war also die auf das Auditorium durch die Stimme von Carmelite hervorgebrachte Wirkung Begabt mit einem ungewöhnlichen, obgleich rein instinktartigen Geschicklichkeit, denn sie kannte nur wenig das Verfahren der großen Sänger in der Mode, vereinigte Carmelite, mit einem erstaunlichen Glücke, die Kopfstimme mit der Bruststimme; die Verbindung dieser zwei Stimmen war augenscheinlich, und ein alter Meister wäre sehr in Verlegenheit gekommen, hätte er sagen sollen, wie viel Studien nothwendig gewesen seien, um die wunderbaren Effecte zweier so entgegengesetzten Stimmen zu kombinieren.
Carmelite, als große Tonkünstlerin, was sie war, hatte unter dem Auge von Colombau so emsig und so fest die Grundprincipien der Musik studiert, daß sie fortan nichts nöthig hatte, als sich gehen zulassen, um zu verführen und zu elektrisieren; und war ihre Stimme schön, so war ihr Geschmack vollkommen. Von den ersten Lectionen an an die Maßhaltung der deutschen Musik gewöhnt, machte sie einen sehr mäßigen Gebrauch von den italienischen Fiorituri und bediente sich derselben nur, um den Ausdruck eines Stückes zu vermehren, oder um einen Satz mit einem andern zu verbinden, nie aber als Annehmlichkeit, nie als Kunststück.
Wir endigen die Analyse des Talentes von Carmelite damit, daß wir sagen, im Gegensatze zu den grüßten Sängerinnen der Zeit und sogar aller Zeiten habe dieselbe Note bei zwei verschiedenen Situationen der Seele bei ihr gleichsam nie denselben Ton gehabt.
Wundert sich nun Einer und beschuldigt uns der Uebertreibung, behauptend, keine Sängerin, und wenn sie zu Meistern Porpora, Mozart, Pergolese oder selbst Rossini gehabt, habe die Vollkommenheiten dieser doppelten Stimme erreicht, so antworten wir, Carmelite habe einen Meister gehabt, der viel ernster gewesen, als die so eben von uns genannten, einen Meister, den man das Unglück nenne!
Am Ende der dritten Strophe war es auch ein einstimmiges Hurrah, eine unaussprechliche Raserei.
Die letzten Noten waren noch nicht erloschen, klagend und seufzend wie der Schrei der Schmerzen selbst, als ein Beifallsdonner, die vergoldete Kuppel dieses weltlichen Salons erschütterte. Jeder stand auf, als wollte er der Erste sein, um der Künstlerin Glück zu wünschen, ihr sein Compliment zu machen; es war ein wahres Fest, eine allgemeine Hinreißung, Alles, was die Furia francese, das Decorum vergessend, gestatten kann. Man stürzte nach dem Klavier, um dieses Mädchen anzuschauen, das schön wie die Schönheit, mächtig wie die Stärke, finster wie die Verzweiflung. Die alten Frauen, die sie um ihre Jugend beneideten, die jungen Frauen, die sie um ihre Schönheit beneideten, alle diejenigen, welche sie um ihr unvergleichliches Talent beneideten, alle diejenigen, welche sich sagten, es wäre beinahe ein Ruhm, von einer solchen Frau geliebt zu sein, näherten sich ihr, nahmen ihre Hand und drückten sie mit Liebe.
Und darum ist die Kunst wahrhaft schön, wahrhaft groß: in einem Augenblicke macht sie einen alten Freund aus einem Bekannten.
Tausend Einladungen fielen, wie die zukünftigen Blumen ihres Rufes, und streuten sich in einem Augenblicke um Carmelite her.
Der alte General, der sich, wie gesagt, darauf verstand, der alte General, der nicht leicht zu bewegen war, fühlte seine Thränen fließen; das war der Sturmregen, der sein Herz, während er das Mädchen singen hörte, angeschwellt hatte.
Jean Robert und Petrus näherten sich einander instinetartig, und in ihrem stummen Händedruck erzählten sie sich stillschweigend ihre schmerzliche Gemüthsbewegung, ihr melancholisches Entzücken; hätte ihnen Carmelite ein Rachezeichen gemacht, sie wären auf diesen sorglosen Camille losgestürzt, der, nicht wissend, was vorgefallen, Alles dies, ein Lächeln auf den Lippen, das Lorgnon im Auge und von seinem Platze aus: Bravo! Bravo! Bravo! Rufend, wie er es auf einem Sperrsitze der italienischen Oper würde gethan haben, angehört hatte.
Regina und Lydie, welche begriffen hatten, was Alles an Schmerz und Ausdruck die Gegenwart des Creolen der Stimme von Carmelite beifügte, – Regina und Lydie, welche während der ganzen Zeit, die der Gesang gedauert, bei jeder Note gezittert hatten, das Herz der Sängerin werde brechen, waren Beide wie niedergeschmettert. Regina wagte es nicht, sich umzudrehen, Lydie wagte es nicht, den Kopf zu erheben.
Plötzlich, auf einen von denjenigen, welche Carmelite umgaben, ausgestoßenen Schreckenschrei, traten die zwei jungen Frauen aus ihrer Erstarrung hervor und wandten sich gleichzeitig gegen ihre Freundin um.
Carmelite hatte nach ihrer letzten geweinten Note den Kopf zurückgeworfen, und, bleich, steif, unbeweglich, wäre sie unfehlbar auf den Boden gefallen, hätten sie nicht zwei Arme unterstützt, und hätte nicht eine befreundete Stimme zu ihr gesagt.
»Muth, Carmelite! und seien Sie stolz: von diesem Abend an haben Sie Niemand mehr nöthigt.«
Ehe sie die Augen schloß, hatte Carmelite Zeit, Ludovic diesen grausamen Freund, der sie ins Leben zurückgerufen zu erkennen.
Sie stieß einen letzten Seufzer aus, schüttelte traurig den Kopf und fiel in Ohnmacht.
Nun erst sah man aus ihren geschlossenen Augen zwei Thränen hervorquellen, welche über ihre eiskalten Wangen rollten.
Die zwei Frauen nahmen sie aus den Händen von Ludovic; dieser war herbeigekommen, während Carmelite sang, und geräuschlos, ohne gemeldet zu werden, eintretend, war er in der Nähe gewesen, um sie in seinen Armen zu empfangen.
»Es ist nichts,« sagte er zu den zwei Freundinnen; »solche Krisen sind mehr wohlthätig als nachtheilig. . . . Sie athme von diesem Flacon ein, und in fünf Minuten wird sie wieder zu sich gekommen sein.«
Vom General unterstützt, trugen Regina und Lydie Carmelite ins Schlafzimmer: nur blieb der General bei der Thüre zurück.
Sobald Carmelite verschwunden und das Auditorinm durch ein paar Worte von Ludovic beruhigt war, brach der, in seinem Laufe gehemmte, Enthusiasmus aufs Neue aus.
Es war nur ein einstimmiger Schrei der Bewunderung.
XVII
Wo die Petarden von Camille nachbrennen
Als man seinem Entzücken über das Talent der zukünftigen Debutantin jeden Ausdruck gegeben, als man zu ihren Gunsten alle Formeln des Lobes erschöpft hatte, ließ sich jeder von den glücklichen Zuhörern, indem er sie in seinem Kreise gehörig zu rühmen versprach, allmählich dem Boudoir nach dem Salon hinziehen, wo die ersten Arcorde des Orchesters ertönten, und ging von der Musik zum Tanze über.
. Die einzige des Erwähnens würdige Episode bei der Bewegung, welche bei dieser Gelegenheit stattfand, und die wir anführen werden, weil sie sich auf eine ganz natürliche Art mit unserem Drama verbindet, ist der Mißgriff, den Camille von Rozan dadurch machte, daß er unbesonnener Weise Leute anredete, welche die Geschichte von Carmelite ganz genau kannten.
Frau von Rozan, seine Gattin, eine hübsche fünfzehnjährige Creolin, war vorläufig den einer Witwe von amerikanischer Abkunft, die sich für ihre Verwandte erklärte, in Beschlag genommen worden. Camille, als er seine Frau in Familie sah, benutzte diesen Umstand, um wieder Junggeselle zu werden.
Er erblickte Ludovic, seinen alten Kameraden, fast seinen Freund; und sobald die Ruhe in Folge des Abgangs von Carmelite, deren Ohnmacht er der einfachen Aufregung zuschrieb, wiederhergestellt war, stürzte er auf den jungen Doctor zu, mit der Lebhaftigkeit eines so eben angekommenen Fremden, der einen alten Bekannten wiederfindet, reichte ihm die Hand und rief:
»Beim Hippokrates! es ist Herr Ludovic! . . . Guten Morgen, Herr Ludovic! wie befindet sich Herr Ludovic?«
»Schlecht,« antwortete kalt der junge Arzt.
»Schlecht?« wiederholte der Creole. »Ei! Sie haben den Monat April auf dem Backen!«
»Gleichviel, mein Herr, wenn ich den December im Herzen habe!«
»Sie haben Kummer?«
»Mehr als Kummer: Schmerz!l«
»Einen Schmerz?«
»Einen tiefen!«
»Mein Gott! mein armer Ludovic, sollten Sie einen Verwandten verloren haben?«
»Ich habe Jemand verloren, der mir theurer war, als ein Verwandter!«
»Was gibt es Theureres, als einen Verwandten?«
»Ein