um Frankreich.
Der Anblick der Menschen hatte sich auch beinahe eben so sehr verändert, als der der Oertlichkeiten.
Was besonders diese Veränderung im Anblicke der Oertlichkeiten bewerkstelligt hatte, das waren der Circus und das Lager der Tartaren, was Beides der Herzog von Orleans, begierig, Nutzen aus seinem Terrain zu ziehen, hatte bauen lassen: den Circus mitten im Garten, und das Lager der Tartaren auf der Seite, welche den Hof schloß, und die heute die Gallerie d'Orleans einnimmt.
Sagen wir zuerst, was der Circus war, in den wir in einem gegebenen Augenblicke den Leser einzuführen veranlaßt sein werden.
Das war ein ein verlängertes Parallelogramm bildendes Gebäude, das sich verlängernd die zwei reizenden Grasplätze von Louis dem Frommen verschlungen hatte und, ehe es nur vollendet, schon besetzt war, einmal von einem Lesecabinet, einem damals ganz neuen Etablissement, dessen Eigenthümer, ein Herr Girardin, durch diese Erfindung die jedem Neuerer gebührende Berühmtheit erlangt hatte; sodann von einem Clubb, den man den Club Social nannte, und der der Sammelplatz aller Philanthropen, aller Reformatoren und aller Negrophilen war; und endlich von einem Truppe Gaukler, welche zweimal im Tage, wie zur Zeit von Thespis, Vorstellungen auf improvisirten Gerüsten gaben.
Dieser Circus glich einer ungeheuren Laube, ganz bekleidet, wie er war, mit Gittern und grünem Blätterwerk. Zweiundsiebzig Säulen von dorischer Ordnung, die ihn umgaben, stachen allerdings ein wenig gegen diesen ländlichen Anblick ab, doch zu jener Zeit gab es so viel entgegengesetzte Dinge, die sich einander zu nähern und sogar mit einander zu vermengen anfingen, daß man nicht mehr auf dieses, als auf die andern, Acht gab.
Was das Lager der Tartaren betrifft, Mercier, der Verfasser des Tableau de Paris, wird uns sagen, was es war.
Man höre die Diatribe dieses zweiten Diogenes, der beinahe so cynisch und so witzig als der, welcher mit einer Laterne in der Hand am hellen Tage unter den Säulenhallen des Gartens von Akademos einen Menschen suchte:
»Die Athenienser,« sagt er, »errichteten ihren Phrynen Tempel; die unsern finden den ihren in diesem Bezirke. Dahin gehen gierige Agioteurs, welche das Seitenstück zu den hübschen Freudenmädchen bilden, dreimal täglich im Palais-Royal, und der Mund aller dieser Menschen spricht nur von Geld und von politischer Prostitution. Die Banque wird in den Kaffeehäusern gehalten, und da muß man die plötzlich durch den Verlust oder den Gewinn entstellten Gesichter sehen und studieren: Dieser geräth in Verzweiflung, Jener triumphiert. Dieser Ort ist also eine hübsche Büchse Pandoras; sie ist ciselirt, sie ist ausgearbeitet; Jedermann aber weiß, was die Büchse der durch Vulcan belebten Statue enthielt. Alle Sardanapale, alle die kleinen Lucullus wohnen im Palais-Royal in Gemächern, um welche sie der König von Assyrien und der römische Consul beneidet hätten.«
Das Lager der Tartaren, das war die Höhle der Diebe und der Winkel der Lustdirnen; – es war endlich das, was wir bis zum Jahre 1828 unter dem Namen Galerie de Bois5 gesehen haben.
Sich verändernd, hatte der Anblick der Oertlichkeiten dazu beigetragen, den Anblick der Menschen zu verändern.
Was aber hauptsächlich zu dieser Metamorphose beigetragen, das war die politische Bewegung, welche um diese Zeit in Frankreich vor sich ging und von unten nach oben kommend die Gesellschaft von ihren Tiefen bis zu ihrer Oberfläche erschütterte.
In der That, man begreift, welcher Unterschied es für wahre Patrioten ist, ob sie sich mit dem Loose einer fremden Nation, oder mit den Interessen ihres Landes beschäftigen, und man wird nicht leugnen, daß die Nachrichten, welche zu dieser Stunde von Versailles kamen, viel erregender für die Pariser sein mußten, als es sechzehn Jahre früher die waren, welche von Krakau kamen.
Gleichwohl sah man noch mitten unter der politischen Aufregung, wie Schatten aus einer andern Zeit, einige von jenen heiteren Gemüthern oder einige von jenen beobachtenden Geistern umherirren, welche ihren Weg durch die reizenden Träume der Poesie oder die herben Tumulte der Kritik verfolgen.
So kann, abgesehen von der im Schatten des Baumes von Krakau gruppirten großen Menge, welche das Journal de Paris oder die I,unette philosophique et litteraire lesend die Nuvelles à la main erwartete, der Leser, der uns begleitet, in einer nach den Linden mündenden Seitenallee zwei Männer von fünfunddreißig bis sechsunddreißig Jahren bemerken, welche Beide die Uniform, der Eine der Dragoner von Noailles mit rosa Revers und rosa Kragen, der Andere der Dragoner der Königin mit weißen Revers und weißem Kragen tragen. Sind diese zwei Männer Officiere, die von Schlachten sprechen? Nein, es sind zwei Dichter, welche von Poesie sprechen, zwei Verliebte, welche von Liebe sprechen.
Sie sind übrigens reizend, was die Eleganz, und vollkommen, was den guten Ton betrifft. Das ist die Aristokratie in ihrem bezauberndsten und vollständigsten Ausdrucke; in dieser Zeit, wo der Puder von den Anglomanen, von den Americanern, kurz von den Vorgerückten ein wenig vernachlässigt zu werden anfängt, ist ihr Kopfputz äußerst sorgfältig behandelt, und um seine Harmonie nicht zu derangiren, trägt der Eine seinen Hut unter dem Arme, während ihn der Andere in der Hand hält.
»Also, mein lieber Bertin,« sagte derjenige von den Spaziergängern, welcher die Uniform der Dragoner der Königin trug, »es ist bei Ihnen fester Entschluß, Sie verlassen Frankreich und verbannen sich nach St. Domingo?«
»Sie irren sich, mein lieber Evariste: ich ziehe mich nur nach Cythera zurück.«
»Wie so?«
»Sie begreifen nicht?«
»Bei meinem Ehrenworte, nein.«
»Haben Sie mein drittes Buch der Amours gelesen?«
»Ich lese Alles, was Sie schreiben, mein lieber Kapitän?«
»Nun, dann erinnern Sie sich wohl gewisser Verse?«
»An Eucharis oder an Catilie?«
»Ach! Eucharis ist todt und ich habe meinen Tribut der Thränen und der Poesie ihrem Andenken bezahlt; ich spreche also von meinen Versen an Catilie.«
»Welche meinen Sie?«
»Diese:
Va, ne crains pas que je l'oublie,
Ce jour, ce fortune moment,
Où, peins d'amour et de folie,
Tous les deux, saus savoir comment,
Dans un rapide emportement,
Nousi fimes le teudre serment,
De nous aimer toute 1a, vie!6
»Nun?«
»Nun, ich halte meinen Schwur: ich erinnere mich . . .«
»Wie! Ihre schöne Catilie . . .?«
»Ist eine reizende Creolin von St. Domingo, , mein lieber Parny, welche vor einem Jahre nach dem Meerbusen von Mexico abgereist ist.«
»Und Sie folgen ihr nach?«
»Ich folge ihr nach und heirathe . . . Sie wissen übrigens, mein lieber Parny, ich bin, wie Sie, ein Kind des Aequators, und wenn ich nach St. Domingo gehe, werde ich glauben, ich kehre nach unserem Heimathlande, nach unserer schönen Insel Bourbon mit ihrem Azurhimmel, mit ihrer üppigen Vegetation zurück; habe ich nicht das Vaterland, so werde ich doch sein Aequivalent haben, wie man noch das Portrait hat, wenn man das Original nicht mehr besitzen kann.«
Und der junge Mann sprach mit einer Begeisterung, welche heute sehr lächerlich scheinen würde, zu jener Zeit aber sehr schicklich war, die folgenden Verse:
Toi dont 1'image en mon coeur est tracée,
Toi qui recus ma premiere pensée,
Les Premiers sons que ma bouche a formes,
Mes premiers pas sur la terre imprimes
Sous d'autres cieux cherchant un autre monde
J'ai vu tes bords s'enfuir au loin dans l'onde. . .
Que de regrets ont suivi mes adieux!
Combien de pleurs ont coulé de mes yeux!
Que