und die Schüler, die einen Geißelhieb bekommen haben, um den Schmerz abzuschütteln.
»Ah! Unglücklicher, ah! kleiner Ausbund,« sagte die Stimme, »ah, Otterngezücht, entferne dich, gehe vade, vade. Erinnere dich, daß ich drei Jahre geduldig gewesen bin, daß es aber Bursche giebt, welche die Geduld des ewigen Vaters ermüden. Heute ist es vorbei und zwar ganz vorbei. Nimm deine Eichhörnchen, nimm deine Frösche, nimm deine Eidechsen, nimm deine Seidenwürmer, nimm deine Maikäfer und gehe zu deiner Tante, gehe zu deinem Oheim, wenn du einen hast, zum Teufel, kurz, wohin du willst, wenn ich dich nur nicht wiedersehe! Vade, vade.«
»O mein guter Herr Fortier, verzeihen Sie mir, erwiderte auf der Treppe eine andere Stimme; ist es denn der Mühe wert, daß Sie so in Zorn geraten über einige armselige kleine Sprachfehler, Solécismen, wie sie es nennen?«
»Drei Barbarismen und sieben Solécismen in einem Thema von fünfundzwanzig Zeilen!« entgegnete die zornige Stimme.
»Das war heute so,« Herr Abbé, »ich gebe zu, der Donnerstag ist mein Unglückstag; wäre aber zufällig morgen meine Aufgabe gut, würden Sie mein heutiges Mißgeschick nicht verzeihen? sprechen Sie, Herr Abbé.«
»Seit drei Jahren wiederholst du mir alle Kompositionstage dasselbe, Taugenichts; und die Prüfung ist auf den ersten November festgesetzt und ich, der ich auf die Bitte deiner Tante Angélique die Schwäche gehabt habe, dich als Kandidat für das in diesem Augenblick beim Seminar von Soissons erledigte Stipendium aufzuführen, ich werde die Schmach erleben, meinen Zögling zurückweisen zu sehen und überall ausrufen zu hören: Ange Pitou ist ein Esel: Angelus Pitovius asinus est.«
Bemerken wir sogleich, damit der wohlwollende Leser Alles Interesse an ihm nimmt, das er verdient, daß Ange Pitou, dessen Name der Abbé Fortier so malerisch latinisirt hatte, der Held dieser Geschichte ist.
»O mein guter Herr Fortier! o mein lieber Lehrer!« erwiderte der Schüler in Verzweiflung.
»Ich dein Lehrer!« rief der Abbé, tief gedemütigt durch diese Benennung. »Gott sei Dank, ich bin eben so wenig dein Lehrer, als du mein Schüler bist; ich verleugne dich, ich kenne dich nicht! ich wollte, ich hätte dich nie gesehen, ich verbiete dir mich zu nennen, und sogar, mich zu grüßen. Retro, Unglücklicher, retro!«
»Herr Abbé,« beharrte der unglückliche Pitou, für den es von ernstem Interesse zu sein schien, daß er sich nicht mit seinem Lehrer entzweite, Herr Abbé, »ich flehe Sie an, entziehen Sie mir nicht Ihre Teilnahme wegen einer verstümmelten Aufgabe.«
»Ah!« rief außer sich gebracht durch diese letzte Bitte der Abbé, indem er die vier ersten Stufen hinabstieg, während durch eine gleiche Bewegung Ange Pitou die vier letzten hinabeilte und im Hofe zu erscheinen anfing, »ah, du machst Logik, während du nicht einmal ein Thema machen kannst; du berechnest die Kräfte meiner Geduld, während du nicht einmal den Nominativ vom Accusativ zu unterscheiden weist?«
»Herr Abbé, Sie sind so gut gegen mich gewesen, daß Sie nur ein Wort zum hochwürdigsten Bischof, der uns prüft, zu sagen brauchen,« erwiderte der Barbarismenmacher.
»Ich Unglücklicher soll wider mein Gewissen lügen?«
»Wenn es einer guten Handlung wegen geschieht, so wird Ihnen unser Herrgott verzeihen.«
»Nie! nie!«
»Und dann, wer weiß? Die Examinatoren werden vielleicht nicht strenger gegen mich sein, als sie es zu Gunsten von Sebastian Gilbert, meinem Milchbruder, gewesen sind, als er sich im vergangenen Jahr um das Stipendium bewarb. Er war doch ein Barbarismenmacher, Gott sei Dank! obgleich er erst dreizehn Jahre zählt und ich siebzehn.«
»Ah! das ist doch einfältig,« rief der Abbé, der die übrigen Stufen vollends herabstieg und nun mit seiner Geißel in der Hand ebenfalls erschien, während Pitou klugerweise zwischen sich und seinem Professor die erste Entfernung behauptete. »Ja, ich sage einfältig,« fügte er, die Arme kreuzend und seinen Schüler mit Entrüstung anschauend, bei. »Das ist also der Preis meiner Lektionen in der Dialektik! dreifaches Tier! erinnerst du dich so des Axioms: Noti minora, loqui majora volens. Gerade weil Gilbert jünger war als du, ist man nachsichtig gegen ein vierzehnjähriges Kind gewesen, während man es nicht gegen einen großen Dummkopf von achtzehn Jahren sein wird.«
»Ja, und auch weil er der Sohn von Herrn Honoré Gilbert ist, der achtzehntausend Livres Einkünfte aus guten Gütern nur auf der Ebene von Pilleleux hat,« erwiderte mit kläglichem Ton der Logiker.
Der Abbé Fortier schaute Pitou, die Lippen vorstreckend und die Stirne faltend, an.
»Das ist minder dumm,« brummte er, nachdem er seinen Schüler stillschweigend einen Augenblick betrachtet hatte. »Indessen ist es nur scheinbar und nicht begründet.«
»Oh, wenn ich der Sohn eines Mannes von achtzehntausend Livres Rente wäre!« wiederholte Ange Pitou, der bemerkt zu haben glaubte, seine Antwort habe einigen Eindruck auf seinen Professor gemacht.
»Ja, doch du bist es nicht. Dagegen bist du unwissend wie der Bursche, von dem Juvenal spricht; eine profane Citation, – der Abbé bekreuzte sich – aber nicht minder richtig. Arcadius Juvenis. Ich wette, daß du nicht einmal weißt, was Arcadius sagen will.«
»Bei Gott! arcadisch,« antwortete Ange Pitou, indem er sich mit Stolz aufrichtete.
»Und dann weiter?«
»Was weiter?«
»Arcadien war das Land der Esel und bei den Alten wie bei uns Asinus synonym mit stultus.«
»Ich wollte die Sache nicht so verstehen, sagte Pitou, indem der Gedanke, der strenge Geist, meines würdigen Professors könnte sich bis zur Satire erniedrigen, weit von mir entfernt war.«
Und der Abbé Fortier schaute ihn zum zweiten Male mit nicht minder tiefer Aufmerksamkeit als das erste Mal an.
»Bei meinem Wort,« murmelte er, ein wenig besänftigt durch den Weihrauch seines Schülers, »es giebt Augenblicke, wo man darauf schwören würde, der Bursche sei nicht so dumm, als er aussieht.«
»Ah! Herr Abbé,« sagte Pitou, der, wenn nicht die Worte des Professors gehört, doch in seinem Gesicht den Ausdruck der Rückkehr zum Mitleid erhascht hatte, »verzeihen Sie mir, und Sie sollen sehen, welch ein schönes Thema ich morgen machen werde.«
»Nun denn, ich willige ein, erwiderte der Abbé, indem er zum Zeichen des Waffenstillstands seine Geißel in seinen Gürtel steckte und sich Pitou näherte, der auf diese friedliche Demonstration an seinem Platze zu bleiben sich entschloß.
»Oh! ich danke, ich danke!« rief der Schüler.
»Warte und danke nicht so rasch; ja ich verzeihe dir, doch unter einer Bedingung.«
Pitou neigte das Haupt und wartete mit Resignation, da er der Willkür des Lehrers anheimgegeben war.
»Unter der, daß du mir ohne Fehler auf eine Frage antwortest, die ich an dich richten werde.«
»In lateinischer Sprache?« fragte Pitou ängstlich.
»Lateinisch,« erwiderte der Professor.
Pitou stieß einen Seufzer aus.
In einem kurzen Zwischenraume, der nun eintrat, drangen die freudigen Schreie der Schüler, welche auf dem Schloßplatz spielten, bis zu den Ohren von Ange Pitou.
Pitou stieß einen noch tieferen Seufzer aus.
»Quid virtus, quid religio?« fragte der Abbé.
Mit dem Nachdruck des Pädagogen ausgesprochen, erschollen diese Worte in den Ohren des armen Pitou wie der Trompetenstoß des Engels vom jüngsten Gericht. Eine Wolke zog vor seinem Auge hin, und es ging in seinem Verstande eine solche Anstrengung vor, daß er einen Augenblick die Möglichkeit, ein Narr zu werden, begriff.
Infolge dieser Hirnarbeit, die, so gewaltig sie war, doch kein Resultat herbeiführte, ließ die verlangte Antwort unbestimmte Zeit auf sich warten; man hörte nun das gedehnte Geräusch einer Prise Tabak, welche langsam der furchtbare Frager schnupfte.
Pitou sah wohl, daß er ein Ende machen mußte.
»Nescio,«