Hände des Chevaliers und Luisas in der einigen haltend.
Viertes Capitel.
Ein Probejahr
Die Trauer war groß in Palermo. Das Leichenbegängniß, welches, wie gewöhnlich, während der Nacht stattfand, war prachtvoll. Die ganze Stadt folgte dem Zuge. Die ihrem ganzen Umfange nach in eine brennende Capelle verwandelte Kathedrale konnte die Menge nicht fassen. Diese Menge füllte noch den Platz vor der Kirche und, so groß derselbe auch war, bis in die Toledostraße hinein.
Hinter dem mit einem großen mit silbernen Thränen besäeten und mit den ersten Orden Europas geschmückten Tuche von schwarzem Sammet bedeckten Sarg kam, von zwei Pagen geführt, das Reitpferd des Fürsten.
Das arme Thier keuchte stolz unter seinem goldenen Geschirr, denn es kannte ebensowenig den Verlust, den es erlitten, als das Schicksal, welches seiner harrte.
Als man die Kirche verließ, nahm es wieder seinen Platz hinter dem Leichenwagen ein. In demselben Augenblick aber näherte sich der erste Stallmeister des Fürsten mit einer Lanzette in der Hand, und während das edle Roß ihn erkannte und freudig wieherte, öffnete er ihm die Drosselader.
Das Thier stieß einen schwachen Klageton aus, denn obschon der Schmerz nicht groß war, so mußte die Wunde doch tödtlich sein. Es schüttelte seinen mit Federbüschen von den Farben des Fürsten – das heißt weiß und grün – geschmückten Kopf und setzte seinen Weg weiter fort.
Ein dünner, aber ununterbrochener Blutfaden rann ihm vom Halse über die Brust herab und ließ seine Spur auf dem Pflaster zurück.
Nach Verlauf einer Viertelstunde taumelte es zum ersten Male und richtete sich wiehernd, aber nicht mehr vor Freude, sondern vor Schmerz, wieder auf.
Der Zug bewegte sich unter dem Gesange der Priester, dem Scheine der Kerzen und dem Dampf des Weihrauches durch die schwarz ausgeschlagenen Straßen, unter den Trauerbogen von Cypressen hindurch.
Auf dem Campo santo oder Begräbnißplatz der Capuziner hatte man eine einstweilige Gruft für den Fürsten bereitet, denn seine Leiche sollte später in die Capelle seiner Familie nach Neapel gebracht werden.
Am Thore der Stadt taumelte das Pferd, von dem Blutverlust immer schwächer werdend, zum zweiten Mal. Es wieherte vor Angst und sein Auge ward starr.
Zwei Fremde, zwei Unbekannte, ein Mann und eine junge Dame, führten diesen beinahe königlichen Leichenzug, welchem sich die höchsten Classen der Gesellschaft ebenso angeschlossen hatten wie die tiefsten.
Es war der Chevalier und Luisa, welche ihre Thränen mischten, und das Eine murmelte: »Mein Vater!« das Andere: »Mein Freund!«
an langte bei der Gruft an, die blos durch eine große Steinplatte bezeichnet ward, auf welcher das Wappen und der Name des Fürsten eingegraben war.
Diese Steinplatte ward aufgehoben, um den Sarg einsenken zu lassen und ein unermeßliches, von hunderttausend Stimmen gesungenes De profundis stieg zum Himmel empor.
Das mit dem Tode ringende Pferd, welches bis hierher die Hälfte seines Blutes verloren, war auf die beiden Knie niedergesunken. Es war, als ob das arme Thier ebenfalls für seinen Herrn betete. Als aber der letzte Ton des Gesanges der Priester verhallte, sank es auf der wieder geschlossenen Steinplatte völlig zusammen, streckte sich darauf aus, wie um den Zugang zu bewachen und hauchte den letzten Seufzer aus.
Es war dies ein Ueberbleibsel der kriegerischen und poetischen Gebräuche des Mittelalters. Das Roß durfte den Reiter nicht überleben.
Noch zweiundvierzig andere Pferde, welche die Ställe des Fürsten ausmachten, wurden auf der Leiche des ersten geopfert.
Man löschte die Wachskerzen aus und der ganze unendliche Zug kehrte schweigend wie eine Prozession von Gespenstern in die düstere Stadt zurück, wo kein Licht weder in den Straßen noch an den Fenstern zu sehen war.
Es war, als beleuchtete eine einzige Fackel die ungeheure Todtenstadt und als wäre, nachdem der Tod die Fackel ausgeblasen, Alles wieder in Nacht versunken.
Am nächstfolgenden Tage beim ersten Morgengrauen schifften San Felice und Luisa sich wieder ein und reisten nach Neapel zurück. Drei Monate wurden diesem aufrichtigen Schmerz gewidmet, drei Monate, während welcher man dasselbe Leben führte, wie in der Vergangenheit, nur trauriger.
Als diese drei Monate um waren, verlangte San Felice, daß das Probejahr begönne, das heißt daß Luisa die Welt sähe.
Er kaufte einen Wagen und Pferde, den elegantesten Wagen, die besten Pferde, die er finden konnte. Er vermehrte seinen Haushalt um einen Kutscher, einen Kammerdiener und eine Zofe, und begann sich mit Luisa unter die täglichen Spazierfahrer in Toledo und Chiaja zu mischen.
Die Herzogin von Fusco, ihre Nachbarin, eine dreißigjährige Witwe und Besitzerin eines großen Vermögens, empfing viel Besuch aus der besten Gesellschaft von Neapel. Sie hatte, durch jene in den Italienerinnen so mächtige Sympathie bewogen, ihre junge Freundin oft eingeladen, ihren Abendgesellschaften beizuwohnen, aber Luisa hatte sich stets geweigert, denselben zu folgen und sich dabei auf das zurückgezogene Leben berufen, welches ihr Vormund führte.
Jetzt war es der Chevalier selbst, welcher zu der Herzogin Fusco ging und sie bat, ihre Einladungen an seine Mündel zu wiederholen, was die Herzogin auch mit großem Vergnügen that.
Der Winter von 1796 war daher für die arme Waise gleichzeitig eine Zeit der Feste und der Trauer. Bei jeder neuen Gelegenheit, welche ihr Vormund ihr verschaffte, damit sie sich zeigen und folglich glänzen könne, setzte sie lebhaften Widerstand und aufrichtigen Schmerz entgegen, aber San Felice antwortete mit dem allerliebsten Wahlspruch ihren Kindheit:
»Geh' fort, Kummer! Papa will es.«
Der Kummer ging aber nicht fort, sondern verschwand blos von der Oberfläche. Luisa verschloß ihn in die Tiefe ihres Herzens, aber er leuchtete aus ihrem Auge und malte sich auf ihrem Gesicht, und diese sanfte Melancholie, welche sie einhüllte wie eine Wolke, machte sie nur um so schöner.
Uebrigens wußte man, daß sie, wenn auch nicht eine reiche Erbin, doch wenigstens das war, was man, wenn vom Heiraten die Rede ist, eine gute Partie nennt.
Sie besaß in Folge der von ihrem Vater gebrauchten Vorsicht und der ihrem kleinen Vermögen von dem Chevalier gewidmeten Fürsorge einhundertundzwanzigtausend Ducaten Aussteuer, das heißt eine halbe Million Francs, welche bei dem besten Hause in Neapel, nämlich bei Simon André, Backer und Comp., den königlichen Bankiers, angelegt war.
Uebrigens wußte man nicht, daß San Felice, für dessen natürliche Tochter man sie hielt, irgend eine andere Erbin hätte, und der Chevalier mußte, wenn er auch gerade kein großer Capitalist war, doch ebenfalls ein ganz anständiges Vermögen besitzen.
Wer in dergleichen Angelegenheiten einmal berechnet, der berechnet Alles.
Luisa hatte bei der Herzogin Fusco einen Mann von dreißig bis fünfunddreißig Jahren kennen gelernt, welcher einen der schönsten Namen von Neapel trug und sich in dem Kriege von 1793 bei Toulon rühmlicht hervorgethan hatte. Er hatte eben mit dem Titel eines Brigadiers das Commando eines Cavalleriecorps erhalten, welches bestimmt war, als Hilfstruppen in der österreichischen Armee während des Feldzugs zu dienen, welcher im Jahre 1796 in Italien eröffnet werden sollte. Dieser Mann hieß der Fürst von Moliterno.
Er hatte damals noch nicht jenen Säbelhieb über das Gesicht bekommen, welcher, indem er ihn eines Auges beraubte, ihm den Stempel eines Muthes aufdrückte, welchen übrigens es Niemanden eingefallen wäre, ihm streitig zu machen.
Er besaß einen großen Namen, ein ziemliches Vermögen und einen Palast in Chiaja. Er sah Luisa, verliebte sich in sie, bat die Herzogin Fusco, seine Vermittlerin bei ihrer jungen Freundin zu sein und – trug einen Korb davon.
Luisa war ferner oft in Toledo und in Chiaja, wenn sie mit ihrer schönen Equipage, welche ihr Vormund ihr gekauft, spazieren fuhr, einem liebenswürdigen Cavalier von kaum fünf- bis sechsundzwanzig Jahren begegnet, welcher gleichzeitig der Richelieu und der Saint-Georges von Neapel war.
Es war dies der älteste Bruder von Nicolino Caracciolo, mit welchem wir in