ich zuerst wonnevoll benommen, wie von einer höchsten Harmonie; doch bald wurde ich ruhig und lebte von da an mit mehr Lebensfreude. Ich war stolz darauf, ein Mann zu sein, ein Wesen, das bestimmt ist, ein Weib für sich zu besitzen. Das Wort »Leben« war mir bekannt. Es bedeutete fast: Eintreten und etwas davon kosten; mein Wunsch ging nicht weiter, und ich war befriedigt, zu wissen, was ich wußte. Eine Geliebte war für mich ein diabolisches Wesen; unter dem Zauber des bloßen Wortes geriet ich in langanhaltende Verzückungen. Für ihre Geliebten ruinierten sich die Könige, für sie eroberten sie Provinzen, für sie wurden indische Teppiche gewirkt, wurde Gold gehämmert, Marmor behauen, die Welt in Bewegung gesetzt. Eine Geliebte hat Sklaven, die ihr mit Wedeln die Mücken wehren, wenn sie auf seidengepolstertem Divan ruht. Elefanten, mit Geschenken beladen, erwarten sie beim Erwachen, Palankine tragen sie sanft an den Rand der Fontänen; sie sitzt auf Thronen in glanzerfüllter, duftgeschwängerter Luft, weit ab von der Menge, die sie verwünscht und anbetet.
Dieses Geheimnis des Weibes, das außerhalb der Ehe steht und gerade deshalb um so viel mehr Weib ist, reizte mich und nahm mich durch den doppelten Zauber der Liebe und des Reichtums gefangen. Ich liebte nichts so sehr als das Theater, ich liebte es bis zum Stimmengeschwirr in den Pausen, bis zu den Zugängen, die ich erregten Herzens durcheilte, um meinen Platz aufzusuchen. Hatte die Vorstellung schon begonnen, so stieg ich eilends die Treppen empor. Ich vernahm den Klang der Instrumente, Stimmen, Bravorufe. Und wenn ich eintrat, wenn ich mich setzte, lag ringsumher in der Luft der warme Hauch schöngekleideter Frauen, etwas, das nach Veilchenbuketts, weißen Handschuhen und gestickten Taschentüchern duftete. Gleich Kränzen von Blüten und Diamanten schienen die menschenüberfüllten Galerien dort oben zu schweben, um dem Gesang zu lauschen. Im Vordergrunde der Bühne stand nur die Sängerin, und ihre Brust, aus der die Töne hervorperlten, hob und senkte sich wogend. Der Rhythmus trieb ihre Stimme im Flug dahin und riß sie im melodischen Wirbel mit. Die Koloraturen wellten ihren angespannten Hals wie den eines Schwanes, unter der Last der Küsse der Luft. Sie rang die Arme, schrie, weinte, sandte zündende Blicke, rief jemand mit unsagbarer Liebe herbei, und wenn sie das Motiv wieder aufnahm, schien es mir, als reiße sie mit dem Klang ihrer Stimme mein Herz aus der Brust, um es sich in liebendem Erschauern zu vermählen. Man spendete ihr Beifall und warf ihr Blumen zu, und in meiner Begeisterung genoß ich in ihr den Weihrauch der Menge, die Liebe aller dieser Menschen und den Wunsch eines jeden von ihnen. Von ihr hätte ich geliebt werden mögen, geliebt mit verzehrender, furchtbarer Leidenschaft, der Leidenschaft einer Fürstin oder Schauspielerin, die uns stolz macht, uns sofort den Reichen und Mächtigen gleichstellt! Wie schön ist die Frau, der alle huldigen und die alle ersehnen, die der Menge den fieberhaften Wunsch für die Träume einer jeden Nacht eingibt; sie, die immer nur im Glanze der Kerzen erscheint, strahlend und singend, die Gedankenwelt eines Dichters erfüllend, als das Leben, das ihr zukommt! Und für ihren Geliebten muß sie noch eine andere Liebe haben, viel schöner als die, welche sie freigebig den hungrigen Herzen spendet, die sich an ihr laben, süßere Lieder, tiefere, leidenschaftlichere, lebendigere Töne! Ach, hätte ich in der Nähe ihrer Lippen sein können, denen sie so rein entströmten, hätte ich diese schimmernden Haare berühren dürfen, die unter Perlen glänzten! Doch die Rampe des Theaters war für mich die Schranke der Illusion. Das Reich der Liebe und Poesie lag jenseits; die Leidenschaften waren dort schöner und hatten einen tieferen Klang, Wälder und Paläste zerstoben wie Rauch, Sylphiden schwebten aus den Himmeln herab, alles sang, alles liebte.
An all das dachte ich, wenn ich abends allein saß und den Wind durch die Gänge pfeifen hörte, oder in den Pausen, während die anderen sich fingen oder Ball spielten, und ich an der Mauer entlang ging über die abgefallenen Lindenblätter; es freute mich, wenn meine Schritte sie raschelnd aufwühlten und vor sich hertrieben.
Bald faßte mich die Lust zu lieben. Ich wünschte die Liebe mit grenzenloser Begehrlichkeit herbei. Ich träumte von ihren Qualen, wartete jeden Augenblick auf einen tiefen Schmerz, der mich mit Wonne erfüllt hätte. Mehrere Male glaubte ich der Erfüllung nahe zu sein. In Gedanken nahm ich die erste beste Frau, die mir schön erschien, und sagte: »Die liebe ich!« Doch die Erinnerung, die ich hätte von ihr mitnehmen mögen, verblich und erlosch, anstatt sich zu vertiefen. Auch fühlte ich, daß ich mich zu Liebe zwang, daß ich mit meinem Herzen Komödie spielte, wodurch es sich nicht täuschen ließ. Und dies Fiasko machte mich lange Zeit traurig; fast trauerte ich um die Liebe, die ich nicht empfunden hatte, und dann träumte ich von einer anderen, die meine Seele erfüllen sollte.
Besonders am Morgen nach einem Ball oder einem Theaterabend, oder wenn ich aus zwei, drei Ferientagen zurückkam, erträumte ich mir eine Leidenschaft. Ich stellte mir die Frau meiner Wahl vor, so wie ich sie gesehen hatte: im weißen Kleid, in den Armen eines Kavaliers, der sie stützt und ihr zulächelt, im Walzer dahinschwebend, oder auf die samtbezogene Brüstung einer Loge gelehnt und ihr königliches Profil zeigend. Die Weisen der Kontertänze, der Glanz der Lichter verfolgten und blendeten mich noch eine Zeitlang; dann schmolz zuletzt alles in der Eintönigkeit einer schmerzlichen Träumerei zusammen. So habe ich tausend kleine Gefühle gehabt, die acht Tage oder einen Monat anhielten und denen ich die Dauer von Jahrhunderten hätte geben mögen. Ich weiß nicht, welches ihr Inhalt war, noch worin alle diese unbestimmten Wünsche zusammenflossen. Ich glaube, es war das Bedürfnis nach einem neuen Gefühl und eine Sehnsucht nach etwas Hohem, dessen Gipfel ich nicht sah.
Die Reife des Herzens geht der des Körpers voraus. Noch lag mir Empfinden näher als Genießen, mein Sinn stand mehr nach Liebe als nach Wollust. Heute vermag ich mir die Liebe des ersten Jünglingsalters nicht einmal mehr vorzustellen. Die Sinne spielen in ihr keine Rolle, und das Unendliche allein gibt ihr den Inhalt: als ein Übergang zwischen Kindheit und Jugend liegend, entschwindet sie so schnell, daß man sie vergißt.
Bei den Dichtern hatte ich so viel von Liebe gelesen und mir das Wort so oft wiederholt, um mich an seinem süßem Klang zu berauschen, daß ich bei jedem Stern, der in milder Nacht am blauen Himmel glänzte, bei jedem Wellenmurmeln am Ufer, bei jedem Sonnenstrahl im Tautropfen sagte: »Ich liebe, ach, ich liebe!« Und das machte mich glücklich und stolz. Ich war bereit zu den höchsten Opfern, und besonders, wenn eine Frau mich im Vorübergehen streifte oder mir ins Gesicht sah, hätte ich sie noch tausendmal mehr lieben, noch mehr für sie erdulden mögen und gewünscht, daß mein bißchen Herzklopfen mir die Brust sprengte.
Erinnere dich, Leser, der Lebenszeit, wo man unbestimmt lächelt, als ob die Luft voller Küsse wäre: das Herz ist ganz geschwellt von duftendem Hauch, das Blut pulst heiß in den Adern, es wallt wie schäumender Wein in einer Schale von Kristall. Beim Erwachen ist man glücklicher und reicher, als man am Abend vorher war, zitternder von Leben und Erregung. Süße Ströme steigen und fallen und durchtränken uns himmlisch mit berauschender Wärme. Sanft neigen die Bäume ihre Wipfel unter dem Winde, die Blätter erschauern aneinander, als wenn sie flüsterten, Wolken ziehen und geben den Himmel frei, von dem der Mond herablächelt und sein Spiegelbild in den Fluß wirft. Wenn man auf abendlichem Spaziergange den Duft des frischen Heues einatmet, den Kuckuck in den Wäldern hört und die Sternschnuppen fallen sieht, dann ist gewiß das Herz reiner, von Luft, Licht und Azur tiefer durchtränkt als der friedliche Horizont, wo Erde und Himmel sich in sanftem Kusse zu vermählen scheinen. Ach, wie das Haar der Frauen duftet! Wie zart die Haut ihrer Hände ist, wie ihre Blicke ins Herz dringen!
Doch schon war es nicht mehr der erste blendende Glanz der Kindheit, waren es nicht mehr die aufregenden Erinnerungen der vergangenen Nacht; ich trat im Gegenteil in das wirkliche Leben ein, wo ich meinen Platz hatte, in eine weite Harmonie, wo mein Herz einen Hymnus sang und in prächtiger Schwingung vibrierte. Ich genoß voll Wonne dieses entzückende Erblühen, und das Erwachen meiner Sinne hob meinen Stolz. Wie der erste Mensch der Schöpfung hob ich mich von langem Schlummer, und an meiner Seite sah ich ein mir ähnliches, doch abweichend gestaltetes Wesen. Das rief zwischen uns eine taumelerregende Anziehung hervor, und zugleich hatte ich für diese neue Gestalt ein neues Gefühl, das mich stolz machte, während die Sonne heller schien, die Bäume süßer als je dufteten und die Schatten wohliger und lockender waren.
Zu gleicher Zeit fühlte ich täglich die Entwicklung meines Geistes fortschreiten. Sie hielt mit der meines Herzens gleichen stand. Ich weiß nicht, ob meine Gedanken Gefühle waren, doch hatten sie alle die Glut einer Leidenschaft. Die innere Freude, die ich in der Tiefe meines Wesens spürte, strömte auf meine Mitmenschen über und hüllte sie