Noviz riß weit seine Augen aus, in denen ein tiefes Erstaunen gemischt mit einer leichten Nuance von Bewunderung hervortrat.
»Wie! mein Herr,« rief er, die bei den Orden gebräuchliche Benennung Bruder vergessend, »sollten Sie zufällig der Enkel der berühmten Schauspielerin sein?«
»Ganz richtig, mein Herr. Ach! meine arme Großmutter, das ist eine sehr verdammte Frau.«
»Dann war Ihr Herr Großvater der Schauspieler Champmeslé, der die Könige spielte?«
»Sie haben es gesagt, Marie Desmares, meine Großmutter, heirathete Charles Chevillet, Herrn von Champmeslé; er hatte den berühmten Latorilliére im Hotel von Burgund ersetzt. Was seine Frau betrifft, so debütierte sie mit der Rolle von Hermione, welche vor ihr die Desoeuillet, deren Fach sie übernahm, spielte.«
»Somit,« fuhr der Noviz fort, der sich mit allem Eifer in das Gespräch vertiefte, »somit war Ihr Vater Joseph Champmeslé, der die Bedienten spielte, und Ihre Mutter Marie Descombes, welche die jugendlichen Liebhaberinnen spielte?«
»Ganz richtig. Aber sagen Sie mir, mein Bruder,« rief Champmeslé, »wissen Sie, daß ich Sie ein wenig weit vorgerückt in der Wissenschaft der Kulissen für einen Novizen finde?«
»Mein Herr,« erwiderte der junge Mann erschrocken, daß er sich so aus dem Abhang der Konversation habe fortreißen lassen, »so sehr wir auch von der Welt entfernt sind, so haben wir doch immer eine Vorstellung von dem, was darin geschieht; übrigens bin ich nicht bei den Jesuiten geboren, und ich habe meine erste Erziehung in meiner Familie erhalten.«
»Mit wem habe ich zu sprechen die Ehre, mein Bruder?«
»Ich heiße Jacques Banniére, unwürdiger Noviz.«
Champmeslé verbeugte sich höflich vor seinem neuen Bekannten, der seinen Gruß nicht minder höflich erwiderte.
III.
Der Schauspieler und der Jesuit
Das Gespräch nahm seinen Fortgang und wurde natürlich bei jedem Worte interessanter für die beiden Personen.
»Sie möchten also gern beichten?« sagte Banniére, der das Gespräch da wieder ausnahm, wo es war, ehe Champmeslé in Betreff seiner Vorfahren die Abschweifung unternahm, die wir mitgeteilt haben.
»Mein Gott! ja, mein Bruder, und zwar aus folgenden Gründen: Sie, der Sie ein wenig die Geschichte unserer Familie kennen, wissen auch wohl, daß mein Großvater der vertraute Freund von Herrn Racine war?«
»Ja, und auch von Herrn la Fontaine;« erwiderte hastig Banniére, indem er errötete bei der ein wenig leichten Erinnerung, welche sich für Madame Desmares, verehelichte Champmeslé, mit diesen zwei Namen verband.
»Obgleich ein mittelmäßiger Schauspieler, und gerade vielleicht deshalb, war mein Großvater ein Mann von Geist. Er hatte diesen Vorzug von seinem Vater, Herrn Chevillet, von dem Sie vielleicht haben reden hören.«
»Nein, mein Herr,« antwortete schüchtern Banniére, der sich schämte, daß sein chronologisches Wissen in Betreff der Champmeslé bei der dritten Generation aufhörte.
»Ah! mein Urgroßvater Chevillet, auch ein Schauspieler, hatte allen Geist meines Ururgroßvaters, eines sehr liebenswürdigen und sehr frommen Dichters, der Mysterien1 schrieb und zur Noth spielte.«
»Wahrhaftig!« rief Banniére erstaunt, »Dichter und Schauspieler wie Herr Moliére?»
»Ei! mein Gott, ja! Nur bitte ich Sie, zu bemerken, was Ihn von Herrn Moliére unterscheidet, ist das, was ich in der Konversation mit den Worten, aus die ich einen besonderen Nachdruck legte: liebenswürdiger und sehr frommer Dichter, habe einfließen lassen, während Herr Moliére im Gegenteil mürrisch und durchaus nicht gottesfürchtig war.«
»Ja, mein Herr, ich werde mir das merken und mich, das verspreche Ich Ihnen, dieses Umstandes erinnern, wann ich mich desselben erinnern muss. Doch warum sollten Sie nicht mittlerweile einen Stuhl nehmen? Unsere Priester werden noch eine Viertelstunde bei Tische bleiben, und Sie haben keinen Grund, um zu stehen.«
»Keinen, mein Herr . . . verzeihen Sie . . . mein Bruder. Ich werde also sehr gern sowohl den Stuhl, als das Vergnügen Ihrer Unterhaltung annehmen, vorausgesetzt, daß die meinige Sie nicht ermüdet.«
»Wie denn,! glauben Sie im Gegenteil, daß ich ein lebhaftes Interesse daran finde. Wir waren also bei Ihrem Großvater.«
»Bei meinem Großvater, das ist vollkommen wahr. Wir kommen aus meinen Großvater zurück, und Sie werden sehen, daß ich keine unnötige Abschweifungen mach«!«
»Oh! ich habe alles Vertrauen.«
»Ich sagte also, Herr Chevillet von Champmeslé«, mein Großvater . . .«
»Derjenige, welcher die Könige spielte?«
»Ja, der Freund von Herrn Racine.«
»Und der Freund von Herrn la Fontaine?«
»Und von Herrn la Fontaine, so ist es. Ich sagte also Herr Chevillet von Champmeslé habe viel Kummer in seinem Leben gehabt, einmal den Verlust seiner Frau, welche 1693 starb, dann den von Herrn Racine, welcher 1699 starb. Ich spreche nicht von dem von Herrn la Fontaine, der Beiden vorangegangen und sehr christlich im Jahre 1695 gestorben war.«
»War im Ganzen Ihr Großvater nicht der Mitarbeiter von Herrn la Fontaine, und hat er nicht mit ihm vier Lustspiele gemacht, ich glaube: die Florentiner, den Zauberbecher, das verlorene Kalb und Ich überrasche Euch unvermutet?«
»Mein Herr, während ich Ihre tiefe dramatische Gelehrsamkeit bewundere, was mich fortwährend bei einem Novizen in Erstaunen setzt, bemerke ich Ihnen: es ist meine Überzeugung, daß der gute la Fontaine meinem Großvater aus Gefälligkeit und um ihm Ehre anzutun, erlaubt hat, in der Welt zu sagen, sie arbeiten mit einander.«
»Ah! ja.«
»So ist es, mein Großvater ließ ihn bei unserer Familie beteiligt sein, und Herr la Fontaine ließ meinen Großvater bei seinen Stücken beteiligt sein.«
Banniére errötete unmerklich.
»Sie sagen also,« sprach er, »Ihr Großvater habe Bekümmernisse gehabt: den Tod von Herrn la Fontaine den Tod seiner Frau und den Tod von Herrn Racine?«
»Bekümmernisse,« fuhr Champmeslé fort, »denen man den geringen Succeß, ich möchte sogar sagen, das Durchfallen gewisser Stücke beifügen muss, die er wohl allein gemacht hatte, als da sind; die Schäferstunde, die Saint – Denis-Straße, der Pariser; es ermüdet am Ende einen Menschen, wenn er von Zeit zu Zeit fällt, besonders, wenn er in fünf Akten und in Versen fällt. Kurz mein Großvater wurde nach 1700, wie König Ludwig XIV, sehr grämlich: er war schweigsam, stumm und träumte vom Morgen bis zum Abend. Während er aber, mein Bruder, bei Tage wunderliche Träume hatte, träumte Chevillet von Champmeslé auch bei Nacht, und er sah dann die Champmeslé, seine Frau, und Mademoiselle Chevillet, seine Mutter, welche auf einander gestützt, bleich und weiß wie Schatten, mit einer ganz schmerzlichen und ganz traurigen Miene, mit dem Finger jenes Zeichen machten, welches besagen will: Komm mit uns.«
»Ah! mein Gott!« rief Banniére.
»Mein Herr, das ereignete sich in der Nacht von einem Freitag aus den Sonnabend des Monats August 1700. Aus diesen Traum, der sich so tief in seinen Geist eingegraben hatte, daß er ihn als eine Wirklichkeit behauptete, fängt Mein Großvater an verworrenes Zeug zu reden, und von diesem unseligen Augenblicke an hat er in seinen Ideen nur noch das sanfte Antlitz der Champmeslé mit ihren schwarzen Haaren und das strenge Gesicht von Frau von Chevillet mit ihren weißen Haaren, und ihr schwermütiges Lächeln und ihr trauriges Winken, dergestalt, daß er unablässig bei jeder Gelegenheit sang: Adieu paniers, vendanges sont fialtes!2
»Mein Herr Großvater, der damals den Agamemnon vor König Ludwig XIV. spielte, und dem nach der Vorstellung von Ludwig XIV. die Ehre zu Teil wurde, daß er zu ihm sagte: »»Nun! Champmeslé, Sie werden also immer schlecht sein?«« mein Großvater, der, als ein Mann von Geist, immer über