Александр Дюма

Die Mohicaner von Paris


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Sie glauben, fragte Jean Robert, der seinen Gefährten zum zweiten Male zurückhielt. »Sie glauben, dieser Mann werde sein Unglück dem Ersten dem Besten, der ihn darum ersucht, erzählen?«

      »Einmal sind wir, nicht die Ersten die Besten, Herr Jean Robert: wir sind . . . ‹

      Salvator unterbrach sich. Jean Robert hoffte einen Blitz entschlüpfen zu sehen, mit dessen Hilfe er im vergangenen Leben seines Gefährten lesen oder wenigstens buchstabieren würde.

      »Wir sind Philosophen,« fuhr Salvator fort.

      »Ah! ja, Philosophe.« versetzte Jean Robert ein wenig verdrießlich.

      »Überdies sehen wir weder wie betrunkene Magister, noch wie muthwillige Studenten, noch wie neugierige Spießbürger aus; unser Diplom als ehrliche Leute ist auf unsere Stirne geschrieben. Ich weiß nicht welche Meinung Sie beim ersten Anblick von mir gehabt haben, doch ich bin im Stande, zu behaupten, daß Jeder, der Sie sieht, und wäre es auch nur einmal, bereit sein wird, Ihnen sein Geheimnis zu geben, wie ich Ihnen meine Hand gebe.

      Hierbei reichte Salvator dem jungen Manne die Hand, als ein Patent der Redlichkeit einem redlichen Menschen gegeben

      »Treten wir also mit hoher Stirne ein; alle Menschen sind Brüder und sich Beistand schuldig, alle Leiden sind Schwestern und sich Hilfe schuldig.«

      Diese Worte wurden mit einem Gefühle unbeschreiblicher Schwermuth ausgesprochen.

      »Vorwärts also, da Sie es wollen!« sagte Jean Robert.

      »Habe ich nicht alle Ihre Bedenklichkeiten gehoben, und haben Sie mir noch eine Einwendung zu machen?«

      »Nein, Gleichwohl bin ich nicht so sicher als Sie, daß uns der Musiker günstig aufnehmen wird.«

      »Er leidet, also ist es für ihn Bedürfniß. zu klagen, sprach Salvator; »wir werden für ihn providentielle Wesen, Abgesandte Gottes werden. Der verzweifelte Mensch hat nichts zu verlieren, er kann nur gewinnen, daß man seinen Kummer theilt. Treten wir also muthig ein, und bleibt Ihnen ein Schatten von Zaudern, so sage ich Ihnen, daß es nun nicht mehr die Neugierde ist, was mich antreibt, sondern die Pflicht.«

      Und ohne die Antwort von Jean Robert abzuwarten, that Salvator, der weder Klopfer noch Glocke gefunden, drei kleine Schläge auf die Weise der Freimaurer an die Thüre.

      Während dieser Zeit studierte Jean Robert durch die Scheibe die Wirkung welche diese Unterbrechung auf den Violoncellisten hervorbringen würde.

      Dieser stand auf, legte seinen Bogen auf das Tabouret, lehnte sein Instrument an die Wand an und öffnete die Thüre, ohne das geringste Zeichen des Erstaunens von sich gegeben zu haben.

      Diese Ruhe war vollkommen im Einklang mit der von Salvator ausgesprochenen Meinung.

      Entweder erwartete dieser Mann Jemand. – und wen konnte er erwarten, wenn nicht einen Tröster?

      Oder er war genug abgelöst von den Dingen, dieser Welt, daß ihn fortan nicht,. was von der Welt kam, in Erstaunen setzte, und dann mußte er ohne Vergnügen, aber auch ohne Aerger die zwei jungen Leute empfangen.

      »Mit wem habe ich die Ehre, zu sprechen?« fragte er, als er Salvator und Jean Robert erblickte.

      »Mit unbekannten Freunden,« antwortete Salvator.

      Dieses Wort genügte dem Violoncellisten.

      »Treten Sie ein,« sagte er, ohne sich mehr um den seltsamen Besuch und die Stunde der Nacht, in der er gemacht wurde, zu bekümmern.

      Die beiden jungen Leute folgten ihm; Jean Robert, der zuletzt eintrat, schloß die Thüre hinter sich.

      Sie befanden sich nun in eben dem Zimmer, wo sie den Musiker durch die Fensterscheiben gesehen hatten.

      Es war ein Zimmer. das durch seine Einfachheit in Erstaunen setzte und entzückte; nicht einmal ein Zimmer, ein Stübchen, jedoch köstlich, reinlich und weiß von oben bis unten; eine wahre Nonnenzelle, was die Spärlichkeit der Meubles betrifft; ein wahrer Mädchenpalast hinsichtlich des zarten, bescheidenen Geschmacks, der ihre Wahl dictirt hatte. Man war, wenn man eintrat ganz erstaunt, einen jungen Mann in diesem Zimmer zu sehen; die Röthe würde Euch zu gleicher Zeit zu Gesichte gestiegen sein, da Euch der Gedanke gekommen wäre, der junge Mann hätte diesem keuschen Neste Gewalt anthun können. War es nicht das Lager eines Kindes, was man hinter diesem Vorhang von weißer Mousseline erschaute? Diese Zwergrosenstöcke, welche in kleinen Kristallgläsern blühten, war das nicht Spielzeug eines Kindes? Welche Hände pflegten diese lieblichen Vögel, die in ihren Kästchen flatterten, wenn nicht die eines zwölfjährigen Mädchens? Entweder war es nicht das Zimmer des Jungen Mannes, oder es wohnte ein Mädchen bei ihm: seine Schwester ohne Zweifel; und dennoch schien nach dem ersten Anblick der Musiker allein zu wohnen.

      War es erlaubt, zu denken, eine andere Frau als eine Schwester habe das Recht, in dieses Zimmer einzutreten? Nein.

      Das Zimmer war keusch; die Stirne des jungen Mannes klar.

      Nie war eine unreine Frau in diesem Zimmer gewesen.

      Nie hatte der Schatten eines schlimmen Gedankens die Oberfläche dieser Stirne gerunzelt.

      Es fand sich eine Erklärung.

      Ja, dieser junge Mann wohnte hier; doch seine Schwester trug Sorge für sein Zimmer, wusch es blänkte es, schmückte es mit seinen Blumen.

      Wie konnte man also traurig sein in diesem heitern Winkel?

      Von dem Violoncellisten eingeladen, sich zu setzen, wollten die jungen Leute dies nicht thun, bevor sie ihm den Zweck ihres Besuches erklärt hätten.

      »Mein Herr,« sprach Salvator. »erlauben Sie mir, eine Frage an Sie zu richten, ehe ich mich bei Ihnen niederlasse. Liegt es in der Macht eines Menschen. das Unglück zu erleichtern, das Sie zu erdulden scheinen?«

      Der Violoncellist schaute den, welcher diese philosophische Frage an ihn richtete, mit derselben Ruhe an, von der er einen Beweis gegeben, als er Morgens um drei Uhr, ohne nur zu fragen: »Wer ist da?« seine Thüre geöffnet hatte.

      »Nein, mein Herr« erwiderte er einfach.

      »Dann entfernen wir uns,« versetzte Salvator. »Lassen Sie uns Ihnen indessen immerhin in Form einer Entschuldigung sagen, warum wir uns Sie zu stören erlaubt haben. Dieser Herr (Salvator deutete mit dem Finger auf Jean Robert), dieser Herr ist im Begriff, ein Buch über die Leiden des Menschen zu machen; er studiert, wann er kann, wo er kann. Als wir in den Hof eintraten, hörten wir Sie; wir näherten uns, und durch die Scheiben dieses Fensters sahen wir Sie weinen.«

      Der junge Mann gab einen Seufzer von sich.

      Salvator fuhr fort:

      »Was auch die Ursache Ihres Schmerzes sein mag, Ihre Thränen haben uns tief bewegt, und wir sind gekommen, um Ihnen unsere Börse anzubieten, wenn Sie dürftig sind, unsern Arm. wenn Sie schwach sind, unser Herz wenn Sie betrübt sind.«

      Die Augen des Violoncellisten befeuchteten sich mit Thränen; diesmal waren es aber Thränen der Dankbarkeit.

      Es war in den Worten von Salvator, in dem Tone mit dem sie gesagt worden, in der Physiognomie, die sie begleitete, in der ganzen Person des edlen jungen Mannes eine solche Redlichkeit, eine solche Größe, eine so tiefe Zärtlichkeit für seines Gleichen, daß man sich sympathetisch zu ihm hingezogen fühlte.

      Hingetrieben durch diese unwiderstehliche Anziehungskraft, reichte ihm der Violoncellist beide Hände, und er sprach:

      »Ich beklage diejenigen, welche ihre Wunde vor den Menschen verbergen, besonders, wenn sie blutet! Brüdern seine Wunden zeigen heißt sie dieselben vermeiden lehren. – Setzet Euch, Brüder, und hört mich an.«

      Die zwei jungen Leute machten es sich jeder nach seinem Gefallen bequem, das heißt. Jean Robert streckte sich in einem Fauteuil aus, und Salvator lehnte sich stehend an die Wand an.

      Der Mann mit dem Violoncell begann.

       XIII

      Der Zögling und sein Professor

      Und nun erlaube uns der Leser, unsere