. . kann natürlich nicht wissen, mit welchen neuen Kreationen die Phantasie französischer Haarkünstler die Welt während seiner Überfahrt beglückt hat. – Kollege Pasquier ist gewiß ein Künstler in seinem Fach. Und Madame Marot, die der Marquise de Poittiers aus dem Gesicht geschnitten ist, so daß ich versucht bin, anzunehmen, hinter ihr verbirgt sich eine Dame der Aristokratie, die nicht erkannt sein will . . .«
»Aber nein!«
»Takt und Diskretion verbieten mir, weiter danach zu forschen.«
»Sie besitzen ein Bild der Marquise de Poittiers?«
»Ein halbes Dutzend.« – Er reichte ihr einen Lederband mit Photographien und sagte: »Bitte, blättern Sie ungeniert! Da Sie zur Familie gehören, so begehe ich keine Indiskretion.«
Photos schöner Frauen mit kitschigen Widmungen an den »großen Meister der Schere« und »unvergleichlichen Künstler« zeugten von einem oft innigen Verhältnis zwischen François Robert und seiner Klientel.
Und ohne daß Frau Dorothée wußte, wie sie eigentlich aus dem Hotelvestibül in den Frisiersalon geraten war, saß sie plötzlich mit einem Bubikopf à la François Robert vor dem großen Spiegel, in den sie – sehr gegen ihre Gewohnheit – während der ganzen Zeit nicht einen Blick hineingeworfen hatte.
Als sie sich jetzt sah, lächelte sie und sagte:
»Das ist zwar das Gegenteil von dem, was Mister Harvey vorgeschwebt hat. . .«
»Einem Manne wie ihm können Sie nur imponieren, wenn Sie das Gegenteil von dem tun, was er erwartet.«
». . . aber ich gefalle mir«, beendete Frau Dorothée ihren Satz, ohne François Robert eines Blickes zu würdigen.
»Es ist drei Minuten vor zwölf, teuerste Marquise. Um zwölf haben Sie, wenn ich Sie richtig verstand, Ihr Rendezvous mit dem Amerikaner . . .«
»Sie sind sehr naseweis, Monsieur François«, sagte Dorothée, die sich erhoben hatte, mit dem Gesicht dicht vor dem Spiegel stand und Rot auflegte.
»Aber verschwiegen«, beteuerte François. »Sie dürfen sich mir ruhig anvertrauen.«
»Lächerlich!« wehrte Dorothée ab.
»Bis neun Uhr abends wird bei mir jeder bedient, der zu mir kommt. Aber von neun Uhr ab suche ich mir die Damen aus – die ich bedienen will und von denen ich erwarten darf . . .«
»Was bin ich Ihnen schuldig?«
». . . daß Sie mehr in mir sehen als nur den Coiffeur, dem Sie Ihre Erfolge verdanken.«
»Was wollen Sie denn von mir?«
»Ich begreife durchaus, daß man einem Manne wie Herrn Marot nicht treu ist. . .«
»Was wissen Sie denn von meinem Mann?«
»Daß er einen Vollbart trägt – mehr brauche ich von ihm nicht zu wissen.«
»Sie haben uns also schon ausspioniert?«
»Es gehört zu meinem Beruf, zu wissen, wer im Hotel Excelsior Regina absteigt.«
»Ihr Interesse scheint aber bedeutend weiter zu gehen.«
»Ich leugne nicht, daß ich Sie erwartet habe – wenn auch nicht heute nacht.«
Frau Dorothée warf einen Fünfzigfrankschein auf den Tisch und stürzte zur Tür hinaus. – François sah ihr nach, schüttelte den Kopf und dachte: Da stimmt etwas nicht. So ein gutes Gewissen hat keine Frau, die im Excelsior Regina absteigt, daß sie sich leisten kann, mich vor den Kopf zu stoßen.
5
Marot trat aus der Koje. Rock und Weste hatte er bereits ausgezogen und die Hemdsärmel hochgeschlagen. Er kramte auf einem Tisch herum und schien nicht zu finden, was er suchte.
»Dorothée ist wirklich unordentlich«, sagte er.
»Um so mehr Ordnung herrscht bei mir«, erwiderte Harvey und nahm aus einem Lederfutteral, in dem man einen Feldstecher vermutete, zwei silberne Mixbecher heraus. Dann öffnete er eine Reiseapotheke von erstaunlichem Umfang, der er eine Reihe von Flaschen in verschiedener Größe entnahm.
»Ist Ihnen schlecht?« fragte Marot.
»Im Gegenteil. Aber ich bin als Amerikaner gewöhnt, nach dem Essen einen Cocktail zu trinken. Er goß aus Flaschen, auf deren Etikett Baldriantropfen, Rhabarber, Pepsin stand, je zwei Spritzer Orange, Bitters, Maraschino und Absinth, nahm aus einer Flasche, die angeblich Rhizinusöl enthielt, ein Viertel Gordon Gin und aus der Flasche, auf deren Etikett stand Choleratropfen, ein Viertel französischen Vermouth, rührte tüchtig um, goß das Ganze durch ein Sieb in zwei Cocktailgläser und tat schließlich noch Olive hinzu. – Das alles geschah mit einer gewissen Feierlichkeit.
»So also regt die Trockenlegung die Phantasie an«, sagte Marot.
»Wollen Sie kosten?«
Marot wehrte ab:
»Ich nicht. Aber meine Frau um so lieber.«
»Für Ihre Gattin tue ich noch ein paar Tropfen Cointreau hinzu – das gehört zwar nicht hinein, aber man schläft schnell und vorzüglich danach.«
»Arme Dorothée!«
»»Werden Sie nur nicht sentimental.«
»Sie bleibt lange. Finden Sie nicht auch?«
»Ich hätte ihr vielleicht doch nicht so viel von dem neuen Haarschnitt in New York erzählen sollen.«
»Jetzt werden Sie auch unruhig.«
»In so einem Riesenhotel – was steigt da nicht alles ab.«
»Wir hätten nicht zulassen sollen, daß sie allein geht.«
»Natürlich nicht. Wer als politischer Schriftsteller verhaßt ist wie Sie, muß doppelt vorsichtig sein.«
»Meine Gegner werden ihre Wut doch nicht an meiner Frau auslassen.«
»Politischen Fanatikern traue ich alles zu.«
»Sie haben eine goldige Art, einen zu beruhigen.«
»Wer sagt Ihnen, daß ich Sie beruhigen will?
– Im Gegenteil! Ich mache Ihnen Vorwürfe.« »Sie hätten Dorothée genau so gut hinbegleiten können wie ich.«
»Bin ich ihr Mann oder Sie?« Marot und der Amerikaner gingen unruhig im Zimmer umher. In entgegengesetzter Richtung.
– Mehrmals liefen sie so aneinander vorbei. Marot, der seinen Gürtel abgelegt hatte, rutschten dabei ständig die Hosen herunter, die er bei jeder Begegnung mit einer nervösen Bewegung ruckartig in die Höhe zog.
»Sie haben mir wirklich Furcht eingejagt«, stöhnte Marot, nahm die Hand seines Chefs, führte sie an seine Brust und sagte: »Fühlen Sie nur, wie mein Herz schlägt.«
»Und meins erst«, erwiderte Harvey und machte mit der Hand Marots dieselbe Bewegung.
»Meins schlägt stärker!« erklärte Marot, und Harvey erwiderte trotzig:
»Nein, meins!«
»Das können Sie doch gar nicht beurteilen.«
»So wenig wie Sie.«
»Überhaupt! wie kommt Ihr Herz dazu, meiner Frau wegen derart zu schlagen?«
»Seien Sie doch nicht kindisch, Marot.«
Sie liefen wieder um Zimmer umher.
Harvey sah nach der Uhr und sagte:
»Vor einer Stunde ist sie fort.«
Auch Marot zog jetzt die Uhr und sagte:
»Vor anderthalb!«
»Da man nicht annehmen kann, daß außer ihr noch jemand mitten in der Nacht auf die Idee kommt. . .«
»Die Sie ihr in den Kopf gesetzt haben.«
». . . einen Friseur aufzusuchen . . .«
»So muß etwas passiert sein«, vollendete