am Nachmittag vollends unentbehrlich sein.
»Mit aller schuldigen Ehrerbietung, Sir«, sagte Puter bei dieser Gelegenheit, »aber ich halte mich offengestanden für Ihre rechte Hand. Vormittags exerziere und marschiere ich ja nur mit meinen Kolonnen – aber nachmittags, da stelle ich mich an ihre Spitze und mache eine zügige Attacke auf den Feind, so« – und damit vollführte er einen heftigen Stoß mit dem Lineal.
»Aber die Tintenkleckse, Puter!« gab ich zu bedenken.
»Richtig! – Aber mit aller schuldigen Ehrerbietung, Sir: Schauen Sie diese Haare an! Ich werde alt. Ich möchte doch meinen, Sir, daß ein paar Tintenkleckse an einem heißen Nachmittag einem alten Mann mit grauen Haaren nicht so hart zum Vorwurf gemacht werden dürfen. Das Alter, auch wenn es Tintenflecke macht, verdient Ehrfurcht. Mit aller schuldigen Ehrerbietung, Sir: wir werden beide alt!«
Diesem Appell an meine kameradschaftliche Gesinnung konnte ich schwer widerstehen. Das eine sah ich jedenfalls, daß er nicht gehen würde. Also entschloß ich mich, ihn zu behalten, wobei ich allerdings mein Augenmerk darauf richtete, daß er am Nachmittag mit meinen minder wichtigen Papieren beschäftigt wurde.
Nippers – »Beißzange« – der zweite auf der Liste, war ein mit seinem Backenbärtchen und seiner gelblichen Gesichtsfarbe einigermaßen seeräuberhaft aussehender junger Mann von fünfundzwanzig Jahren. Nach meinem Dafürhalten war er das Opfer zweier böser Mächte – des Ehrgeizes und der Verdauungsstörungen. Der Ehrgeiz bekundete sich bei ihm in einer gewissen Unlust an den Berufspflichten eines gewöhnlichen Kopisten, in einem unverantwortlichen Übergreifen auf Arbeiten, die dem Fachmann vorbehalten bleiben müssen, wie z. B. das Abfassen rechtsgültiger Urkunden. Seine Verdauungsschwäche drückte sich aus in einer gelegentlichen nervösen Unverträglichkeit und hämischen Reizbarkeit, wobei es denn vorkam, daß er bei Abschreibefehlern hörbar mit den Zähnen knirschte; auch äußerte er in der Hitze der Arbeit unnötige Fluchworte, die er übrigens mehr zischte als wirklich aussprach, und lag vor allem in beständiger Fehde mit der Höhe seines Arbeitstisches. Beißzange war zwar in technischen Dingen erfinderisch und begabt, mit seinem Tisch aber vermochte er nie zurechtzukommen. Er legte Späne, Holzblöckchen der erdenklichsten Art und Kartonstücke unter und versuchte es schließlich mit einer besonders tadellosen Abstimmung, indem er einige Lägen zusammengefaltetenFließpapiers verwendete. Nichts wollte fruchten. Rückte er, um seinen Rücken zu schonen, den Pultdeckel in scharfem Winkel bis dicht unter sein Kinn und schrieb darauf, wie einer der das steile Dach eines Holländer Hauses als Pult benützt, dann vernahm man bald die Klage von ihm, daß ihm in dieser Haltung die Arme klamm würden. Senkte er aber alsdann die Tischplatte bis zu Gürtelhöhe und saß beim Schreiben vornübergebeugt, dann bekam er sogleich Rückenschmerzen. Mit einem Wort: Beißzange wußte in Wahrheit nicht, was er wollte. Oder wenn er überhaupt etwas wollte, so dies: vom Schreiberpult überhaupt freizukommen. Zu den Bekundungen seines krankhaften Ehrgeizes gehörte es, daß er, mit Vorliebe Besuch empfing, und zwar von allerlei zweideutig aussehenden Gesellen in schäbigen Anzügen, die er als seine Klienten bezeichnete. Ich mußte überhaupt erkennen, daß er sich nicht nur gelegentlich als Winkelpolitiker betätigte, sondern sich dann und wann auch bei den Gerichtshöfen zu schaffen machte und an der Pforte der »Gräber«, des Stadtgefängnisses, nicht unbekannt war. Von einem Individuum allerdings, das ihn in meiner Kanzlei aufsuchte und das er nachdrücklich und mit viel Wichtigkeit als seinen Klienten bezeichnete, möchte ich mit gutem Grund annehmen, daß es in Wahrheit einfach ein Gläubiger war und daß es sich bei seinem angeblichen Rechtstitel um eine Rechnung handelte. Bei allen seinen Mängeln aber und den Unannehmlichkeiten, die er mir verursachte, war Beißzange mir doch, wie sein Landsmann Puter, im ganzen recht nützlich. Er schrieb eine rasche und saubere Hand und ließ es, wenn er danach gelaunt war, an einem weltmännischen Benehmen nicht fehlen. Es kam hinzu, daß er sich immer durchaus herrschaftlich kleidete und dadurch beiläufig einen gewissen Kredit der Vertrauenswürdigkeit auf meine Kanzlei ausstrahlte. Mit Puter hingegen hatte ich meine liebe Not, zu verhüten, daß er für mich eine Art Schandfleck wurde. Seine Kleidungsstücke sahen immer fleckig aus und rochen nach Speisehaus. Den Sommer über trug er seine Hosen entsetzlich lasch und ausgebeult; seine Überröcke spotteten jeder Beschreibung und seinen Hut konnte man nur mit der Feuerzange anfassen. Der Hut war für mich nun allerdings verhältnismäßig gleichgültig, denn als einen an Abhängigkeit gewöhnten Engländer veranlaßte ihn seine natürliche Höflichkeit und Demut, seine Kopfbedeckung abzunehmen, sowie er das Zimmer betrat; mit dem Rock aber war es eine andere Sache. Ich machte ihm diesbezüglich Vorhaltungen, aber ohne jeden Erfolg. In Wahrheit war es wohl so, daß ein Mann mit so geringem Einkommen nicht gleichzeitig ein üppiges Gesicht und einen üppigen Rock spazieren führen konnte. Wie Beißzange einmal bemerkte, ging Puters Geld größtenteils für »rote Tinte« drauf. An einem Wintertag schenkte ich Puter einen sehr gediegen aussehenden Rock aus meinem eigenen Bestand – einen wattierten grauen Rock, der sehr angenehm warm hielt und den man vom Hals bis zu den Knieen zuknöpfen konnte. Ich dachte, Puter würde die Freundlichkeit zu schätzen wissen und sein an Nachmittagen übliches vorschnelles und lärmiges Wesen dementsprechend dämpfen. Aber nein: ich möchte geradezu annehmen, daß es eine verhängnisvolle Wirkung bei ihm hervorrief, sich nun in einen derart flaumigen und einer Bettdecke ähnelnden Rock einknöpfen zu können – nach demselben Grundsatz, nach dem zu viel Hafer den Pferden schlecht bekommt. Wie man ja auch von einem jähen und eigensinnigen Gaul sagt, daß ihn der Haber sticht, so stach unseren Puter sein Rock. Er wurde übermütig. Er war ein Mensch, dem das Wohlleben zum Nachteil gereichte.
Während ich Puters heimlichen persönlichen Neigungen gegenüber meine eigenen Vermutungen hegte, war ich von Beißzange allerdings völlig überzeugt, daß er, unbeschadet seiner sonstigen Fehler, wenigstens in puncto Alkohol ein mäßiger junger Mensch war. Indessen schien in seinem Fall die Natur selbst die Rolle des Weinlieferanten übernommen zu haben: sie hatte ihn schon bei der Geburt mit einem derart reizbaren, branntweinartigen Temperament ausgestattet, daß es bei ihm eines nachträglichen Kneipens gar nicht mehr bedurfte. Wenn ich mir überlege, wie Beißzange oft mitten in der Stille der Kanzlei ungeduldig von seinem Sitz aufsprang, sich über den Tisch beugte, die Arme weit ausbreitete, das Pult schlankweg aufpackte und mit einem bösen Knirschen über den Fußboden schob oder eigentlich schleuderte, als wäre der Tisch ein widerspenstiger Kanzleidiener, der ihm absichtlich Ärger und Schwierigkeiten machte, dann wird mir aufs neue klar, daß bei ihm Kognaksoda durchaus überflüssig war.
Einen Glücksumstand für mich bedeutete es, daß sich Beißzanges Reizbarkeit und dadurch verursachte Nervosität auf Grund ihres besonderen Anlasses – nämlich der Verdauungsbeschwerden – vorzüglich am Vormittag bemerkbar machte, während er nachmittags verhältnismäßig milde war. So hatte ich, da Puters Anfälle ja erst um die Mittagszeit zum Durchbrach kamen, wenigstens nie zu gleicher Zeit mit ihnen beiden in ihrem überspannten Zustand zu tun. Ihre Zustände lösten einander ab wie die Wachtparade. War Beißzange im Dienst, so hatte Puter dienstfrei und umgekehrt. Das war, wie die Dinge lagen, von der Natur gut eingerichtet.
Ginger Nut – »Pfeffernuß« – der Dritte auf meiner Liste, war ein Bürschlein von etwa zwölf Jahren. Sein Vater war Fuhrmann und hegte den Ehrgeiz, seinen Sohn vor seinem Tode auf der Gerichtsbank statt auf dem Kutschbock zu sehen. Er schickte ihn zu diesem Zweck zu mir auf die Kanzlei, als Rechtsstudent, Laufjunge, Bodenputzer, gegen einen Lohn von einem Dollar die Woche. Er hatte ein eigenes kleines Pult, war aber nicht viel daran zu sehen. Seine Schublade wies bei näherer Untersuchung eine große Auswahl von Nußschalen der verschiedensten Sorten auf. Die gesamte edle Rechtswissenschaft war denn auch für diesen hellköpfigen Jüngling gewissermaßen in einer Nußschale enthalten. Nicht die geringste unter Ginger Nuts Obliegenheiten – und zwar eine, deren er sich mit der größten Fixigkeit entledigte – war seine Stellung als Kuchen- und Äpfeleinkäufer für Puter und Beißzange. Das Abschreiben von Akten ist ja ein sprichwörtlich trockenes, halsausdörrendes Geschäft, und so waren auch meine zwei Schreiber oft genug von dem Bedürfnis befallen, sich den Mund mit Spitzenberger Äpfeln zu befeuchten, die es in den zahlreichen Buden in der Nähe des Zollgebäudes und des Postamts zu kaufen gab. Auch schickten sie Pfeffernuß häufig nach jener besonderen Sorte von Gebäck – klein, flach, rund und stark gewürzt –, nach dem sie ihm seinen Namen gegeben hatten. An kalten Vormittagen, wenn geschäftlich nicht viel los war, verschlang Puter die Pfeffernüsse zu Dutzenden, als wären