ist nicht meine Geliebte,« erwiderte der junge Seemann mit ernstem Tone, »es ist meine Braut.«
»Dies ist zuweilen ganz dasselbe,« versetzte der Reeder lachend.
»Nicht für uns, mein Herr,« antwortete Dantes.
»Gut, gut, mein lieber Edmond.« fuhr der Reeder fort, »ich will Sie nicht aufhalten. Sie haben meine Angelegenheiten so betrieben, daß ich Ihnen jede Muße gönne, um die Ihrigen abzumachen. Brauchen Sie Geld?«
»Nein, mein Herr. ich habe meinen ganzen Reisegehalt, das heißt, beinahe drei Monate Sold.«
»Sie sind ein geordneter junger Mann, Edmond.«
»Fügen Sie bei, daß ich einen armen Vater habe.«
»Ja, ja, ich weißt Sie sind ein guter Sohn. Gehen Sie also zu Ihrem Vater: ich habe auch einen Sohn, und ich wäre demjenigen sehr gram, welcher ihn nach einer Reise von drei Monaten fern von mir halten wurde.«
»Sie erlauben also?« sprach der junge Mann sich verbeugend.
»Ja, wenn Sie mir nichts mehr zu sagen haben.«
»Nein.«
»Hat Ihnen nicht der Kapitän Leclère sterbend einen Brief für mich gegeben?«
»Es war ihm unmöglich zu schreiben, mein Herr; doch dies erinnert mich, daß ich mir auf einige Tage Urlaub von Ihnen zu erbitten habe.«
»Um zu heiraten?«
»Einmal, und dann um nach Paris zu reisen.«
»Gute gut. Sie nehmen sich so viel Zeitz als Sie wollen. Dantes. Zum Löschen des Schiffes bedarf man wohl sechs Wochen und vor drei Monaten gehen wir nicht wieder in See. Sie müssen also erst in drei Monaten hier sein. Der Pharaon,« fuhr der Reeder, den jungen Menschen auf die Schulter klopfend, fort, »könnte nicht ohne seinen Kapitän abgehen.«
»Ohne seinen Kapitän?« rief Dantes mit funkelnden Augen, »geben Sie wohl auf das Achte was Sie mir sagen; denn Sie entsprechen den geheimsten Hoffnungen meines Herzens. Es wäre also Ihre Absicht, mich zum.Kapitän des Pharaon zu ernennen?«
»Wenn ich allein wäre, würde ich Ihnen die Hand reichen, mein lieber Dantes, und sagen: Es ist abgemacht! Aber ich habe einen Associé, und Sie kennen das italienische Sprichwort: Che a compagno a padrone. Doch die Hälfte des Geschäftes ist wenigstens abgeschlossen, denn von zwei Stimmen haben Sie bereits eine. Überlassen Sie es mir, Ihnen die andere zu verschaffen, und ich werde mein Möglichstes tun!«
»O Herr Morrel!« rief der junge Seemann und ergriff, Tränen in den Augen, die Hände des Reeders, »Herr Morrel, ich danke Ihnen im Namen meines Vaters, im Namen von Mercedes.«
»Es ist gut, es ist gut, Edmond, es gibt einen Gott im Himmel für die braven Leute! Besuchen Sie Ihren Vater, besuchen Sie Mercedes und kommen Sie dann zu mir zurück.«
»Soll ich Sie nicht an das Land führen?«
»Nein, ich danke, ich bleibe hier, um meine Rechnung mit Danglars zu ordnen. Sind Sie während der Reise mit ihm zufrieden gewesen?«
»Das kommt auf den Sinn an, in welchem Sie diese Frage an mich richten, mein Herr. In Beziehung auf den guten Kameraden, nein, denn ich glaube, er liebt mich nicht mehr seit dem Tage, wo ich in Folge eines kleinen Streites, den wir mit einander hatten, die Dummheit beging, ihm vorzuschlagen, zehn Minuten an der Insel Monte Christo anzuhalten, um den Streit auszumachen; ein Vorschlag, den ich zu tun Unrecht hatte, und den er mit Recht zurückwies. Richten Sie diese Frage in Beziehung auf den Rechnungsführer an mich, so glaube ich, daß nichts zu sagen ist, und daß Sie mit der Art und Weise, wie er sein Geschäft betrieben hat, zufrieden sein werden.«
»Doch lassen Sie hören,« sagte der Reeder, »wenn Sie Kapitän des Pharaon währen, würden Sie Danglars mit Vergnügen behalten?«
»Kapitän oder Second,« antwortete Dantes, »ich werde stets die größte Achtung vor denjenigen haben, welche das Vertrauen meiner Reeder besitzen.«
»Schön, schön, Dantes, ich sehe, daß Sie in jeder Beziehung ein braver Junge sind; ich will Sie nicht länger aufhalten, denn Sie stehen gewiss auf glühenden Kohlen.«
»Ich habe also meinen Urlaub?« fragte Dantes.
»Gehen Sie, sage ich Ihnen.«
»Erlauben Sie mir, daß ich Ihren Kahn nehme?«
»Nehmen Sie ihn immerhin.«,
»Auf Wiedersehen, Herr Morrel, und tausend Dank.«
»Auf Wiedersehen, mein lieber Edmond, und viel Glück.«
Der junge Seemann sprang in den Kahn, setzte sich in das Hinterteil und gab Befehl, an der Cannebière zu landen.
Zwei Matrosen beugten sich sogleich über die Ruder, und der Rachen glitt hing so rasch als es nur möglich ist, dies mitten unter den taufend Barken zu tun, welche den schmalen Weg versperren, der zwischen zwei Reihen von Schiffen durch von dem Eingang des Hafens nach dem Quai d’Orleans führt.
Der Reeder folgte ihm lächelnd mit den Augen bis zum Quai, sah ihn auf die Platten desselben springen und sich unter der buntscheckigen Menge verlieren, welche von neun Uhr Morgens bis neun Uhr Abends die berühmte Rue de la Cannebière durchströmt, auf welche die neuen Phocäer so stolz sind, daß sie mit dem größten Ernste der Welt und mit dem Tone, der ihren Worten so viel Charakter verleiht, sagen: »Wenn Paris die Cannebière hättet so wäre Paris ein kleines Marseille.«
Sich umwendend, erblickte der Reeder Danglars hinter sich, welcher dem Anscheine nach seine Befehle zu erwarten schien, in Wirklichkeit, aber, wie er, dem jungen Seemann mit dem Blicke folgte. Nur war ein großer Unterschied in dem Ausdruck dieses doppelten Blickes, der demselben Menschen folgte.
Zweites Kapitel.
Der Vater und der Sohn
Lassen wir es Danglars, von dem Geiste des es getrieben, versuchen, eine boshafte Mutmaßung gegen seinen.Kameraden dem Reeder in das Ohr zu flüstern, und folgen wir Dantes, der, nachdem er die Cannebière in ihrer ganzen Länge durchlaufen hat, den Weg in die Rue de Noailles einschlägt, in ein kleines, auf der rechten Seite der Allée de Meillan gelegenes Haus tritt, rasch die vier Stockwerke einer dunkeln Treppe hinaufsteigt und, sich mit der einen Hand am Geländer haltend, mit der andern die Schläge seines Herzens zurückdrängend, vor einer halb geöffneten Thüre, welche bis in den Hintergrund eines Zimmers sehen läßt, stehen bleibt.
Dieses Zimmer war das von dem Vater von Dantes bewohnte.
Die Nachricht von der Ankunft des Pharaon war noch nicht bis zu dem Greise gedrungen, der, auf einem Stuhle sitzend, mit zitternder Hand einige Kapuziner vermischt mit Rebwinden, die sich am Gitter seines Fensters hinaufrankten, durch Stäbe zusammenzuhalten suchte. Plötzlich fühlte er sich von Armen umfaßt, und eine wohl bekannte Stimme rief hinter ihm:
»Mein Vater, mein guter Vater!«
Der Greis stieß einen Schrei aus und wandte sich um, dann seinen Sohn erblickend, warf er sich bebend und bleich in seine Arme:
»Was hast Du denn, Vater?« rief der junge Mann unruhig, »solltest Du krank sein?«
»Nein, nein, mein lieber Edmond, mein Sohn mein Kind, nein, ich erwartete Dich nicht, und die Freude, die Erschütterung bei Deinem unvorhergesehenen Anblick . . . ach! mein Gott, ich glaube, ich sterbe.«
»Beruhige Dich doch, mein Vater, ich bin es, ich! Man sagt, die Freude könne nicht schaden, und darum bin ich hier ohne Vorbereitung eingetreten. Sieh mich an, lächle mir zur statt mich, wie Du es thust, mit irren Augen anzuschauen. Ich komme zurück, und wir werden glücklich sein.«
»Ah, desto besser. mein Junge,« versetzte der Greis; »aber wie werden wir glücklich sein? Du verläßt mich also nicht mehr? Erzähle mir von Deinem Glücke.«
»Der Herr verzeihe mir,« erwiderte der junge Mann, »daß ich mich über ein mit der Trauer einer Familie gemachtes Glück freue. Aber Gott weiß, daß ich dieses Gluck nicht gewünscht hätte; es kommt, und ich besitze nicht die Kraft, mich darüber zu bekümmern. Der brave Kapitän