuchen eingemengt und kein einziges Ei im Hause heil und ganz gelassen.«
Klaudine ging lächelnd an ihm vorüber an der Tür im Staketenzaun, wo zwischen zwei Eibenbäumchen der altmodische Kopfputz von granatroten Bändern auf Fräulein Lindenmeyers grauem Scheitel sichtbar wurde.
Dieses gute alte Mädchen hatte bei dergleichen Gelegenheiten stets ein feierliches Zitat aus Schiller oder Goethe in Bereitschaft. Heute aber zitterten ihre eingefallenen Lippen im Ringen mit der inneren Bewegung – kam doch der schöne, edle Mann da, ihr Stolz, der ehemalige Herr auf dem schönsten Gute weit und breit, und suchte Zuflucht im Eulenhaus!
Aber er nahm heiter gelassen ihre bebende kleine Rechte, die eben das Batisttüchelchen an die geängstigten nassen Augen drücken wollte, mit warmem Druck zwischen seine Hände.
»Ich möchte wissen, ob Fräulein Lindenmeyer mich immer noch so gut versteht und vertritt wie einst, wenn es galt, dem blöden Jungen bei der Großmama etwas zu erwirken?« sagte er in sanft scherzendem Ton, wobei er sich tief bückte, um in ihr Gesicht zu sehen.
Da strahlten ihre Augen auf. »Ei, nun ja, ich denke doch!« antwortete sie. »Die Glockenstube ist hergerichtet! Ach ja, himmlisch schön ist’s da oben! Ein richtiges Poetenwinkelchen! Welche fühlende Seele sollte das nicht verstehen?«
Er lächelte und drückte nochmals ihre Hand, während sein aufleuchtender Blick über den Garten hinflog. Dem südlichen Tor der Kirchenruine entgegengesetzt, wenn auch ziemlich weit abgerückt, erhob sich der Glockenturm der Klosterkirche. Die verstorbene Besitzerin hatte Turm und Wohnhaus durch einen kleinen Zwischenbau verbunden, der im Erdgeschoß zu einem Winteraufenthalt der Pflanzen eingerichtet war, im oberen Stock aber eine auf beiden Seiten von einem Geländer eingefaßte Plattform bildete, zu welcher sowohl von den Zimmern des Wohnhauses wie der gegenüberliegenden unteren Turmstube Glastüren führten. Über alles hinweg aber blinkten hoch oben die Fenster der Glockenstube, die ihren Namen behalten hatte.
Und nun hinein in den letzten Zufluchtsort der Verarmten!
Während Heinemann Koffer und Korb vom Wagen hob, schritten die anderen dem Hause zu. Einen Augenblick blieb Klaudine allein vor der Haustür stehen, sie bog sich zur Seite, anscheinend um den Duft einer ihre Schulter streifenden Fliederblüte einzuatmen, aber ihre Gedanken irrten weit ab. Über diese Schwelle war sie vor drei Jahren hinausgegangen in eine Welt voll Glanz und rauschender Freuden. Sie war auf Großmamas Wunsch und Fürbitte hin Hofdame bei der Herzoginwitwe geworden. Leicht war es ihr nicht geworden, diese Stellung, die vielbeneidete, wieder aufzugeben, nein, wahrlich nicht! Ihr abwesender Blick umschleierte sich und die Lippen zuckten. Sie war der ausgesprochene Liebling ihrer hohen Herrin gewesen und die edle Frau hatte sie insgeheim vor ihren Neidern und stillen Feinden zu schützen gewußt, so hatte sie fast nur die strahlende Seite des Hoflebens kennen gelernt. Nun lag das hinter ihr auf Nimmerwiederkehr, und ein tiefes Sehnsuchtsweh nach der milden, sanften Greisin, der sie gedient hatte, brannte ihr jetzt schon im Herzen. Und leicht war es wohl auch nicht, das neue Leben! Dem Kinde ihres Bruders eine treue Mutter zu sein, für ihn die Lebenssorgen auf die Schultern zu nehmen und mit jedem Pfennig ängstlich zu rechnen, auf daß nicht doch die Not durch das Eulenhaus schleiche, das wollte sie wagen, sie, die Unwissende, die Unerfahrene in alledem, was des Lebens Nahrung und Notdurft erheischte?
Sie legte die Hand auf das ängstlich klopfende Herz und schritt langsam über die Schwelle und die enge, aber blütenweiß gescheuerte Holztreppe hinauf. Als sie abei in das zunächstliegende ehemalige Wohnzimmer der Großmama trat, da atmete sie tief und erleichtert auf. Die kleine Elisabeth kam ihr mit einem Stück Kuchen in der Hand freudestrahlend entgegen und auf dem Sofatisch dampfte Großmamas messingene Kaffeemaschine. Die Tür nach der Plattform des Zwischenbaues stand weit offen und ließ die Blumendüfte des Gartens hineinströmen, und jenseits dieser nur wenige Schritte langen Plattform sah man durch die schmale Glastür in das untere Turmzimmer, ihr ehemaliges Logierstübchen während der Institutsferien, die sie stets bei der Großmama verlebt hatte. Mehr aber noch als dieses traute Wiedersehen beruhigte und ermutigte sie ein Blick auf ihren Bruder. Er hatte sich aufgerichtet, als habe er eine Zentnerlast von sich geworfen, und als sie später mit ihm hinaufging in die Glockenstube und er sein Manuskript auf die Wachstuchdecke eines einfachen Tisches am Fenster legte, da sagte er: »Es ist ein abgebrauchtes Bild, aber sein zutreffender Sinn bewegt mich tief in diesem Augenblick – mir ist zumute wie einem, der nach stürmischer Meerfahrt den Heimatboden betritt und niedersinken möchte, um ihn dankbar zu küssen!«
3
Zwei Wochen waren seither verstrichen, Tage voll Mühe und Arbeit, aber auch voll befriedigenden Lohnes. Ja, es ging, wenn auch da und dort ein Brandfleck die neuangeschafften Kochschürzen verunzierte, einige Geschirrscherben den Spruch vom Lehrgeld bewahrheiteten und die weichen Hände der neugebackenen Köchin immer noch recht empfindlich waren gegen rauhe Berührung. Fräulein Lindenmeyers gutmütig angebotene Hilfe hatte Klaudine schon am ersten Tage entschieden abgelehnt. Das schmächtige, kränkliche Geschöpfchen stand auf sehr schwachen Füßen und bedurfte oft selbst der Pflege. Dafür aber war Heinemann eine tüchtige Stütze, und er ließ es sich durchaus nicht nehmen, alle gröberen Arbeiten zu besorgen.
So war allmählich die neue Haushaltung ins Geleise gekommen, und heute fand Klaudine einen freien Augenblick, um auf die Zinne des Turmes hinaufzusteigen. Die Morgensonne lag auf dem Scheitel des alten Burschen, der sich mit gelben Mauerblümchen besteckt hatte, die aus allen Ritzen und Fugen dem Tageslicht zustrebten, und so altersmürrisch er auch sonst aussah, er beherbergte doch noch gern und willig junges, aufwachsendes Leben – das Vogelvolk brütete unter seinen Simsen und Mauervorsprüngen und fand des Piepsens und Zwitscherns kein Ende. Und vom Garten herauf und von den harztriefenden Fichten, die ihre schaukelnden dunklen Bärte wie Trauerfahnen in die Ruinen des Kirchenschiffes hineinhängen ließen, kam ein traumhaftes Summen – schier unersättlich umtaumelten Heinemanns Bienen und das wilde Hummelgesindel des Waldes den süßen Saft, den Prinz Mai aus Blütenbechern schenkt.
Über ihr stand der blaue Äther, den nur dann und wann noch ein kühner Vogelflügel durchschnitt, wie zu Kristall erstarrt, dort drüben aber, am fernen Horizonte, troff sein Blau auf den welligen Bergrücken und schmolz mit ihm zusammen. – Dort weitete sich das Paulinental zur ebenen Fläche, die erst in weiter Ferne wieder jener blaubehauchte Höhenzug abschloß. Auf dem flachen Lande lag es wie feine, durchgoldete Nebelschleier. Sie deckten das Herzogsschloß. Nichts war zu sehen von seinem stolzen, hochgelegenen Bau, seinen purpurbeflaggten Türmen und marmornen Freitreppen, zu deren Füßen die Schwäne segelten und silberglitzernde Furchen durch den Teichspiegel zogen, nichts von dem Magnolien- und Orangendickicht der überglasten Zaubergärten, die mit ihrem düfteschweren Odem das Blut in den Schläfen pochen machten und das Herz angstvoll beklemmten, nichts von den türhohen, spiegelnden Fenstern, hinter denen eine junge Frau, ein Königskind, schlank und schneebleich, hüstelnd auf und ab schwankte und nach einem Blick aus den dunkelschönen Augen strebte, die mit heißem Flehen – eine andere suchten.
Klaudine trat hastig von der Brustwehr zurück, sie war erblaßt bis in die Lippen. War sie deshalb heraufgestiegen in den kühlen blauen Himmel, um sich von dem schwülen, ängstlich geflohenen Odem dort drüben her anwehen zu lassen?
Sie wandte den Blick weg von jener sonnenbeschienenen Weite und ließ ihn nordwärts in die Runde schweifen. Wald, nichts als grüner Wald, wohin sie sah! Nur dort, wo der breite Fahrweg die Wipfel auseinanderdrängte, lag in äußerster Ferne wie ein kleines Bild das Neuhäuser Gutshaus. Seine fensterreiche Fassade trat hell aus dem dämmernden Lindenkreise. Dort