Albert Daiber

Der Weltensegler


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merkwürdigen Gase Argonauton gefüllt.

      Zur Umhüllung der einzelnen Metallgerippe diente das von dem leider zu früh verstorbenen Eßlinger Großindustriellen Wilhelm Weckerle erfundene Gewebe aus Seide und Leinen, das das Staunen und die Vewunderung der gesamten Textilbranche erregte. Die Fäden dieses Gewebes wurden auf eigens dazu gebauten Webstühlen mittels neuer Maschinen auf geistreiche Weise so miteinander verknüpft, daß sie nahezu unzerreißbar und von wunderbarer Glätte wurden. Jeder einzelne der drei Ballons wurde mit dem Stoff umhüllt, dann erst wurde dieser so lange mit Kautschuklösung getränkt, als er aufnahmefähig war. Durch dieses Verfahren wurde der Stoff für das Gas vollständig undurchdringlich gemacht. Nichtsdestoweniger wurde der Vorsicht wegen das Ganze noch mit einer dünnen Kautschukmasse umgeben und auf diese endlich die Pillerinlösung aufgetragen, eine von Professor Piller in Tübingen zu diesem Zwecke hergestellte Eisensilikatflüssigkeit. Sie gab dem Überzuge eine einer Panzerung ähnliche Widerstandskraft, die selbst durch Anwendung größter äußerer Gewalt kaum überwunden werden konnte. Der Ballon stellte so das Ideal des starren Systems des Luftschiffes dar.

      In dieser peinlich genauen Art wurden auch die einzelnen Bestandteile des Ballons behandelt. Die Berechnung war so getroffen, daß auch nach einem etwaigen Verlust der ersten, äußersten Hülle oder, was kaum anzunehmen war, auch der zweiten mittleren, die innerste immer noch als selbständiges Ganzes zu funktionieren und die Gondel zu tragen vermochte.

      Auf diese Weise suchte Professor Stiller allen nur möglichen Gefahren im Weltraum erfolgreich zu trotzen. Jede Ballonhülle war mit einer besonderen Klappe versehen, die vom Gondelinnern aus dirigiert werden konnte.

      Der Ballon war, wie bereits gesagt, mit dem neu entdeckten, spezifisch unendlich leichten Gase Argonauton gefüllt. Kaum noch wägbar (0,01), besaß das Argonauton die unschätzbare Eigenschaft, weder durch enorme Hitze (+1350 Grad), noch durch größte Kälte (-500 Grad) irgendwie in seinem Aggregatzustande beeinflußt oder gar verändert zu werden. Es war zur Zeit noch das einzige wirklich beständige oder permanente Gas, das Rätsel der Gelehrtenwelt.

      Das Gerippe der Gondel bestand aus derselben Art von Röhren und einem Überzuge aus Weckerleschem Gewebe, das in ähnlicher Weise wie der Ballon mit Kautschuk überzogen und mit Pillerinlösung widerstandsfähig gemacht worden war; Außerdem trug die Gondel noch eine dicke Isolierschicht aus Asbest. Im Innern aber war sie dicht mit Pelzwerk ausgeschlagen; galt es doch, dem Wärmeverlust im ungeheuer kalten Ätherraume, dessen Temperatur auf 120 bis 150 Grad Celsius unter Null geschätzt wurde, nach Möglichkeit vorzubeugen. An Sitz- wie Liegegelegenheit fehlte es in der Gondel nicht. Ihr Inneres machte sogar einen äußerst wohnlichen und behaglichen Eindruck. An den Längsseiten der zehn Meter langen und fünf Meter breiten Gondel befanden sich in einer Art von Schränken die Vorräte von den verschiedenartigsten Nahrungsmitteln.

      Unterhalb der Vorratsräume liefen die Leitungen der elektrischen Apparate für Heizung und Beleuchtung des Gondelinnern und diejenigen für die Erneuerung der Luft. Die Fortschritte der technischen Wissenschaften hatten es möglich gemacht, ganz gewaltige Mengen elektrischer Kraft auf einem verhältnismäßig kleinen Raume festzulegen. Auf diese Weise nur war es dem Weltensegler möglich, ohne nennenswerte Mehrbelastung diejenigen Energiemengen an elektrischer Kraft mit sich zu führen, die in ihrer umgesetzten Form als Licht und Wärme nicht nur die Existenz der Gondelbewohner ermöglichen, sondern auch zur Vorwärtsbewegung und Lenkung des Luftschiffes selbst dienen sollten. Für letztere Zwecke waren am Ballonkörper selbst seitwärts, rechts und links, Luftschrauben angebracht, die durch die elektrische Kraft von der Gondel aus in Tätigkeit gesetzt werden konnten. Zur ebenfalls elektrisch betriebenen Steuerung dienten mit dem imprägnierten Weckerleschen Stoffe bespannte, wagrecht wie senkrecht einstellbare große, mit Suevitröhren eingefaßte Flächen. Dadurch war eine Steuerung nach zwei Richtungen hin möglich, horizontal sowohl wie auch vertikal.

      Die in metallene Behälter eingeschlossene feste, kristallinische Luft, im Augenblicke ihres Kontaktes mit äußerer, gasförmiger Luft sofort sich verflüssigend und fein zerstäubend, nahm, trotz großer Vorratsmenge, ebenfalls nicht allzuviel Raum und Gewicht in Anspruch.

      So waren die wichtigsten, elementarsten Bedingungen erfüllt, die das großartige Unternehmen zu einem erfolgreichen Ergebnis führen konnten. Seit sich der Weltensegler im Freien befand, allen Augen sichtbar, strömte eine Menge neugieriger Besucher herbei, um ihn zu bewundern, die Erbauer mit Fragen zu bestürmen und sie um allerlei Auskunft zu bitten. Die Herren Blieder und Schnabel befanden sich nun endlich in dem ihnen am meisten zusagenden Elemente. Sie schwammen förmlich in Stolz, Wonne und erhöhtem Selbstgefühl, waren sie doch in diesem Augenblick die wichtigsten und dank ihrer Intelligenz als Erbauer auch die angesehensten Persönlichkeiten nicht allein Groß-Stuttgarts, sondern sogar der gesamten Welt. Ihre Namen waren in aller Munde. Was konnten sie mehr verlangen? Selten wird einem Irdischen das große Los zuteil, allgemein mit Hochachtung genannt zu werden. Unter den staunenden Besuchern des Cannstatter Wasens waren Vertreter aller möglichen Völker erschienen, Gelehrte und Ungelehrte, Hochkultivierte und Halbwilde, Männer, Frauen und Kinder, war es ja doch seit Monaten schon durch Zeitungen und Spezialberichte überall, diesseits und jenseits der Ozeane, bekannt geworden, daß das große, unerhört verwegene Wagnis einer Reise nach dem fernen Mars anfangs Dezember vom Herzen des Schwabenlandes aus zur Ausführung kommen sollte. Die Namen Blieder und Schnabel waren daher in den fernsten Winkel des Erdballes getragen worden als die kühnen Schöpfer des Luftschiffes, das als erstes die unendlichen Räume des Weltenäthers durchschnitt.

      Mit der Zunahme der Besucher stieg die allgemeine Erregung, als der Tag des Aufstieges des Weltenseglers langsam näher rückte. Nach Hunderttausenden wurden die Fremden geschätzt, die nach Groß-Stuttgart geströmt waren, um das in seiner Art einzige Schauspiel zu sehen, ein Schauspiel, von dem noch in den fernsten Zeiten als von einer wunderbaren Begebenheit gesprochen werden mußte. Nur persönlich dabei zu sein, den Augenblick des Aufstieges in seiner ganzen Wucht der Eigenart auf sich einwirken zu lassen, von diesem einzigen Wunsche waren alle Besucher beseelt. Sie zahlten gewaltige Preise für ihre Unterkunft. Wer mit dem Geld nicht verschwenderisch um sich werfen konnte, fand weit und breit in und um Stuttgart herum keine Unterkunft. Nicht nur waren die Gasthäuser bis unter das Dach hinauf besetzt, nein, auch die Häuser von Privaten waren gefüllt. Noch niemals hatte Stuttgart mit seiner Umgebung einen so ungeheuren Fremdenstrom erlebt, wie in diesen Tagen.

      Auf dem Wasen selbst war das Leben und Treiben der Menschenmenge nachgerade lebensgefährlich geworden. Man stieß und drängte sich förmlich. Überall war ein fürchterliches Pressen und Schieben, dazwischen ein Lachen und Schimpfen und Wettern in allen Sprachen der Völker. Jeder und jede wollte so nahe als möglich an den Weltensegler gelangen, an dieses Wunder der Technik, dieses stolze Erzeugnis wissenschaftlicher Berechnung. Alle wollten das Werk möglichst genau sehen und betrachten, womöglich auch befühlen und einen Blick in die merkwürdig eingerichtete Gondel werfen; sollte diese doch für viele Wochen der Aufenthaltsort der berühmten sieben Gelehrten sein, die ohne Rücksicht auf ihr Leben die einem Märchen gleiche Reise nach einer andern Welt unternahmen, einer Welt, die in schwindelerregend weiter Ferne von der Erde sich befand.

      Die Meinungen über das Gelingen oder Mißlingen der Expedition waren beim Publikum noch immer geteilt. Darüber aber waren sich alle einig, daß das Unternehmen an Kühnheit und Großartigkeit alles in den Schatten stellte, was die Welt bisher gesehen, und daß die Männer der Expedition an Mut und Entschlossenheit nicht ihresgleichen fanden.

      So war der 7. Dezember herangekommen, der ewig denkwürdige Tag, an dem nachmittags punkt vier Uhr der Aufstieg des Weltenseglers stattfinden sollte. Kurz nach Tagesanbruch war Professor Stiller auf der Baustelle erschienen. Die Herren Blieder und Schnabel befanden sich bereits auf dem Platze und erwarteten den Professor. Ebenso waren sämtliche am Weltensegler beschäftigte Arbeiter angetreten. Der Ballon wie die Gondel wurden einer scharfen, eingehenden Besichtigung unterworfen. Die von Professor Stiller gerügten Ausstände waren beseitigt. Einige kleinere Anstände, die der Professor da und dort noch entdeckte, verbesserten die Arbeiter sehr rasch. Nachdem auch das Kleinste geordnet war, stieg Professor Stiller in die Gondel. Ihm folgten die Herren Blieder und Schnabel sowie einige der ersten Arbeiter.

      Die Taue, mit denen das Riesenluftschiff am Boden befestigt war, wurden vorsichtig gelöst. Langsam, in stolzer Sicherheit erhob sich der Weltensegler