hat sich nicht fangen lassen, weil er der schwarze Wolf des Holzschuhmachers Thibault ist.«
»Es kann aber doch nicht der schwarze Wolf des Holzschuhmachers Thibault sein, denn Du gibst ja selbst zu, daß der Wolf, der die Schafe des Herrn Destournelles erwürgte, grau war.«
»Er ist allerdings jetzt grau, Herr General; aber zur Zeit: des Holzschuhmachers Thibault, d. h. vor dreißig Jahren war er schwarz; sehen Sie, vor dreißig Jahren war ich auch rabenschwarz, und jetzt bin ich so grau wie der Doctor.«
Der Doctor war eine Katze, der ich in meinen Memoiren eine beziehungsweise Berühmtheit zu schaffen versucht habe; man nannte sie Doctor wegen des prächtigen Pelzes, womit die Natur sie ausgestattet hatte.
»Ja,« sagte mein Vater, »ich kenne Deine Geschichte von dem Holzschuhmacher Thibault. Aber, Mocquet, wenn der schwarze Wolf der Teufel ist, wie Du behaupten, so kann er sich nicht verändern.«
»Doch, Herr General; nur braucht er hundert Jahre, bis er ganz weiß wird, und Nachts um zwölf Uhr, wenn das hundertste Jahr anfängt, wird er wieder kohlschwarz.«
»Das will ich gelten lassen, Mocquet; nur bitte ich Dich, daß Du diese schöne Geschichte da meinem Sohne nicht erzählst, ehe er wenigstens fünfzehn Jahre alt ist.«
»Warum das, Herr General?«
»Weil es unnöthig ist, daß man ihm solche Dummheiten in den Kopf setzt, ehe er groß genug ist, um sich über alle Arten von Wölfen, seien sie nun weiß, grau oder schwarz, lustig zu machen.«
»Seht wohl, Herr General, man wird ihm also Nichts davon sagen.«
»Fahre fort.«
»Wo sind wir stehen geblieben, Herr General?«
»Bei der Schlincke, die Du auf Deinen Magen legtest und für so famös hieltest.«
»Ja, meiner Treu, Herr General, es war eine famöse Schlincke. Sie wog gewiß zehn Pfund; was sage ich? wenigstens fünfzehn Pfund mit ihrer Kette. Die Kette hatte ich um mein Faustgelenk geschlungen.«
»Und in jener Nacht?«
»O, in jener Nacht ging es noch toller her. Sonst trat sie mir doch nur mit Galloschen auf der Brust herum; aber in jener Nacht ist sie mit Holzschuhen gekommen«
»Und sie kommt noch immer?«
»Jede Nacht, die der liebe Gott gibt; ich magere deßhalb ganz ab; Sie sehen ja, Herr General, daß ich die Schwindsucht bekomme; aber heute früh habe ich meinen Entschluß gefaßt« «
»Und was für einen Entschluß hast Du gefaßt, Mocquets?«
»Ich habe beschlossen, sie todtzuschießen.«
»Das ist das Gescheidteste, was Du thun kannst. Und wann gedenkst Du Dich ans Werk zu machen?«
»Heute Abend oder morgen«
»Ei der Teufel! ich hätte Dich gern nach Villers-Hellon geschickt.«
»Das macht nichts, Herr General. Ist es pressant?«
»Sehr pressant.«
»Nun ja, so kann ich nach Villers-Hellon gehen, es sind ja bloß vier Stunden durch den Wald, und auf den Abend wieder da sein; das sind weiter nichts als acht Stunden; wir haben auf unseren Jagden schon ganz andere Touren gemacht, Herr General«
»Es bleibt dabei, Mocquet ich gebe Dir einen Brief an Herrn Collard, und Du gehst sogleich ab.«
»Sehr wohl, Herr General!«
Mein Vater stand auf und schrieb an Herrn Collard,
Der Brief lautete folgendermaßen:
»Lieber Collard!«
»Ich schicke Ihnen meinen Einfaltspinsel von Waldschützen, den Sie schon kennen; er bildet sich ein, ein altes Weib alpe ihn die ganze Nacht, und um sich seinen Vampyr vom Hals zu schaffen, will er ihn ganz einfach umbringen. Da aber die Justiz mit dieser neuen Methode, seine Beklemmungen zu curiren, nicht einverstanden sein möchte, so schicke ich den Burschen unter irgend einem Vorwand Ihnen zu. Schicken Sie ihn unter irgend einem beliebigen Vorwand zu Dauré von Boaty, dieser mag ihn zu Dulauloy schicken, und dieser, mit oder ohne Vormund, zum Teufel, wenn er will.
»Kurz und gut, seine Rundreise muß wenigstens vierzehn Tage dauern. Bis dahin sind wir nach Antilly gezogen, und da er also nicht mehr in der Nähe von Haramont sein, da ferner sein Alp ihn höchst wahrscheinlich unterwegs verlassen wird, so wird die alte Durand ruhig schlafen können, was ich ihr nicht rathen möchte, wenn Mocquet in der Gegend bliebe.
»Er bringt Ihnen ein Dutzend Heerschnepfen und einen Hasen, den Ertrag unserer gestrigen Jagd in dem Moor von Wallue.
»Herzliche Grüße an Ihre schöne Hermine, und tausend Küsse Ihrem lieben Carolinchen.
»Ihr Freund
»Alex. Dumas.«
Mocquet ging eine Stunde nach Abfassung des Briefes ab und kam nach drei Wochen in Antilly wieder zu uns.
»Nun,« fragte mein Vater, als er ihn ganz munter und wohlbehalten wieder erblickte, »nun, wie stehts mit der Durand?«
»Herr General« antwortete Mocquet seelenvergnügt, »der alte Maulwurf ist von mir gewichen; es scheint, daß die Hexe bloß im Canton Gewalt hatte.«
VII
Zwölf Jahre waren seit Mocquets Alpbeängstigungen verflossen. Ich ging in mein sechzehntes.
Es war im Winter von 1817 aus 1818.
Mein Vater war leider schon seit zehn Jahren todt.
Wir hatten keinen Gärtner Piere, keinen Kammerdiener Hippolyte, keinen Waldschützen Mocquet mehr.
Wir bewohnten weder das Grabesschloß, noch die Villa in Antilly mehr, sondern ein Häuschen auf dem Marktplatz von Villers-Coterets, dem Brunnen gegenüber, wo meine Mutter einen Tabakkram betrieb.
Sie verband damit einen Handel mit Jagdpulver, Kugeln und Blei.
Trotz meiner Jugend war ich, wie ich in meinen Memoiren erzählt habe, bereits ein leidenschaftlicher Jäger.
Nur jagte ich, im eigentlichen Sinne des Wortes, bloß dann, wenn mein Vetter, Herr Deviolaine, der Waldinspector von Villers-Coterets, die Güte hatte, mich abzuholen und mir bei meiner Mutter die Erlaubniß zu erbitten.
In der übrigen Zeit verlegte ich mich aufs Wildern.
Ich besaß zu diesem gedoppelten Jägers- und Wilderer-Beruf eine allerliebste einläufige Flinte, die früher der Fürstin Borghese gehört hatte, deren Namen auch eingraviert war.
Ich wer noch ein ganz kleiner Junge gewesen, als Mein Vater sie mir geschenkt hatte, und bei der Auction nach seinem Tod hatte ich sie mit solchem Eifer in Anspruch genommen, daß sie nicht mit den übrigen Waffen, sowie den Pferden und Wagen verkauft wurde. Die Zeit meiner Freuden war der Winter.
Im Winter bedeckt sich die Erde mit Schnee, und die Vögel, die kein Futter mehr aufzufinden wissen, sammeln sich da, wo man ihnen Körner hinwirft.
Einige alte Freunde meines Vaters, die große und schöne Gärten besaßen, erlaubten mir dann in diesen Gärten Vögel zu schießen.
Ich fegte den Schnee weg, streute einen langen Streifen Körner hin und feuerte dann aus irgend einem Versteck in halber Flintenschußweite; ich tödtete manchmal sechs, acht, ja zehn Vögel auf einen Schuß.
Wenn dann der Schnee länger liegen blieb, so winkte mir eine andere Hoffnung: die Aussicht, daß ein Wolf aufgetrieben werden könnte.
Der aufgetriebene Wolf gehört Jedermann.
Er ist ein öffentlicher Feind, ein Mörder, der außer dem Schutze des Gesetzes steht. Jeder kann aus ihn schießen. Man braucht nicht zu fragen, ob ich dann, trotz der Wehklagen meiner Mutter, die eine doppelte Gefahr für mich fürchtete, man braucht, sage ich, nicht zu fragen, ob ich dann nach meiner Flinte griff und der Erste auf dem Posten war.
Der Winter von 1817 auf 1818 war rauh gewesen.
»