Alice Berend

Das verbrannte Bett


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gut gestrichenen Walzerweisen.

      Jedes Blättchen wiegte sich mit im warmen Julihauch. Jedes Insekt summte und brummte im Dreivierteltakt.

      An allen Tischen saßen fröhliche Herzen.

      Hier schien sie sich versteckt gehalten zu haben, die verlorengegangene, gute, alte Zeit.

      Nichts Schweres gab es mehr, nicht Billig mehr und Teuer, nicht Gut und Böse, kein Sparen und kein Versagen, kein Kranksein mehr oder gar Schlimmeres, nur wiegen, sich wiegen, weil man noch lebte, Heiteres denkend, leicht sich fühlend im Walzertakt.

      Konstanzes blonde straffe Schlankheit wirkte eigentlich nicht ganz rhythmisch zwischen den Wienerinnen, rundlich und brünett.

      Herr Blümel hatte vor dieser Art Frauen früher etwas wie Angst empfunden. Wahrscheinlich in Erinnerung an eine allzu gestrenge Lehrerin der Kindheit.

      Was uns fürchten macht, zieht uns an. Darum also wohl musterte Herr Blümel Konstanze gründlich.

      Starr und unverwandt blickte er auf sein Gegenüber. Mit der Aufmerksamkeit, wie er sie bisher nur für Dinge aufgebracht, die ihn in Schaufensterauslagen angelockt hatten und deren Kauf er in Erwägung gezogen. Beispielsweise jene Krawatte, rotbraun mit grünen Punkten, deren Erwerb er wochenlang täglich überlegt hatte. Bei jedem Spaziergang war das Stückchen Seidenband scharf fixiert worden. Als er sich zum Kauf entschlossen hatte, war die Krawatte verkauft worden, gerad in den wenigen Sekunden, die Herr Blümel gebraucht hatte, um von draußen nach drinnen zu gelangen.

      Er hatte darin Schicksalsfügung gesehen. Man soll nichts überstürzen, er freute sich der aufgedrungenen Ersparnis …

      Konstanze ertrug Herrn Blümels Blicke ohne Schwierigkeit. Sie genoß Walzermelodie und Sommerstunde. Alles schien tanzen zu wollen. Selbst Herrn Blümels Nase. Die nicht ganz Konstanzes Beifall hatte. Sie glich einem kleinen Knopf und vermochte auf kurzem Rücken nicht einmal einen Kneifer reiten zu lassen.

      Konstanze meinte, Udo von Silkens lässiges Lächeln darüber wegtanzen zu sehen.

      Zu Udo paßte weder Kneifer noch Brille.

      Udo trug ein Monokel vor seinem kurzsichtigen Auge. Dazu war es nötig, das andere Auge, das nüchtern- normal sehende, zuzukneifen. Auf diese Weise war Udos Lebensperspektive entstanden. Keine Weltanschauung ohne Gründe …

      Herr Blümel plauderte vom alten Wien. Er erzählte von Frühlingsfesten, die einst gefeiert wurden. War das erste Veilchen des Jahres entdeckt, meldete man das damals sofort auf der »Burg«. Kurz darauf verkündeten Fanfarenbläser auf allen Straßen, auf allen Plätzen, daß der Frühling gekommen. Bereitwilligst stockte gleichen Augenblicks alle Arbeit. Alles zog in die Schenken vor die Stadt zum Weingenuß. Überall wurde Harfe gespielt. Oder die Pikkoloflöte. Sie wurde von den Wienern picksüßes Hölzel genannt.

      Konstanze lachte auf.

      Herr Blümel fand es nicht uninteressant zu beobachten, wie sich Lustigkeit zwischen die energischen Züge eines klugen klaren Gesichts zwängte.

      Er berichtete weiter vom Zauber der Vergangenheit. In dem Wunsch, sich selbst angenehm zu machen, holte er die unsterbliche Anmut der Vaterstadt Wien hervor, Abglanz ihrer Reize fiel auf jeden Wiener.

      Herr Blümel erbot sich, Fräulein Konstanze am nächsten Tag nach Belvedere zu führen, ihr das Schloß des Prinzen Eugen zu zeigen.

      Konstanze wurde lebhaft. Prinz Eugen, der edle Ritter, ihn hatte man schon in der Schule besungen, dreistimmig. Alle Mädchen hatten für Prinz Eugen geschwärmt.

      Alle Mädchen? Herr Blümel war gewiß keiner, dem an der Bewunderung aller Mädchen gelegen war.

      Aber ihn durchschoß doch die Feststellung, welche Bevorzugung solch Prinz genoß, noch nach Jahrhunderten, dank einer poesievoll scheinenden Position.

      Gleich darauf berichtete Herr Blümel jedoch, ohne Spur von Konkurrenzneid, Näheres aus des Savoyardenritters interessantem Leben. Intim, zusammengehörig, so wie ein echter Wiener vom anderen echten Wiener spricht.

      Genau beschrieb er den Steinadler, grau, breitflügelig, melancholisch, zahm geworden, den der feurige Prinz seinen Bruder genannt. Den er täglich in der Morgenfrühe gefüttert hatte, der ihn um fünfundsiebzig Jahre überlebte. Der merkwürdigerweise gerad in der Stunde verendet war, als Napoleon in Wien eingezogen.

      Konstanze hatte Tränen in den Augen. Sie entschuldigte dies lächelnd. Sie wisse selbst nicht, warum sie plötzlich traurig sein müßte. Wien wäre so weich und rührend.

      Herr Blümel hatte Weibertränen bisher für eine der übelsten, verlogensten und raffiniertesten Naturerscheinungen gehalten.

      Sogar zu jenen Natürlichkeiten, die sich so täuschend nachahmen ließen, daß man meistens nur Imitation zu sehen bekam.

      Gerad heut jedoch hatte er in der Zeitung gelesen, daß frische Tränen tötend auf Krankheitserreger und Bazillen wirkten.

      Möglich, daß dies die Ursache war, daß er sich eingestehen zu müssen glaubte, daß diese Tropfen des Gefühls wie Edelsteine glänzten. Er hielt Aufrichtigkeit durchaus für Pflicht.

      Man hörte schweigend den »Schönbrunner« des Meisters Lanner.

      Man war nicht unzufrieden, daß nach seinem Verklingen ein kleiner Zwischenfall die Aufmerksamkeit beschäftigte. Einem Bübchen war der Luftballon entflogen. Das Kind weinte, die Mutter schalt.

      Ein alter Herr, kleingestaltig, zusammengeschrumpft wie ein Heinzelmann, trat zu dem Weinenden und sagte, der Bub müsse darüber lachen, daß der Bunte so hoch hatte fliegen können, wie er Kraft in sich hatte. Oben werde er zerplatzen vor Freude darüber, daß er der Sonne so nah kommen gedurft. Im Zimmer wäre er verschrumpft wie ein Bratapfel.

      Bei diesem fröhlich vertrauten Wort lachte der Junge auf, getröstet.

      Zur scheltenden Mutter meinte der zierliche Alte, daß sich ihre Ausgabe für den Davongeflogenen reichlich belohnt hätte. Der hätte den Jungen in wenigen Augenblicken alles durchleben lassen, was man an Empfindungen gewinnen könne. Sehnenden Wunsch, Erfüllung, Freude am Besitz und den Schmerz des sich ins Unbekannte verlierenden, nie zu haltenden Glücks.

      Herr Blümel sah in Kindern eigentlich Störenfriede.

      Heute rührte ihn der kindliche Kummer. So war also auch solch Kleiner schon einverleibt in den Kreislauf des

      Schmerzes, mit der ganzen Wucht des Menschseinmüssens. Ein echt Wiener Gesichtchen hatte der Junge.

      Herr Blümel äußerte zu Konstanze, daß es wohl nur in Wien solche Art Bübchen, tief empfindend und reizend, geben könnte.

      Konstanze lachte. Sie war der Meinung, daß Kinder überall etwas sehr Liebliches, Ernstes, Heiteres, Rätselhaftes, Kostbares wären. Auch in Berlin wäre das nicht anders.

      Herr Blümel wurde plötzlich feuerrot, tupfte sich die Stirn und sagte, daß die Sommerhitze heute bis in den Abend zu dauern scheine.

      Konstanze hatte dem zierlichen alten Herrn nachgesehen.

      Sie sagte, er hätte die Lebhaftigkeit eines Kapellmeisters in den Bewegungen. Sicher wäre er einer von den bedeutenden Musikern Wiens. Oder sein Gespenst.

      Als Antwort versuchte Herr Blümel aufs neue sich Glanz und Schimmer zu entlehnen zu eigenem Schmuck.

      Er brauchte diesmal einen kleinen Umweg. Er schilderte große Landsleute, aber in ihren menschlichen Schwächen.

      Schubert verstand zu komponieren, aber nicht hauszuhalten. Mozart sprudelte über von Melodien, aber auch von Launen. Beethoven der Gewaltige war unmöglich im Umgang, und seine Hände sollen behaart gewesen sein bis an die Fingerspitzen.

      Diese Behauptung lenkte unwillkürlich die Blicke auf die eigenen Hände.

      Herr Blümel war ein wenig eitel auf die seinen. Ein Mann, dessen Handwerkszeug Kantel, Bleistift, Federhalter und appetitlich weißes Papier waren, konnte es sich erlauben, seine Nägel zu pflegen. Herr Blümel sah darin sogar eine angenehme Zerstreuung, billig und beruhigend, wenn die Schere knipste, die Feile hobelte, das Leder polierte, sommers am offenen Fenster, winters im warmen