»so will ich gehen und nachsehen.«
»Ja, gehen Sie,« antwortete die Königin.
Acton zündete ein Licht an und ging hinaus in den Corridor.
Die Königin folgte ihm mit besorgten Blicken. Das bisher unheimliche Schweigen ging in Todtenstille über.
Nach Verlauf von einigen Augenblicken trat Acton wieder ein.
»Nun?« fragte die Königin.
»Die Thür,« antwortete er, »ist wahrscheinlich lange nicht geöffnet worden und der Schlüssel ist daher im Schlosse zerbrochen. Der Graf pochte, um zu erfahren, ob es ein Mittel gäbe, die Thür von innen zu öffnen. Ich habe es versucht, aber es ist nicht möglich.«
»Was sollen wir dann thun?«
»Wir müssen die Thür einschlagen lassen.«
»Haben Sie dem Grafen Befehl dazu gegeben?«
»Ja, Madame, und er führt ihn bereits aus.«
In der That vernahm man das Getöse von kräftigen, gegen die Thür geführten Streichen und dann das Krachen der brechenden Thür.
Dieser Lärm hatte etwas Unheimliches und Furchterregendes.
Tritte näherten sich, die Thüre des Salons öffnete sich und der Graf von Thurn trat ein.
»Ich bitte Eure Majestäten,« sagte er, »um Verzeihung für den Lärm, den ich gemacht, und für die Mittel, die ich gezwungen gewesen bin anzuwenden. Das Zerbrechen des Schlüssels war aber ein Unfall, den man unmöglich voraussehen konnte.«
»Es ist eine Vorbedeutung,« sagte die Königin.
»Wenn es eine Vorbedeutung ist,« entgegnete der König mit seinem natürlichen gesunden Verstand, »so ist es auf alle Fälle die, daß wir besser thun würden, zu bleiben als fortzugehen.«
Die Königin fürchtete, daß ihr erhabener Gemahl eine Anwandlung von Willenskraft haben könnte.
»Gehen wir,« sagte sie daher hastig.
»Es ist Alles bereit, Madame,« sagte der Graf von Thurn, »ich bitte jedoch um die Erlaubniß, dem König eine Ordre mitzutheilen, welche ich heute Abend von dem Admiral Nelson erhalten habe.«
Der König erhob sich und näherte sich dem Armleuchter, in dessen Nähe der Graf von Thurn ihn mit einem Papier in der Hand erwartete.
»Lesen Sie, Sire,« sagte der Graf.
»Die Ordre ist englisch geschrieben,« sagte der König, »und ich verstehe nicht englisch.«
»Ich werde es Eurer Majestät übersetzen. Die Ordre lautet:
»An den Admiral Grafen von Thurn.
»Die neapolitanischen Fregatten und Corvetten sind zum verbrannt werden bereit zu machen.«
»Was sagen Sie?« fragte der König.
Der Graf von Thurn wiederholte:
»Die neapolitanischen Fregatten und Corvetten sind zum verbrannt werden bereit zu machen.«
»Wissen Sie gewiß, daß Sie sich nicht irren?«, fragte der König.
»Ich irre mich nicht, Sire.«
»Und warum sollen Fregatten und Corvetten verbrannt werden, die so viel Geld gekostet und zu deren Erbauung zehn Jahre Zeit erforderlich gewesen sind?«
»Damit sie nicht den Franzosen in die Hände fallen, Sire!«
»Aber könnte man sie nicht mit nach Sicilien führen?«
»Lord Nelsons Ordre lautet einmal so, Sire, und eben deswegen habe ich die Eurer Majestät mittheilen wollen, ehe ich sie an den Marquis von Nizza befördere, welcher mit der Vollziehung beauftragt ist.«
»Sire, Sire,« sagte die Königin, indem sie sich dem König näherte, »wir verlieren kostbare Zeit um einer Bagatelle willen.«
»Zum Teufel, Madame,« rief der König. »Sie nennen das eine Bagatelle! Sehen Sie das Budget der Marine während der letzten zehn Jahre nach und Sie werden finden, daß diese Bagatelle sich auf mehr als hundertundsechzig Millionen beläuft.«
»Jetzt schlägt es elf Uhr, Sire,« sagte die Königin, »und Mylord Nelson erwartet uns.«
»Sie haben Recht,« sagte der König, »und Mylord Nelson ist nicht der Mann, der gern wartet, wäre es selbst auf einen König oder eine Königin. – Sie werden die Befehle des Mylord Nelson befolgen, Herr Graf, Sie werden meine Flotte verbrennen. Was England nicht zu nehmen wagt, verbrennt es. Ach, mein armer Caracciolo, Du hattest wohl Recht, und ich habe sehr unrecht gethan, daß ich deinen Rathschlägen nicht gefolgt bin. Gehen wir, meine Herren; gehen wir, meine Damen; lassen wir Mylord Nelson nicht warten.«
Und der König ging, das Licht aus Acton's Händen nehmend, voran.
Alle Uebrigen folgten ihm.
Nicht blos die neapolitanische Flotte war verurtheilt, sondern der König hatte nun auch seine eigene Verurtheilung unterzeichnet.
Wir haben seit jenem 21. Dezember 1798 so viel königliche Fluchten gesehen, daß es heutzutage beinahe nicht mehr der Mühe verlohnt, sie zu beschreiben. Ludwig der Achtzehnte, der am 20. März die Tuilerien verließ; Carl der Zehnte, der am 29. Juli die Flucht ergriff; Ludwig Philipp, welcher am 24. Februar dasselbe that, haben uns eine dreifache Varietät dieser gezwungenen Abreisen gezeigt.
Auch vor nur erst wenigen Jahren haben wir in Neapel den Enkel denselben Corridor wie der Großvater passieren, dieselbe Treppe hinabsteigen und den geliebten Boden des Vaterlands gegen die bittere Verbannung umtauschen gesehen.
Nur sollte der Großvater zurückkehren, während der Enkel aller Wahrscheinlichkeit nach auf immer verbannt ist.
Zu jener Zeit aber war es Ferdinand, welcher zu dieser nächtlichen verstohlenen Abreise den Weg zeigte.
Schweigend ging er entlang, aufmerksam horchend und mit pochendem Herzen.
Auf der Mitte der Treppe, an einem auf den sogenannten Riesenhügel gehenden Fenster angelangt, glaubte er Geräusch auf diesem Hügel zu hören, welcher ziemlich steil von dem Palaisplatze nach der Straße Chiatamone hinabführt.
Er blieb stehen, und da dasselbe Geräusch zum zweiten Mal an sein Ohr schlug, so blies er sein Licht aus, und Alle befanden sich nun im Finstern.
Man mußte demgemäß tastend und Schritt um Schritt die schmale, schwierig zu begehende Treppe weiter hinabsteigen. Sie war sehr steil und, da sie kein Geländer hatte, gefährlich. Indessen man gelangte ohne Unfall bis auf die letzte Stufe hinab und fühlte den freien feuchten Hauch der äußeren Luft.
Man war nun blos noch wenige Schritte von den Einschiffungsplatz entfernt.
In dem Kriegshafen war das zwischen den Steindämmen des Molo und denen des Handelshafens gefangen gehaltene Meer ziemlich ruhig.
Man fühlte aber, daß der Wind heftig wehte, und hörte das Tosen der Wogen, welche sich wüthend an den Gestade brachen.
Als man auf die Art Kai gelangte, welcher sich an den Mauern des Schlosses hinzieht, warf der Graf von Thurn einen raschen fragenden Blick gegen Himmel.
Dieser war mit schweren, rasch und tiefgehenden Wolken bedeckt. Es war als ob ein Luftmeer über dem der Erde rollte und sich herabsenkte, um seine Wogen mit dem des letzteren zu mischen.
In dem engen Zwischenraume, der zwischen den Wolken und dem Wasser vorhanden war, brausten die Stöße jenes furchtbaren Südwestwindes, welcher die Schiffbrüche und Unfälle veranlaßt, deren Zeuge der Golf von Neapel in den schlimmen Tagen des Jahres so oft ist.
Der König bemerkte den unruhigen Blick des Grafen von Thurn.
»Wenn das Wetter zu ungünstig ist,« sagte er, »so sollten wir uns in dieser Nacht nicht einschiffen.«
»Aber es ist Mylords Ordre,« antwortete der Graf »Indessen wenn Eure Majestät sich durchaus weigern –«
»Es ist Mylords Ordre!