Arthur Schnitzler

Der Weg ins Freie


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auch nicht«, sagte Josef, der Ringe in die Luft blies. »Ich gehe seit Jahren nicht hin. Offen gestanden… ich weiß ja nicht, wie Herr Baron zu dieser Frage Stellung nehmen… ich bin den Israeliten nicht zugetan.«

      Herr Rosner blickte zu seinem Sohne auf. »Der Herr Baron verkehrt in diesem Haus, und es wird ihm ziemlich sonderbar erscheinen, lieber Josef… «

      »Mir?« sagte Georg verbindlich. »Ich stehe ja in keinerlei näheren Verbindungen mit dem Hause Ehrenberg, so gern ich mit den beiden Damen zu plaudern pflege.« Und fragend setzte er hinzu: »Aber haben Sie Else nicht im vorigen Jahr Singstunden gegeben, Fräulein Anna?«

      »Ja. Vielmehr… ich habe nur mit ihr korrepetiert.«

      »Das werden Sie heuer wohl wieder tun?«

      »Ich weiß nicht. Sie hat bisher noch nichts von sich hören lassen. Vielleicht gibt sie's ganz auf.«

      »Sie glauben?«

      »Es wäre beinah zu wünschen«, versetzte Anna sanft, »denn eigentlich hat sie immer mehr gepiepst, als gesungen. Übrigens«, und jetzt warf sie Georg einen Blick zu, der ihn gleichsam von neuem begrüßte, »die Lieder, die Sie mir geschickt haben, sind sehr hübsch. Soll ich sie Ihnen vorsingen?«

      »Sie haben sich die Sachen schon angeschaut? Das ist nett.«

      Anna hatte sich erhoben. Sie führte beide Hände an ihre Schläfen und strich wie ordnend, leicht über ihr gewolltes Haar. Sie trug es ziemlich hoch frisiert, wodurch ihre Gestalt noch größer erschien, als sie war. Eine schmale, goldene Uhrkette war zweimal um den freien Hals geschlungen, fiel über die Brust herab und verlor sich in dem grauledernen Gürtel. Durch eine fast unmerkliche Kopfbewegung forderte sie Georg auf, ihr zu folgen.

      Er stand auf und sagte: »Wenn's erlaubt ist… «

      »Bitte sehr, bitte sehr, natürlich«, sagte Herr Rosner. »Herr Baron wollen so freundlich sein, mit meiner Tochter ein wenig zu musizieren. Sehr schön, sehr schön.« Anna war in das Nebenzimmer getreten. Georg folgte ihr und ließ die Tür offen stehen. Die weißen Tüllvorhänge vor dem geöffneten Fenster waren zusammengesteckt und bewegten sich leise.

      Georg setzte sich an das Pianino und griff ein paar Akkorde. Indes kniete Anna vor einer alten, schwarzen, teilweise vergoldeten Etagere und holte die Noten hervor.

      Georg modulierte in die Anfangsakkorde seines Liedes.

      Anna fiel ein, und zu Georgs Melodie sang sie die Goetheschen Worte.

        »Deinem Blick mich zu bequemen,

        Deinem Munde, deiner Brust,

        Deine Stimme zu vernehmen,

        War mir erst' und letzte Lust.«

      Sie stand hinter ihm und schaute über seine Schulter in die Noten. Zuweilen beugte sie sich ein wenig vor, und dann fühlte er an der Schläfe den Hauch ihrer Lippen. Ihre Stimme war viel schöner, als seine Erinnerung sie bewahrt hatte.

      Im Nebenzimmer wurde etwas zu laut gesprochen. Ohne den Gesang zu unterbrechen, lehnte Anna die Türe zu.

      Josef war es gewesen, der sein Organ nicht länger hatte bändigen können. »Ich werde noch einen Sprung ins Kaffeehaus hinüber schauen«, sagte er.

      Man erwiderte nichts. Herr Rosner trommelte leise auf den Tisch, und seine Gattin nickte scheinbar gleichgültig.

      »Also adieu.« Bei der Tür wandte sich Josef wieder um und bemerkte mit mäßiger Festigkeit. »Mama, wenn du vielleicht einen Moment Zeit hast… «

      »Ich hör schon«, sagte Frau Rosner, »es wird ja kein Geheimnis sein.«

      »Nein. Es ist ja nur, weil ich mit dir ja ohnedies in Verrechnung bin.«

      »Muß man ins Kaffeehaus gehen?« fragte der alte Rosner einfach, ohne aufzublicken.

      »Also es handelt sich nicht ums Kaffeehaus. Es ist überhaupt… Ihr könnt mir's glauben, daß es mir selber lieber wär, wenn ich euch nicht anpumpen müßt'. Aber was soll der Mensch tun?«

      »Arbeiten soll der Mensch«, sagte der alte Rosner leise und schmerzlich, und seine Augen röteten sich. Die Frau warf einen traurigen und strafenden Blick auf den Sohn.

      »Also«, sagte Josef, knöpfte den Bureaujanker auf und wieder zu, »das ist doch wirklich… wegen jedem Guldenzettel… «

      »Pst«, sagte Frau Rosner mit einem Blick gegen die angelehnte Tür, durch die jetzt, nachdem der Gesang Annas geendet, nur das gedämpfte Klavierspiel Georgs hereinklang.

      Josef beantwortete den Blick der Mutter mit einer wegwerfenden Handbewegung: »Arbeiten soll ich, sagt der Papa. Als ob ich's nicht schon bewiesen hätte, daß ich's kann.« Er sah zwei fragende Augenpaare auf sich gerichtet. »Jawohl hab ich's bewiesen, und wenn es nur auf meinen guten Willen ankäm, hätt' ich überall mein Auskommen gehabt. Aber ich hab halt nicht das Temperament, mir was gefallen zu lassen, ich laß mich nicht ausschreien von meine Chefs, wenn ich mich einmal eine Viertelstunde verspäten tu… oder so was.«

      »Die Geschichte kennen wir«, unterbrach ihn Herr Rosner müde. »Aber schließlich, weil wir schon davon sprechen, du wirst dich ja doch wieder um irgendwas umschauen müssen.«

      »Umschauen… gut… «,erwiderte Josef. »Aber zu einem Juden bringt mich keiner mehr ins Geschäft. Das würde mich bei meinen Bekannten… jawohl in meinem ganzen Kreis würde mich das lächerlich machen.«

      »Dein Kreis… «, sagte Frau Rosner, »wer ist denn dein Kreis? Kaffeehausfreunderln.«

      »Also bitte, weil wir schon davon reden«, sagte Josef, »es hängt auch wieder mit dem Guldenzettel zusammen. Ich habe jetzt ein Rendezvous im Kaffeehaus mit dem jungen Jalaudek. Ich hätt's euch lieber erst gesagt, wenn die Sache perfekt wird… aber ich seh schon, ich muß früher mit der Farb heraus. Also der Jalaudek, das is der Sohn von dem Stadtrat Jalaudek, von dem berühmten Papierhändler. Und der alte Jalaudek ist bekanntlich eine sehr einflußreiche Persönlichkeit in der Partei… sehr intim mit dem Herausgeber vom »Christlichen Tagesboten«, Zelltinkel heißt er. Und beim»Tagesboten« da suchen sie jetzt junge Leute von gefälligen Umgangsformen, – Christen natürlich, für das Inseratengeschäft. Und da hab ich heute mit dem Jalaudek Rendezvous im Kaffeehaus, weil er mir versprochen hat, sein Alter wird mich beim Zelltinkel empfehlen. Das wär etwas Ausgezeichnetes… da bin ich aus'm Wasser. Da kann ich in der kürzesten Zeit hundert oder auch hundertfünfzig Gulden im Monat verdienen.«

      »Ach Gott«, seufzte der alte Rosner.

      Draußen ging die Glocke. Rosner blickte auf.

      »Das wird der junge Doktor Stauber sein«, sagte Frau Rosner und warf einen besorgten Blick nach der Tür, durch die Georgs Klavierspiel noch leiser drang als früher.

      »Also Mama was is eigentlich?« sagte Josef.

      Frau Rosner nahm ihre Geldbörse und reichte ihrem Sohn seufzend einen Silbergulden.

      »Küß die Hand«, sagte Josef und wandte sich zum Gehen.

      »Josef«, rief Herr Rosner. »Es ist doch einigermaßen unhöflich grade in dem Augenblick, wenn ein Besuch kommt… «

      »Ah, ich dank schön, ich muß nicht von allem haben.«

      Es klopfte, Doktor Bertold Stauber trat ein.

      »Entschuldigen vielmals, Herr Doktor«, sagte Josef, »ich bin grad im Weggehen.«

      »Bitte«, erwiderte Doktor Stauber kühl, und Josef verschwand.

      Frau Rosner forderte den jungen Arzt auf, Platz zu nehmen. Er setzte sich auf den Divan und horchte nach der Seite hin, von wo das Klavierspiel kam.

      »Der Baron Wergenthin«, erklärte Frau Rosner etwas verlegen. »Der Komponist. Anna hat eben gesungen.« Und sie schickte sich an, ihre Tochter herein zu rufen.

      Doktor Berthold hielt sie ganz leicht am Arme fest und sagte freundlich. »Nein. Ich bitte Fräulein Anna nicht zu stören, absolut nicht. Ich habe nicht die geringste Eile. Es ist übrigens ein Abschiedsbesuch.« Der letzte Satz kam wie hervorgestoßen aus seiner