hatte ihm eine große Gewandtheit verschafft. Er stellte sich vor das Bett der armen jungen Frau und bot dem wilden Thiere bis zur Ankunft der Nachbarn Trotz.
Nach ihnen kam die Wache: Pierre Manas wurde ins Gefängniß geführt, und die arme junge Frau nahm die erste Fürsorge in Anspruch.
Es versteht sich von selber, daß es Monsieur Coumbes war, der ihr dieselbe leistete. Seit langer Zeit hatte die Milde und Resignation, womit Milette ihre entsetzliche Lage ertrug, sein Herz gerührt, welches übrigens zu persönlich war, um zärtlich zu sein. Es erfolgte daraus zwischen der Bewohnerin des Dachstübchens und ihrem Nachbar in der unteren Etage ein gewisses durchaus freundschaftliches Verhältniß, denn als Pierre Manas in die Besserungsanstalt gebracht wurde und ein verbindlicher Advocat Milette fragte, ob sie nicht auf Ehescheidung antragen wolle, kam es dem Packträger nicht in den Sinn, daß er in seinem Secretair die Summe habe, in Ermangelung deren das arme Geschöpf hienieden auf keine Ruhe rechnen konnte.
Pierre Manas war zu einer Gefangenschaft von einigen Monaten verurtheilt; aber Milette blieb sein Eigenthum, eine Sache, die er nach seinem Gefallen wieder nehmen und an ihr das unterbrochene Experiment fortsetzen konnte, wenn es ihm gut dünkte, worauf ihm ein etwas längerer Aufenthalt in den Gefängnissen von Aix bevorstand; und Alles, weil die Unglückliche nicht einige hundert Franken besaß.
Als Milette wieder zu sich kam und erfuhr, was vorgegangen, war ihre erste Bewegung zu klagen und aufstehen zu wollen, um für ihren Mann um Gnade zu bitten. Zum Glück für die öffentliche Rache war sie zu schwach, um ihre Absicht auszuführen.
Während der ersten Tage erschienen ihr die ungewohnte Ruhe, die um sie her eingetreten war, und die Aufmerksamkeiten, womit ihr Nachbar sie überhäufte, sehr, seltsam; das elende Leben, welches sie geführt hatte, erschien ihr als das normale Leben; sie glaubte zu träumen; nach und nach gewöhnte sie sich daran, und die Vergangenheit erschien ihr dagegen als ein Traum.
Endlich dachte sie mit Zittern daran, daß dieser Traum wohl eine Wirklichkeit werden könne.
Um sie zu trösten, sagte sie sich, daß die rauhe Lection, die er erhalten, nicht habe verfehlen können, ihren Mann zu bessern. Er war so sehr gebessert, daß er, als eine Strafe zu Ende war und Milette ging, um ihn demüthig an der Thüre des Gefängnisses zu erwarten, sich nicht herabließ, einen Blick auf sie zu werfen, und entfloh, indem er einem Frauenzimmer von schlechtem Leben, mit welchem er nach der Gewohnheit der Diebe, die seine Kameraden geworden waren, eine galante Correspondenz unterhalten hatte, um sich die Langeweile der Gefangenschaft zu vertreiben, den Arm reichte.
Milette fühlte sich zu Boden geschmettert von diesem letzten Schlage. Nach Hause gekommen, dachte sie daran, zu ihrer Mutter zurückzukehren; ein schwarz gesiegelter Brief theilte ihr in diesem Augenblicke mit, daß ihre Mutter eben gestorben sei.
Die arme junge Frau war von jetzt an allein auf der Erde. Ihr Freund Monsieur Coumbes tröstete sie so gut er konnte. Aber so sehr er auch ihr Freund war, dachte er doch nicht daran, allen Schmerzen der jungen Frau zu begegnen, ihr das Geständniß desjenigen Schmerzes zu ersparen, der jeden Tag stechender wurde, nämlich der Armuth. Diese Armuth war groß; aber Milette war muthig; sie ertrug sie lange mit jener geduldigen Energie, die sie angewendet, um die Uebertriebenheiten ihres Mannes zu ertragen. Endlich, als es ihr gänzlich an Arbeit fehlte, gestand Milette ihrem guten Nachbar, daß sie sich genöthigt sehe, einen Dienst zu suchen.
Dieser dachte lange nach, sah mehrmals seinen Secretair von Nußholz an, in welchem er nie den Schlüssel stecken ließ, dann erklärte er Milette mit einer gewissen Verlegenheit, da er im Begriff sei, sich um eine Meisterschaft in einer Corporation zu bemühen, so bedürfe er aller seiner Hilfsmittel und könne ihr zu einem großen Bedauern nicht zu Hilfe kommen.
Milette zeigte sich trostlos, daß er sie so unrecht verstanden habe, und gab ihm mit Lebhaftigkeit die Versicherung, daß sie nie daran gedacht, das Wohlwollen auszubeuten, welches er ihr bezeigte.
Monsieur Coumbes machte ihr den Vorwurf, ihn unterbrochen zu haben, und setzte seine Rede fort, indem er sagte, es gebe vielleicht ein Mittel, Alles zu ordnen. In seiner neuen Lage würde er einer Dienerin bedürfen, und er gebe ihr den Vorzug.
Milette zeigte sich bezaubert, zuerst, daß die Prophezeiungen der Nachbarn sich bestätigten und daß der junge Packträger sein Glück machen werde; dann über den Vorschlag selber, den ihr Monsieur Coumbes eben gemacht. Sie war so unschuldig und naiv, daß es ihr ganz natürlich schien, die Dienerin dieses jungen Mannes zu werden, und in seiner Nähe, glaubte sie, würde ihr der Dienst weniger schmerzlich sein.
Monsieur Coumbes war nicht weniger zufriedengestellt. Nicht als ob die Augen der schönen Arlesierin einen Wunsch in seinem Herzen erweckt hätten, nicht als wenn er einen unredlichen Gedanken gegen die junge Frau gehegt hätte; sein der Liebe widerstrebendes Herz erglühte nicht so leicht; sondern weil ihr Unglück ihn gerührt hatte, so sehr er im Stande war von dem gerührt zu werden, was ihn nicht persönlich anging; weil es ihm angenehm war, diejenigen zu verpflichten, die er liebte, ohne daß es ihm. Etwas kostete, und endlich, muß ich es sagen? weil er in Marseille keine einzige Dienerin gefunden haben würde, die sich mit dem Lohn begnügt hätte, welchen er Miletten zu geben dachte.
Man mißtraue immerhin den negativen Eigenschaften.
Drittes Kapitel
Worin man sehen wird, daß es zuweilen gefährlich ist, einen Raben und eine Turteltaube in denselben Käfig einzusperren
Das Gesicht des Monsieur Coumbes, noch fast bartlos, ungeachtet seiner siebenundzwanzig Jahre, deutete ein kaltes und melancholisches Temperament an. Alle Welt wünschte ihm Glück zu der Schönheit seiner Dienerin und dies war es, um was er sich am wenigsten kümmerte. Als er sich in Gesellschaft mit Miletten nach Montredon begab, bemerkte er nicht, daß die Augen aller Vorübergehenden neugierig das liebliche Gesicht der jungen Frau ansahen; aber er lächelte freudig, als er ihre kleinen Füße, ungeachtet der Last, womit er ihre Schulter beladen, rasch durch den Staub dahinlaufen sah. Er bemerkte nicht die Anzahl der Neider, die am Abend seine Wohnung umschwärmten; aber er hielt sich überzeugt, daß Milette eine solche Sorge für seine Interessen habe, daß er die strenge Wachsamkeit hinsichtlich der Einzelheiten seines Haushalts von jetzt an einstellen könne. Der Director der religiösen Gemeinschaft, zu welcher Monsieur Coumbes gleich allen anderen Packträgern gehörte, machte ihm Vorstellungen wegen des Scandals, den die Gegenwart dieser jungen Frau bei einem Manne seines Alters den Frommen verursache. Milettens Herr, der übrigens kein starker Geist war, entgegnete, das müsse der liebe Gott verantworten der sie geschaffen habe, und nicht er, von dem man nicht erwarten dürfe, daß er anders als redlich gegen dieses Meisterwerk der Vorsehung handeln werde.
Die Gleichgültigkeit des Monsieur Coumbes währte zwei ganze Jahre und brachte ihn bis zu einem gewissen Abend im zweiten Herbst.
An diesem Abend sang Milette: die bösen Tage waren schon so fern! Ihre Stimme war frisch und rein, wenn gleich nicht von großem Umfange; aber es war eine liebliche und besonders sympathetische Stimme. Sie hatte Monsieur Coumbes in dem Augenblick überrascht, wo er über eine Verbesserung der marseiller Suppe nachdachte, und unterbrach seine tiefe Betrachtungen über diesen Gegenstand. Seine erste Bewegung war gewesen, ihr Schweigen zu gebieten, aber der Zauber wirkte schon, sein Gedanke gehorchte nicht mehr einem Willen, und um bildlich zu reden, schlüpfte er ihm durch die Finger, wie der Fisch, den der Fischer in seiner Höhle erhaschen will. Er empfand gleich Anfangs ein gewisses Erbeben, welches er nie zuvor gekannt; er empfand das Verlangen, seine Stimme mit den Silbertönen zu mischen, die er hörte. Seine Trunkenheit war glücklicherweise nicht so stark, daß er vergaß, daß alle seine Bemühungen in dieser Hinsicht besonders unglücklich gewesen. Er lehnte sich in seinen Binsenstuhl zurück und wiegte sich darin, indem er seine Augen schloß. Woran dachte er? An Nichts oder an Alles, Das Ideal öffnete für ihn die Thüre seiner Welt, die mit liebenswürdigen Phantomen bevölkert war; über den schwarzen Sammet seiner Augenbrauen zogen Tausende von goldenen und flammenden Sternen hin und her; sie veränderten die Form, nahmen zuweilen die Milettens an, erloschen dann, nachdem sie einige Augenblicke gefunkelt. Seine Gedanken gingen mit schwindelnder Schnelligkeit von den Blumen zu den Engeln, von den Engeln zu den Gestirnen des Himmels über, dann kehrten sie zu phantastischen Gottheiten seines Gehirns zurück, welches bis