Alice Berend

Spreemann Co


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griff sie nach den Eimern, um ins Haus zu gehn.

      Da kam Anna, die Magd von Herrn Kreisrat Giesecke, der mit seiner Familie das obere Stockwerk bewohnte, eilig herausgelaufen.

      Herr Kreisrat ließ Herrn Spreemann raten, nicht wie gewöhnlich zu Klausing an den Stammtisch zu gehn, sondern sich sein Weißbier rechtzeitig ins Haus holen zu lassen. Denn heute wäre die Straße kein Aufenthalt für anständige Leute. Er selbst ginge auch nicht aus.

      Wieder schrillten draußen Pfiffe, und laufende Schritte jagten über das Pflaster.

      »Was wollen denn die verrückten Menschen nur,« fragte Mamsell Schmidt, und war ganz blaß im Gesicht.

      Die runde, saftige Magd zuckte die Achseln.

      »Ich glaube Gleichheit, das rufen sie wenigstens immer,« sagte sie dann.

      »Wie denn, was denn?« Mamsell Lieschen riß den Mund auf. »Was soll denn gleich sein?«

      Anna schneuzte die Frühlingsfeuchtigkeit in der kurzen Nase hoch und sagte:

      »Mir ist alles gleich, wenn sie nur nicht schießen tun. Vor den Soldaten fürchte ich mich nicht, nur vor ihren Gewehren.«

      Aber da rief man sie und die Unterhaltung war zu Ende.

      Lieschen schleppte die Eimer so rasch es ging die Treppe hinauf. Dann verriegelte sie die Tür.

      Gegen Demokraten helfen nur Soldaten, sang man draußen aufs neue. Dann pfiff und heulte es und war wieder vorüber.

      Kaum, daß es still geworden, klopfte es an der Tür.

      »Hier ist niemand,« schrie Lieschen Schmidt und warf willenlos ein Handtuch über die fertig geputzten Radieschen.

      »Nu, da machen Sie nur unbesorgt auf, Mamsell Niemand,« antwortete draußen eine gutmütige Stimme.

      Lieschen hatte sofort erkannt, daß da der kleine Herr Hirschhorn vor der Tür stand. Er kam in jedem Monat einmal, um Herrn Spreemanns Hühneraugen zu schneiden. Eine der wenigen Jugenderinnerungen, die Klaus von der Landstraße und den zu großen Schuhen zurückbehalten hatte.

      Mamsell Schmidt mochte den kleinen Juden nicht, der jedem Christenmenschen bis unter die Sohlen sah und mit seinem reichen Wissen von Haus zu Haus ging. Aber heute war er ihr von Herzen willkommen. Rasch riegelte sie die Tür auf und ließ ihn hinein.

      »Nur schnell, Jungfer Lieschen, schnell,« sagte er. »Ich hab schon dem Herrn Spreemann zugerufen, daß ich da bin. Heute muß es schnell gehn. Heute soll mit Gottes Hilf noch mancher loswerden, was ihn drückt.«

      Damit hatte er schon mit seiner schwarzledernen Handwerkstasche den ihm bekannten Weg zu Herrn Spreemanns sauber gehaltenem Schlafzimmer zurückgelegt.

      Mamsell Schmidt folgte ihm in Eile und ergriff noch unterwegs einige frischgewaschene Tücher, die sie vor Herrn Spreemanns Lehnstuhl auf den Boden breitete.

      »Versprengen Sie nur nicht wieder die Nägel in alle Zimmerecken, Herr Hirschhorn,« sagte sie ermahnend.

      »He, he. Mamsellchen, heute wird vielleicht noch etwas anderes in alle Ecken gesprengt,« antwortete der kleine Mann und packte eifrig seine Scheren und Messer aus.

      Lieschen starrte ängstlich auf das geriebene Lächeln um seinen Mund.

      »Was ist denn nur los,« sagte sie, »soll denn die Welt untergehen?«

      Aber da schloß Herr Spreemann die Tür auf, und Mamsell Schmidt huschte bescheiden aus dem Zimmer.

      »Ich hab mich ein wenig verspätet,« fing Hirschhorn sofort an, als er Herrn Spreemanns kräftigen Fuß zwischen den Händen hatte. »Ich war in den Selten, bei den Versammlungen. Ei weih, da kriegt mancher die Wahrheit zu hören. Da schwillt einem der Mut in der Brust. Das hätten Sie auch mitanhören sollen, Herr Spreemann. Weiß Gott, das hätten Sie tun sollen.«

      »Ich hab meine Arbeit,« knurrte Spreemann. Er liebte es nicht, daß Hirschhorn sprach, während er mit den scharfen Messern an seinen Füßen hantierte.

      »Wir sollten Söhne haben, Herr Spreemann,« fuhr Hirschhorn fort. »Jeder sollte jetzt Söhne in der Wiege haben, Herr Spreemann. Eine neue Zeit kommt, eine große.«

      »Au!« rief Herr Spreemann. »Passen Sie doch auf, Hirschhorn.«

      »Pardon, pardon, Herr Spreemann. Ich bin heute ein bißchen erregt, sozusagen. Ich bewundre Herrn Spreemanns Ruhe.«

      »Ich weiß nicht, warum die Leute stets mißvergnügt sind. Es wird schon alles von selbst zurechtkommen,« sagte Herr Spreemann ärgerlich.

      »Das teure Brot, die Mißernten in Schlesien,« warf Hirschhorn dazwischen, tief über Herrn Spreemanns kleiner Zehe gebückt.

      Herr Spreemann meinte, daß sich jeder um sich selbst kümmern müsse. Daß für Herrn Hirschhorn das Wachsen der Hühneraugen wichtiger sei als das des schlesischen Korns.

      Hirschhorn erwiderte, daß alles in der Welt seinen Zusammenhang habe. Es wäre schon recht, wenn es auch das Volk besser bekäme. In der Wiege und im Sarge sähen alle Menschen gleich aus. Da könnten sie es auch zwischendurch ein bißchen ähnlicher haben.

      Herr Hirschhorn hatte nicht umsonst stundenlang unter den kahlen Bäumen des Tiergartens gestanden. Reden gehört und kalte Füße bekommen. Kalte Füße, warmes Herz.

      Spreemann sagte, daß er vor zwanzig Jahren solchen Aufruhr begriffen hätte. Aber jetzt wäre doch alles schön und gut.

      »Jeder hat es, wie er sich's macht,« schloß er. »Wer arbeitet, hat auch zu essen.«

      Hirschhorn maß mit schiefem Kopf sein begonnenes Werk an der kleinen Zehe, griff nach einem andern Messerchen und sagte:

      »Nu, es gibt auch noch höhere Güter, Herr Spreemann. Der Magen regiert nicht allein. Das Volk will und muß auch . . .«

      Da glitt das Messer ab und bohrte sich tief in die fleischige Zehe. Herrn Spreemanns rotes Blut strömte über die saubern Tücher.

      Denn im Eifer des Disputs hatte man überhört, daß ein dumpfes Murren, ein schrilles, sausendes Geheul näher und näher schwoll.

      Jetzt kam es plötzlich über den Platz gejagt.

      Kreischende Stimmen von Weibern und Männern, Pfiffe, Schreie, Flüche, Drohungen ballten sich zum Gebrüll eines Raubtiers zusammen.

      Mit einem Freudenruf war Hirschhorn aufgesprungen und hatte im gleichen Augenblick seinen Kram von Scheren, Messern und Feilen in die alte Ledertasche geworfen. Ohne einen Blick, ohne eine Entschuldigung für Herrn Spreemanns blutende Zehe.

      »Sie kommen!« schrie er, »sie kommen!« und hatte mit einem Ruck zwischen seinen Salben und Pomaden eine schwarzgelbrote Kokarde hervorgerissen.

      Dann rannte er hinaus. Im Flur hatte er die Kokarde schon an seinem großen, abgenutzten Hute stecken.

      »Freiheit! Gleichheit!« schrie er. »Mein Lebtag hab ich drauf gewartet.«

      Und dann riß er die Tür auf und stürzte hinaus.

      Er rannte beinahe den Lehrling um, der von unten heraufgejagt kam.

      »Sie bauen Barrikaden! Barrikaden bauen sie!« kreischte er mitten in Lieschens entsetztes Gesicht. »Ich geh mit, ich geh mit.«

      Und er packte einen Küchenstuhl und rannte hinter Herrn Hirschhorn her.

      Und der blonde junge Mann, den man immer nur lächeln gesehn und: »sehr wohl, Herr Spreemann,« sagen hörte, hatte eine Kokarde an die Staubpuschel gebunden und eine Holzbank unterm Arm. Das Gesicht verzerrt voll Wut, warf er sich ins Gewühl.

      Herr Spreemann war ans Fenster gehumpelt und sah es mit Entsetzen.

      Immer unheimlicher steigerte sich das rasende Raubtiergebrüll.

      Erstarrt sah Spreemann Hirschhorns lange Rockschöße in der stoßenden, stampfenden Menge verschwinden. Sah er den kleinen Lehrling beinah allen voran davonstürmen. Eine Sekunde lang blitzte eine Erinnerung in ihm auf. Sein Vater wäre auch mitgelaufen, die hohen Stiefel voll heimlicher Schätze. Und er