Artur Landsberger

Die neue Gesellschaft


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      Die neue Gesellschaft

      Vorwort

Lieber Freund!

      Erinnere Dich! Du warst ein so lieber Kerl. Zwar hattest Du nicht viel gelernt und Dein Drang, Dich zu bilden, war mit den Jahren nicht größer geworden. Du pfiffst auf die Kultur – schon damals, als wir anderen es noch nicht taten.

      Aber Du besaßt Gemüt und Takt und hattest etwas so Gütiges und Gerades – wie soll ich es bezeichnen? – mein Vater nannte es Herzensbildung und schätzte es höher als angelerntes Wissen.

      Zwar schwiegst Du, wenn wir von den Theosophen, von Plato, Nietzsche, von neuen Erfindungen, von Kunst und Literatur oder gar von Politik sprachen. Ach ja! das taten wir damals und kamen uns so gescheit vor.

      Aber wir liebten Dich und wußten, was wir an Dir hatten: Einen echten unverbildeten Menschen, zu dem wir mit jedem Kummer unsres Herzens kamen.

      Und dann kam der Krieg.

      Da geschahʼs, daß eines Tages in Deinen Laden, in dem Du – ich weiß nicht einmal was – verkauftest; warʼs Leder oder waren es Felle und ähnliche, bis dahin wenig beachtete Dinge? – jedenfalls: in Deinen Laden kam ein Herr in reichem Pelz, mit vielen Ringen auf den Fingern. Du fragtest ihn noch seinem Begehren. Und er erwiderte:

      »Ich will nichts. Ich bringe!«

      »Was bringen Sie?« fragtest Du. Und er sagte:

      »Das Glück.«

      Du lächeltest und fragtest:

      »Wie sieht das aus?«

      Da zog er ein Kuvert aus der Tasche und breitete vor Dir in endloser Reihe braune Reichsbankscheine aus.

      »Das alles gehört Ihnen,« sprach er. – »Und tausendmal mehr werden Sie hinzuverdienen, wenn Sie mich als Teilhaber bei sich aufnehmen.«

      »Lieber Mann,« erwidertest Du – »Sie sind toll! Wie sollte das geschehen?«

      Da erklärte er Dir die Methode. Er sprach vom Kriege, von Ausnutzung der Konjunktur und ähnlichen Dingen.

      Du fühltest instinktiv, daß das – wenn auch nicht Verbotenes, so doch etwas war, was zu Dir und Deiner Art nicht paßte.

      Du sagtest: »nein!« – und wiest ihm die Tür.

      Und abends saßen wir, wie so oft, beieinander. Und Du erzähltest uns Dein Erlebnis. Da waren wir es, die Dir rieten, nach dem Glück zu greifen, das sich Dir bot.

      Du tatest es. Nicht gern. Aber im Vertrauen auf unsere Klugheit, auf uns, die wir Dich kannten und die wir ja wissen mußten, ob das das Glück, Dein Glück war.

      Ein paar Tage später war er Dein Teilhaber geworden.

      Und dann folgte lange nichts. Wir sahen und hörten nichts voneinander. Hier- und dahin trieb uns die Zeit.

      Da, nach Jahren, saßen wir eines Abends alle wieder beieinander. Keiner von uns hatte sich verändert. Nur Du!

      Du kamst in reichem Pelz, mit vielen Ringen auf den Fingern und erzähltest von Deinen Erfolgen. Aber Du seist nicht wie die andern, sagtest Du, die nur das leicht verdiente Geld verprassen, ohne an ihre geistige Fortentwicklung zu denken. Du hattest nicht nur Millionen gehäuft, Du hattest Dich auch gebildet. Du sprachst von Theosophie, von Nietzsche und Plato, von Literatur und Kunst; sogar von Politik sprachest Du. Und was Du sagtest, war nicht dumm. Aber wo war Dein Gemüt und Takt, wo das Gütige und Gerade – wie soll ich es bezeichnen? – mein Vater nannte es Herzensbildung und schätzte es höher als angelerntes Wissen – geblieben? Das, um dessen willen wir Dich liebten.

      Wir sahen bald: Du warst ein anderer geworden. Wir hatten Dich verloren!

      Am nächsten Tage schrieben wir Dir einen Brief und baten Dich, nicht mehr zu kommen. —

      Wir haben viel verloren – damals, als wir Dir rieten und Du unserem Rate folgtest.

      Ob auch Du in späten Tagen einmal bereuen wirst?

      Vielleicht schon dann: wenn Du dies Buch liest, eine der erweiterten Stegreifgeschichten, die wir uns an den Montag-Abenden zu erzählen pflegten, die ich niederschrieb und Dir als letzten Gruß unserer Tafelrunde widme.

      Lebʼ wohl!

Dr. Artur Landsberger

      Erstes Kapitel

      Wie die Villa von Röhrens auf Berndts überging

      Frau Käte lag in einem Morgenkleid aus rosafarbenem Chinakrepp auf der Veranda ihrer Tiergartenvilla und las. Vor der Chaiselongue stand ein kleiner runder Tisch, auf dessen mattgrau seidenem Perser eine lila Schachtel mit Zigaretten lag. Zwischen Tisch und Chaiselongue saß Lori, die deutsche Schäferhündin aus dem Stamm Tuaillons, spitzte die Ohren und ließ kein Auge von der Tür, die in den Garten führte.

      Plötzlich sprang Lori auf, öffnete sich die Tür und stürzte die kleine Treppe hinunter in den Garten. Käte sah von ihrem Buch auf und lächelte, als sie im Kies die Tritte ihres Mannes hörte. Sie setzte sich auf und rief freudig:

      »Hallo!«

      »Liebling!« klang es zurück. Die Schritte wurden lauter und schneller. Lori kläffte vor Freude hell auf; und wenige Augenblicke später stand Paul vor seiner Frau.

      Er küßte ihr erst die Hand, die sie ihm entgegenstreckte, beugte sich dann über sie und schloß sie in die Arme.

      Käte sprang auf, klingelte, gab Anordnungen; und ein paar Minuten später meldete der Diener:

      »Es ist angerichtet.« »

      »Viel ist es nicht,« sagte Käte, »aber da wir uns nun doch bald an das neue Leben gewöhnen müssen. . . .«

      »Wird es dir schwer fallen?« fragte Paul.

      Sie sah ihn groß an und schüttelte den Kopf:

      »Nein!« sagte sie. – »Je mehr ich mich hineindenke, um so leichter erscheint es mir. Wir werden die vielen gesellschaftlichen Verpflichtungen los und viel mehr als bisher uns und den Kindern leben.«

      »Du findest bei allem noch immer was Gutes heraus,« sagte Paul.

      »Ich kann nun ’mal darin kein Unglück sehen, daß wir unsere Tiergartenvilla mit einer Dreizimmerwohnung vertauschen und Pferde und Auto aufgeben müssen. Für die Kinder ist es vielleicht viel besser, sie wachsen nicht in dem Luxus auf.«

      Paul nahm ihre Hand und drückte sie.

      »Du machst es einem leicht,« sagte er.

      »Habe ich nicht recht? Bleiben wir nicht, wer wir sind, auch wenn man uns aus unseren Verhältnissen herausnimmt und uns in andere setzt?«

      »Freilich! Darin liegt der Wertmesser des Menschen. Das ist die Belastungsprobe! Wer die besteht, der hat nichts zu fürchten.«

      »Ich weiß noch, wenn ich als Kind von der englischen Gouvernante im Fuhrwerk zur Schule gebracht wurde, wie ich da die Kinder beneidet habe, die sich ohne Aufsicht auf dem Schulwege balgten und jagten!«

      »Und wie gern hätte ich oft als Kind mit den Jungen unseres Portiers getauscht,« stimmte Paul bei.

      »Und wenn wir später als erwachsene Menschen dann anders denken,« erwiderte Käte, »so ist damit noch lange nicht gesagt, daß wir damals als Kinder in einem Irrtum befangen waren, nun aber das Leben richtig werten.«

      »An sich gewiß nicht! Denn man wird in den Portierwohnungen wahrscheinlich mehr zufriedenen Menschen begegnen als in den Millionärswohnungen, die darüber liegen.«

      »Siehst du! Und wenn unsere Jungen einmal erwachsene Menschen sind und wir ihnen sagen können: Eure Eltern, Großeltern und Urgroßeltern waren einmal die größten deutschen Übersee-Exporteure und besaßen Millionen. Dann aber kam der Weltkrieg, und die Engländer brachen das Völkerrecht und ruinierten uns. Euer Vater stand vor der Wahl zwischen einem Konkurs, durch den er unzählige Familien ins Unglück gestürzt, das große mütterliche Vermögen sich und euch aber gerettet hätte, und zwischen einem Vergleich, durch den er den Konkurs abwandte und sich seinen Namen makellos erhielt, dafür aber das ganze Vermögen opferte und noch einmal von vorn anfing, wie sein Urahn vor über hundert Jahren – und er wählte das letzte, und darum müßt nun auch ihr euch euer Leben erst