Александр Дюма

Der Graf von Bragelonne


Скачать книгу

so glaubt Ihr? . . . «

      »Ich glaube, daß der Herr Lieutenant von den Musketieren mehr wußte, als er sagen wollte.«

      »Es ist also Eure Ansicht, daß Herr d’Artagnan . . . «

      »Aller Wahrscheinlichkeit nach folgt er in größter Eile den Verbannten, um alle ersprießlichen Schritte für den günstigen Erfolg der Liebe des Königs zu thun.«

      So plaudernd kamen die zwei Vertrauten vor die Thüre des Cabinets Seiner Eminenz. Der Cardinal hatte die Gicht nicht mehr; er ging voll Angst in seinem Zimmer auf und ab, horchte auf die Thüren und schaute nach den Fenstern.

      Bernouin trat ein, gefolgt von dem Cavalier, der vom König Befehl hatte, den Brief Seiner Eminenz eigenhändig zu übergeben. Mazarin nahm den Brief, doch ehe er in öffnete, componirte er sich ein den Umständen angemessenes Lächeln, ein bequemes Mittel, die Gemüthsbewegungen, welcher Art sie auch sein mochten, zu verbergen. Auf diese Weise konnte der Eindruck, den der Brief auf ihn hervorbrachte, sich nicht durch den mindesten Reflex auf seinem Gesichte verrathen.

      »Gut,« sagte er, als er den Brief gelesen und noch einmal gelesen hatte, »vortrefflich, mein Herr; meldet dem König, daß ich ihm für seinen Gehorsam gegen die Wünsche der Königin Mutter danke, und daß ich Alles thun werde, um seinen Willen in Erfüllung zu bringen.«

      Der Cavalier ging ab. Kaum war die Thüre geschlossen, als der Cardinal, der für Bernouin keine Maske hatte, diejenige abwarf, welcher er sich einen Augenblick zu Verhüllung seiner Physiognomie bedient hatte, und mit seinem düstersten Ausdruck zu seinem Kammerdiener sagte:

      »Ruft mir Herrn von Brienne.«

      Nach fünf Minuten trat der Secretaire ein.

      »Mein Herr,« sprach Mazarin, »ich habe der Monarchie einen großen Dienst geleistet, den größten, den ich ihr vielleicht je geleistet. Ihr werdet diesen Brief, der dies beglaubigt, zu Ihrer Majestät der Königin Mutter bringen, und wenn sie ihn Euch zurückgegeben hat, legt Ihr ihn in den Carton B, der von Documenten und Acten bezüglich auf meinen Dienst voll ist.«

      Brienne trat wieder ab, und da dieser so interessante Brief entsiegelt war, so verfehlte er nicht, ihn unter Weges zu lesen. Es versteht sich von selbst, daß Bernouin, der mit aller Welt gut stand, nahe genug auf den Secretaire zutrat, um über seine Schulter lesen zu können. Die Nachricht verbreitete sich mit solcher Schnelligkeit im Schloß, daß Herr von Mazarin einen Augenblick befürchtete, sie könnte zu den Ohren der Königin gelangen, ehe Herr von Brienne ihr den Brief von Ludwig XIV. überreicht hätte. Ein paar Minuten nachher waren alle Befehle zum Ausbruch ertheilt und Herr von Condé, der den König bei seinem angeblichen Lever begrüßt hatte, schrieb in seine Tabletten die Stadt Poitiers als Aufenthalts- und Ruheort für Ihre Majestäten ein.

      So entwickelte sich in einigen Augenblicken eine Intrigue, welche auf eine dumpfe Weise alle Diplomatien Europas beschäftigt hatte. Sie hatte indessen keinen andern klaren und scharf sich herausstellenden Erfolg, als daß ein armer Lieutenant der Musketiere seine Stelle und seine Anwartschaft auf erfreulichere Glücksumstände verlor, wogegen er aber seine Freiheit gewann.

      Wir werden bald erfahren, wie Herr d’Artagnan diese Freiheit benützte. Für jetzt müssen wir, wenn es uns der Leser erlauben will, nach dem Gasthause zu den Medicis zurückkehren, in welchem sich ein Fenster in dem Augenblick öffnete, wo im Schloß die Befehle zur Abreise des Königs gegeben wurden.

      Dieses Fenster, das sich öffnete, war das von einem der Zimmer von Karl. Den Kopf in seinen beiden Händen und die Ellenbogen auf einem Tisch, hatte der unglückliche König die Nacht in Thränen hingebracht, während der alte, schwächliche Parry, müde an Körper und Geist, in einem Winkel eingeschlafen war. Er hatte ein seltsames Schicksal, dieser getreue Diener, der bei der zweiten Generation die schreckliche Reihenfolge von Unglücksfällen, die auf der ersten gelastet, wieder anfangen sah. Als Karl II. die neue Niederlage, die er erlitten, wohl überdacht, als er die völlige Vereinzelung begriffen hatte, in die er, da seine neuste Hoffnung abermals entschwunden, versunken war, da ergriff ihn ein Schwindel und er fiel rückwärts in den Lehnstuhl, auf dessen Rand er gesessen hatte.

      Nun aber bekam Gott Mitleid mit dem unglücklichen Prinzen und sandte ihm den Schlaf, den unschuldigen Bruder des Todes. Er weckte ihn erst um halb sieben Uhr, als die Sonne bereits in sein Zimmer schien und Parry, unbeweglich, aus Furcht, ihn aufzuwecken, mit tiefem Schmerz die schon durch das Wachen gerötheten Augen, die schon durch das Leiden und die Entbehrungen gebleichten Wangen betrachtete.

      Endlich erwachte Karl beim Lärmen einiger schweren Wagen, welche gegen die Loire hinabfuhren. Er stand auf, schaute umher wie ein Mensch, der Alles vergessen hat, erblickte Parry, drückte ihm die Hand und befahl ihm, die Rechnung mit Meister Cropole in Ordnung zu bringen. Genöthigt, mit Parry zu rechnen, entledigte sich Meister Cropole dieses Geschäftes als ein ehrlicher Mann, was nicht zu leugnen ist; er machte nur seine gewöhnlichen Bemerkungen, nämlich daß die zwei Reisenden nichts gegessen, was ein doppelter Nachtheil für sein Haus sei, einmal, weil es demüthigend für seine Küche erscheinen müsse, und dann, weil es ihn nöthige, den Preis für ein Mahl zu verlangen, das unbenutzt geblieben, darum aber nicht minder verloren gehe. Parry wußte nichts hiergegen zu bemerken und bezahlte.

      »Ich hoffe,« sagte der König, »es wird nickt dasselbe bei den Pferden der Fall gewesen sein . . . Ich ersehe aus Eurer Rechnung nicht, daß sie gefressen haben, und es wäre ein Unglück für Reisende, denen eine lange Reise bevorsteht, geschwächte Pferde zu finden.«

      Doch bei diesem Zweifel nahm Cropole seine majestätische Miene an und erwiederte, die Krippe der Medicis sei nicht minder gastfreundlich, als ihre Speisekammer.

      Der König stieg also zu Pferde. Sein alter Diener that dasselbe, und Beide schlugen den Weg nach Paris ein, beinahe ohne daß sie irgend Jemand in den Straßen und in den Vorstädten der Stadt begegneten.

      Für den Prinzen war der Schlag um so grausamer, als eine neue Verbannung darin lag. Die Unglücklichen hängen sich an die kleinsten Hoffnungen an, wie die Glücklichen an das größte Glück, und wenn sie den Ort, wo diese Hoffnung ihrem Herzen geschmeichelt hat, verlassen müssen, fühlen sie den tödtlichen Kummer, den der Verbannte fühlt, wenn er den Fuß auf das Schiff setzt, das ihn in die Verbannung fortführen soll. Das schon oft verwundete Herz leidet offenbar bei dem geringsten Stich: es betrachtet wie ein Gut die augenblickliche Abwesenheit des Uebels, welche nur die Abwesenheit des Schmerzes allein ist; in das gräßlichste Unglück hat Gott die Hoffnung geworfen, wie jenen Wassertropfen, den der böse Reiche in der Hölle von Lazarus forderte.

      Einen Augenblick war die Hoffnung von Karl II. mehr als eine flüchtige Freude gewesen. Dies war so, als er sich von seinem Bruder Ludwig gut aufgenommen sah. Da hatte sie einen Körper angenommen und sich zur Wirklichkeit gestaltet; dann aber hatte plötzlich wieder die Weigerung von Mazarin die scheinbare Wirklichkeit in den Zustand eines Traumes versenkt. Das so bald von Ludwig XIV. zurückgenommene Versprechen war nur ein Hohn gewesen. Ein Hohn wie seine Krone, wie sein Scepter, wie seine Freunde, wie Alles, was seine königliche Kindheit umgeben und seine geächtete Jugend verlassen hatte. Hohn! Alles war Hohn für Karl II. außer der kalten, schwarzen Ruhe, die ihm der Tod versprach.

      Dies waren die Gedanken des unglücklichen Prinzen, als er über sein Roß gebeugt, dem er die Zügel überließ, unter der warmen, milden Sonne des Monats Mai hinritt, in der die finstere Menschenfeindlichkeit des Verbannten eine letzte Verspottung seines Schmerzes sah.

       II.

      Remember!

      Ein Reiter, der rasch auf der Straße, welche gegen Blois hinaufführte, einherkam, kreuzte die zwei Reisenden und lüpfte, so große Eile er auch hatte, seinen Hut, als er an ihnen vorüberritt. Der König merkte kaum auf diesen jungen Mann, denn der Reiter, der sie kreuzte, war ein junger Mann von vierundzwanzig bis fünfundzwanzig Jahren, der sich zuweilen umwandte und freundschaftliche Zeichen einem andern Mann machte, welcher vor dem Gitter eines schönen Hauses stand: dieses Haus war weiß und roth, nämlich von Backstein und Stein, hatte ein Schieferdach und lag links von der Straße, der der Prinz folgte.

      Dieser Mann, ein großer, magerer Greis mit weißen Haaren, –