Der junge Mann versuchte leise zu widerstehen. In diesem Augenblicke ertönte ein noch heftigerer Schlag auf den Gong, daß das ganze Haus davon widerhallte. Die junge Friesin sammelte alle ihre Kräfte, stieß die Thür auf und Eusebius hinaus, der sich so auf der Straße befand, bevor er noch seine Adresse hatte angeben können. Er hörte dann sogleich, wie die Thür wieder verschlossen und verriegelt wurde und dies geschah mit einem Eifer, welcher bewies, daß der Doctor Basilius in seinem Hause eine strenge Autorität ausübe.
Er rief die Holländerin, indeß vergebens, Keine Stimme antwortete ihm. Er wollte ein Gespräch anknüpfen, doch das Licht, welches bis dahin geschimmert hatte, verschwand.
»Acht« rief er verzweiflungsvoller wie je, »das ist ein grausamer Spott, und um sich meiner zu entledigen, hat das junge Mädchen mir gesagt, der Doctor Basilius würde meine Frau besuchen. Wie sollte ihm dies möglich sein, da er meine Adresse nicht kennt und das Haus überdies am äußersten Ende der oberen Stadt liegt, in einem der namenlosen Gäßchen, welche an das chinesische Viertel grenzen!«
Er rief von Neuem und als er wieder keine Antwort erhielt, brach er in Klagen aus.
»Mein Gott! mein Gott!« sagte er dumpf in sich hinein, »sollen denn alle diese Bemühungen vergeblich gewesen sein? Der unglückselige Arzt kann meine Wohnung in der Dunkelheit nimmermehr finden und wenn der Tag anbricht, ist meine arme Esther todt.«
Er verdoppelte sein Geschrei, und als im Hause Alles still blieb, erhob er das Stück Holz, dessen er sich schon früher bedient hatte und stieß es mit aller Gewalt gegen die Thür, um die Aufmerksamkeit der Bewohner zu erwecken. Doch Alles blieb nutzlos; das Haus schien ausgestorben zu sein und nur das Echo antwortete auf die Schläge des armen Eusebius van der Beek.
II
Der Doctor Basilius
Eusebius dachte nach diesen Versuchen, das Beste würde sein, wenn er wartete, bis Doctor Basilius sein Haus verließe, wie er dies zu thun versprochen hatte; dann wollte er ihn anreden und ihm bis zu seiner Wohnung führen.
Der Sturm dauerte noch immer fort, das Toben des Meeres und das Pfeifen des Windes hatten sich nicht vermindert. Der Regen stürzte mit solcher Gewalt herab, daß es schien, als wären die Wolken durch Wasserstrahlen mit der Erde vereinigt. Aber der Schmerz, den Eusebius empfand, war so gewaltig und sein Geist von dem, was um ihn her vorging, so weit entfernt, daß er nicht einmal daran dachte, unter den Theerdecken Schutz zu suchen und frei dem Regen ausgesetzt blieb. Uebrigens glich der Sturm der Elemente nur dem in seinem Innern.
So wartete er eine Stunde lang. Als er denn sah, daß die Thür noch immer geschlossen blieb und daß kein Geräusch im Innern des Hauses verrieth, der Doctor treffe Anstalt, sein Versprechen zu erfüllen, klopfte er abermals wüthend an die Thür. Doch wieder vergebens. Jetzt fühlte er sich entmuthigt, vernichtet, überzeugt, daß die junge Holländerin seiner Leichtgläubigkeit gespottet hatte und daß der Doctor sich seinetwegen nicht bemühen wolle. Er kehrte daher niedergeschlagen auf dem Wege zurück, den wir ihn kommen sahen. Auf der Hälfte der Anhöhe blieb er stehen, um noch einen letzten Blick zurückzuwerfen. Soweit seine Augen bei der Dunkelheit und dem stürzenden Regen reichten, war die Straße öde.
»Ha, der Elende!« rief er, die Arme emporstreckend, als wollte er den Fluch Gottes auf ihn herabrufen. »Er hat in seinen Händen die Rettung eines seiner Mitmenschen und er hält sie geschlossen, weil man kein Geld hat, es ihm zum Austausch für ein Leben zu geben.«
Dann blickte er rings an dem Horizont umher und sagte: »Arme Esther, Du bist verurtheilt und ich kann keine barmherzige Seele finden, Dich dem unerbittlichen Schicksal zu entreißen, mit zwanzig Jahren zu sterben! Doch ich will kämpfen bis zum Ende und Dein Leben vertheidigen, bis Gott selbst es meinen Händen entreißt.«
Als hätte er einen Entschluß gefaßt, lief er plötzlich wie wüthend vorwärts, hatte nach wenigen Secunden den Berg vollends erstiegen und klopfte an die Thür der Wohnung eines der berühmtesten Aerzte Batavias. Auch dort weigerte sich die Dienerschaft, ihn bis zu ihrem Herrn vorbringen zu lassen. Doch Dieser hörte sein Geschrei, seine Thränen, seine Bitten, und kam zu ihm. Eusebius setzte ihm seinen Wunsch auseinander.
»Von welcher Krankheit ist Ihre Frau ergriffen?« fragte der Arzt.
»Die Aerzte haben sie bisher auf Schwindsucht behandelt,« erwiederte Eusebius.
Der Arzt schüttelte den Kopf, ging zu einem Tische, schrieb einige Zeilen auf ein Stück Papier und reichte dieses dem jungen Manne, indem er sagte: »Lassen Sie ihre Frau morgen nach dem Hospitale bringen; hier ist eine Anweisung zum Eintritte. Verlangen Sie für sie ein Bett, indem Saale D und ich werde ihr meine Aufmerksamkeit widmen. Aber ich darf Ihnen nicht verhehlen, daß diese Krankheit, in Europa beinahe immer tödtlich, hier nicht ein einziges Beispiel der Heilung bietet, obgleich dieser Empyriker Basilius behauptet, er könne die Schwindsüchtigen im dritten Grade (Stadium) heilen.«
»Basilius! Immer wieder Basilius!« rief Eusebius, indem er zum Zimmer hinausstürzte, ohne auch nur die Schrift anzunehmen, die der Doctor ihm bot. »Ha! Er muß kommen, er muß sie sehen und sollte ich ihn mit dem Tode bedrohen, um ihn dahin zu bringen, sollte ich Feuer an sein Haus legen, damit er es verläßt und ich ihn zu Esther schleppen kann!«
Außer sich über den Vorschlag, seine Frau nach dem Hospital bringen zu lassen, wollte Eusebius zurückkehren, um seine Drohung auszuführen, als er überlegte, daß er seine Wohnung schon vor längerer Zeit verlassen hatte, daß Esther seitdem allein war und daß sie seines Verstandes vielleicht dringend bedurfte.« Der Gedanke, daß Esther ihn riefe und daß das arme Geschöpf vielleicht glaubte, er hätte sie verlassen, brach ihm das Herz. Statt nach dem Hafen zurückzukehren, eilte er vorwärts nach der oberen Stadt. Einige Zeit ging er an den Mauern entlang, welche die Gärten der prachtvollen Villa’s der reichen Holländer umgaben; dann drang er in die verworrene Masse der schmutzigen und ungesunden Gassen, welche die Juden bewohnen, die gleich den Chinesen und Malayen in Batavia ihr eigenes Viertel haben. Endlich kam er zu seinem Hause. Es war ein Gebäude, das, ursprünglich von Bambus aufgeführt, allmälig aber in Verfall gerathen und mit Stücken von Matten und Segeltuch ausgebessert war. Man konnte sich nichts Elenderes denken, als diese Wohnung; sie hatte nur ein Erdgeschoß. Ein schwacher Lichtschimmer drang durch eine Matte, die zugleich als Thür und als Fenster diente. Das Licht rührte von der Nachtlampe her, die neben dem Bett der Kranken brannte. Als Eusebius es sah, erbebte er.
»Ach, mein Gott!« sagte er, »so schwach auch dieses Licht ist, hat es doch vielleicht meine arme Esther überlebt.«
Seine Angst war so gewaltig, daß er zögerte, einzutreten. Endlich sammelte er seine Kräfte, hob die Matte auf, eilte in das Zimmer und zu der Matratze, auf welcher Esther ruhte. Die junge Frau lag regungslos und schien zu schlafen. Ihre Augen waren geschlossen, ihr Mund halb geöffnet, ihr Athem unhörbar.
»Ach,« sagte Eusebius, »sie schläft!« Dann fuhr ihm ein anderer, fürchterlichen Gedanke durch den Kopf wie ein finsterer Blitz. Er beugte sich über die Lippen der Schlafenden, um ihren Athem zu hören, als eine Art von Gekicher, welches aus einer Ecke des Zimmers ertönte, ihn erbeben machte. Er wendete sich um und erblickte indem Halbdunkel einen Mann, der, aus einem Bambusschemel saß und im Munde eine Pfeife hielt, die seine Athemzüge glühend machten wie einen Ofen.
»He! he! he!« sagte dieser Mann, »es scheint, Sie sind um die Schule gegangen, mein junger Freund! Denn obgleich der Weg von dem Hafendamme bis hierher weit ist, warte ich doch schon länger als eine Stunde auf Sie.«
»Wer sind Sie, mein Herr?« rief Eusebius verwundert.
»Ei, der Doctor Basilius,« entgegnete der Raucher.
Eusebius wendete hierauf seinen Blick auf den sonderbaren Gast, der sich bei ihm eingeführt hatte. Der Doctor Basilius war ein dicker, kurzer, rundbäuchiger Mensch und dies widerlegte die geheimnißvollen Gerüchte, welche über diabiabolische Natur des Doctors in Umlauf waren, denn man ist gewohnt, sich Satan lang und mager zu denken.
Es wäre schwierig gewesen, sein Alter genau zu bestimmen. Er konnte ebenso gut 35 Jahre alt sein und älter aussehen, wie er war, oder 55 und jünger erscheinen. Sein Gesicht hatte jene ziegelrothe Farbe, wie man sie häufig bei Menschen findet, die dem