wo findet der von einer fixen Idee ergriffene Mensch nicht bald und oft in ganz trügerischen Vernunftschlüssen seinen Trost wieder Auch Boxtel fand ihn. Er suchte sich zu überreden, daß zu viel Wärme den Blumen schade, daß diese in einer geringeren Temperatur schneller wachsen, und sich schöner färben, und daß ihm durch den Bau gerade die Mittagssonne geraubt wurde, überzeugte er sich selbst, daß die Morgens und Abendsonne viel besser und vortheilhafter sei.
Wenn er in diesen Schlüssen fortgefahren wäre, so mußte er noch zu der Einsicht gelangen, das er dem Herrn van Baerle, der ihm aus eigenem Antrieb einen so dauerhaften Sonnenschirm erbaut hatte, eigentlich dankbar verpflichtet sein müsse.
Aber wer beschreibt den Schrecken des Unglücklichen, als er an einem schönen Morgen die Fenster der neuen Wohnung mit Zwiebeln, mit jungen Pflanzen, mit Blumen in aufgewühlter Erde und in Geschirren, mithin mit allem ausgerüstet sah, was eigentlich zur Veredlung und Zucht der Tulpen nothwendig ist.
Aber noch mehr. Längst den Mauern, so weit man dies von unten sehen konnte, bemerkte er zugleich, Kästen offen oder geschlossen, mit den feinen Gittern von Eisendraht versehen, die mit Ventilatoren verbunden, die Bestimmung hatten, die Luft nach Bedarf entweder mehr zu sammeln oder zu entfernen, und zugleich Ratten und Mäuse, die bekannten Liebhaber dieser Blume, deren Zwiebel nicht selten über 2000 Frank kostete, entfernt zu halten.
Nachdem Boxtel sich von seinem ersten Schrecken erholt hatte, und wieder zur kalten und ruhigen Ueberlegung zurückkam, sprach er sich selbst Trost und Ruhe zu. Er dachte nach, wie der Mensch, der einmal einen Plan verfolgte, bis in die untersten Schichten seiner Grundlagen zu dringen pflegt. Baerle war Maler, vielleicht gründlicher, denkender Maler, um so mehr, da er Gerard Dow zum Meister, und Mieris zum Freunde hatte. Vielleicht wollte er ein Tulpenhaus malen, und um dies ganz, vollständig, unnachahmlich darzustellen, fand er es für nothwendig, sich einen Saal mit allen zu dieser Kunst nöthigen Einzelheiten herstellen zu lassen.
Aber ungeachtet aller dieser Trostgründe, erstand doch eine unverwüstbare Kluft in seinem Innern, der Wunsch, sich näher hiervon zu überzeugen, mit einem Worte, die Neugierde.
Er erwartete sehnsuchtsvoll den Abend, er zählte die Stunden, die ihn noch von demselben trennten, und als sich die Ruhe und Stille der Nacht über die ganze Umgebung ausbreitete, und nur der bleiche Schein des eben emporsteigenden Mondes, die weite Landschaft erhellte, da eilte er hinab in den Garten, und vorsichtig eine Leiter an die Wand seines Nachbars lehnend, stieg er hinauf – Furchtbar, gräßlich mußte das Schauspiel sein, das sich seinen Blicken darbot, denn gelähmt, gleichsam eingewurzelt, auf dem Punkte, auf dem er gerade stand, nahm sein Antlitz die Farbe des Todes an, sein ganzer Körper zitterte von fieberhafter Aufregung bewegt.
Und was sah er?
Ein großes, ausgedehntes, im Dunkel der Nacht nicht ganz zu übersehendes Viereck. Der aufgewühlte, mit Flugsand vermischte Boden zeugte deutlich an, daß vor Kurzem Pflanzen, die ihre entsprechende Ausbildung erhalten, aus demselben genommen worden waren, und zugleich verrieth die eben erwähnte, den Tulpen sehr zuträgliche Mischung, auch die eigentliche Bestimmung dieses Raumes. Das Ganze war sorgfältig in Beete eingetheilt, diese um das Einsinken der Erde zu verhindern, mit Graspflanzungen eingefaßt, dann hatte. es die auf- und untergehende Sonne, einen künstlich erzeugten Schatten, der die Hitze der Strahlen milderte, Wasser im Ueberfluß und in der Nahe, es lag nach Süd-Süd-West; kurz Alles, der kleinste Punkt stimmte mit dem großen Werke in harmonischer Verbindung zusammen; was der Unglückliche während der Dauer einer halben Lebenszeit mühsam berechnet hatte, und aus Mangel an Mittel nicht ganz so herstellen konnte, wie es eigentlich hatte sein sollen, lag wie durch die Macht einer höheren Gewalt hervorgerufen, zauberhaft in seiner ganzen Vollendung vor ihm da.
Ihm schwindelte, krampfhaft hielt er sich an der Wand fest, – der Beweis war gefunden – Baerle, der reiche Baerle, ein Tulpenzüchter.
Mühsam, nicht mehr Herr seiner physischen Kraft mit schlotternden Armen und Beinen, der Verzweiflung nahe, stieg er wieder die Leiter herab. Ein einziger Gedanke erfüllte für den Augenblick seine Seele, er gestaltete sich langsam von unklaren Umrissen zum deutlichen Bilde, und dieses Bild war Baerle, Baerle mit seinen zehntausend Gulden Revenüen, und vier hunderttausend Gulden in Gold, dieser Crösus, dem nichts zu hoch, nichts zu theuer war, der Alles erreichen konnte und mußte. Seine Phantasie malte sich die ungeheuer glücklichen Erfolge dieses Mannes in den lebhaftesten Farben, er sah dessen Ruhm einem strahlenden Gestirne gleich erglänzen, und den eigenen in trüber, sturmumwölkter Nacht untergehen.
Das war die Hauptidee, dieser folgte einem Troße gleich, ein Meer von furchtbaren Enttäuschungen.
Also darum hatte Baerle sein Haus erhöht, nun einen großen, lustigen Raum zur Aufbewahrung der zarten Pflanzen und Zwiebel zu erhalten; ihm hatte er einen halben Grad Wärme genommen, und dadurch die ganze, so thätig wirkende Sonnenhitze erhalten. Da waren Luftlöcher und Ventilatoren angebracht, künstliche Wasserleitungen reihten sich an dieselbe, durchsichtige Fensterrahmen, erhöhten oder milderten die Kraft der eintretenden Sonnenstrahlen – o, welcher unendliche Reichthum, welche mathematische Gewißheit eines sichern großartigen Erfolges – und er, der arme Boxtel, hatte zu diesem Behufe sein eigenes Schlafzimmer eingerichtet, er, der Mann, der seinem Zwecke alles opferte, ruhte während der Nacht auf dem Dachboden, da die thierische Ausdünstung dem Fortkommen der Pflanze im höchsten Grade hinderlich gewesen wäre.
Armer Boxtel, du schliefst bisher so sanft auf deinem traurigen, armseligen Lager, deine Idee war ein weicher Ruhepolster, deine unzerstörbare Hoffnung linderte die Hitze der Sommer- und die Kälte der Winternächte – mußte mit einem Male – dein Dasein, deine Zukunft vernichtet werden?
Also Thor an Thor, Mauer an Mauer wohnt der furchtbare Mann, der alles dem gleichen Zwecke widmet, der kein unbekannter, verschollener Gärtner, mit seiner Idee einen berühmten Namen verbindet..
Boxtel besaß also, wie man sieht, keinen so ausgebildeten, hohen Geist wie Porus, der von Alexander dem Großen besiegt, in der Größe des Siegers seinen Trost fand.
Aber war das ihm entgegen getretene Geschick in seiner Wirkung nicht furchtbar? Konnte Baerle nicht eine neue Gattung entdecken, und diese Johann taufen, nachdem die erste bereits den Namen Cornelius; erhalten hattet dann war sein Ruhm unzerstörbar begründet, dann schwand jede Hoffnung ihn zu erreichen.
Und so errieth Boxtel, der Prophet seines eigenen Unterganges, die so nahe gelegene Zukunft.
Er stieg in seine Kammer, er warf sich auf sein Lager – die Nacht, die er zubrachte, vermag ich nicht zu schildern.
VI.
Die Wuth eines Tulpenliebhabers
Von dem Augenblicke jener entsetzlichen Entdeckung, war Boxtels Ruhe ganz verschwunden, sie hatte einer namenlosen Furcht Platz gemacht. Seine schwache, durch den erhaltenen Schlag ganz niedergebeugte Seele verfolgte wieder nur einen Gedanken, der ungeheuere Schaden, der ihm durch seinen Nachbarn zugefügt worden, er fühlte sich nicht stark genug, in seiner Bahn auszuharren, und den ihm dargebotenen Kampf, wenn auch mit wenig Wahrscheinlichkeit eines günstigen Erfolges muthig anzunehmen.
Van Baerle mußte in jenem Fache, dem er seine ganze Verstandeskraft und alle seine Mittel widmete, das bisher Unerhörte und Unerwartete leisten.
Und wirklich gelang es ihm auch besser als irgendeinem gleichen Unternehmer zu Harlem und Leyden, zwei durch ihren Erdboden, und ein ausgezeichnet reines, gesundes Klima bevorzugten Städten, Tulpen von besonderer Größe und Farbenpracht zu erzeugen.
Er war ein Mitglied jener, in der damaligen Zeit weit verzweigten, aber auch sinnreichen und naiven Verbrüderung, die einen von ihrem vormaligen Meister, im Jahre 1653 aufgestellten Satz, angenommen und beibehalten hatte:
»Wer die Blumen mißachtet, verachtet die Natur, er entehrt und beleidigt Gott.«
Und aus diesem Satze bildete sich die Schule der Tulpenzucht, (unter allen bisher bestandenen Verbindungen eine der Extremsten, ) in demselben Jahre, nachstehende Folgerungen:
»Wer die Blumen mißachtet,