Balduin Möllhausen

Das Mormonenmädchen Erster Band


Скачать книгу

welches ihm angeboten wird, durch Heirath zu retten.

      Mancherlei sind noch die Eigentümlichkeiten des Mormonenthums, doch versuche ich hier nur solche Punkte besonders hervorzuheben, welche in nachfolgender Erzählung berührt worden sind, ohne daß ihnen zugleich eine Erklärung beigefügt worden wäre.

      Was die weltliche Stellung der Mormonen betrifft, so ließe sich erwarten, daß in einem Hausstande, in welchem sich bis zu dreißig Frauen befinden, fortwährend Hader und Zank herrschen müßte; doch, ganz im Gegentheil, waltet in den meisten Häusern Friede, Eintracht und schwesterliche Zuneigung unter den Gefährtinnen. Manchem jungen Mädchen mag es indessen einige Ueberwindung kosten, vielleicht die zweiunddreißigste Frau eines Mannes zu werden, so wie es in mancher jungen Frau, welche so lange die einzige Lebensgefährtin ihres Gatten war, traurige Gefühle erwecken muß, wenn sie von Zeit zu Zeit von einer neuen Verlobung und Hochzeit ihres Gemahls in Kenntniß gesetzt wird. —

      Die Geschichte des Mormonenthums seit seinem Entstehen bis zur jetzigen Zeit ist mit wenigen Worten erzählt.

      In dem Jahre 1831 bis 1832 wurde im Staate Missouri, nicht weit von der Stadt Independence, von den Mormonen unter der Leitung des Joseph Smith die Stelle zum neuen Jerusalem ausgewählt und die Stadt Zion gegründet. Hier nun, an den äußersten Gränzen der Civilisation, glaubten sie ungestört wohnen und die in ihrer Nachbarschaft lebenden, damals noch sehr dünn gesäeten Ansiedler leicht zu ihrem Glauben bekehren zu können.

      Zwei Jahre verbrachten sie dort in Frieden, als die Bevölkerung der Provinz Jackson sich zusammenrottete und sie vertrieb. Sie suchten darauf ihre Zuflucht in der Provinz Clay, doch nur, um abermals von dort nach Caldwell, im Staate Missouri, verdrängt zu werden.

      Ihre Zahl nahm indessen mit jedem Tage zu, so daß sie sich bald stark genug glaubten, ferneren Unterdrückungen Widerstand entgegensetzen zu dürfen. Als sie abermals verjagt wurden, wobei es schon zu ernstlichen Kämpfen kam, zogen sie nach dem Staate Illinois, wo sie auf dem Ufer des Mississippi vorläufig Ruhe fanden. Sie gründeten daselbst die Stadt Nauvoo und erbauten einen prachtvollen Tempel. Bei der Eigenthümlichkeit ihrer Religion war es indessen vorherzusehen, daß sie nicht lange mit ihren Nachbarn in Frieden leben würden, und im Jahre 1841 bis 1842 gab die Vielweiberei, über welche damals die ersten Gerüchte in Umlauf gekommen waren, Grund zu Anfeindungen.

      Immer neue Verbrechen, vom Diebstahl bis zum Mord, (ob mit Recht oder Unrecht, ist nicht festgestellt) wurden den Mormonen zur Last gelegt, bis endlich die Feindseligkeiten wieder ausbrachen und damit endigten, daß der Prophet Joseph Smith und sein Bruder Hyrum erschossen und Nauvoo niedergebrannt wurde.

      Brigham Young wurde darauf zum Präsidenten gewählt, und unter seiner Führung zogen die Mormonen an den oberen Missouri, zwanzig Meilen oberhalb der Mündung des Platte, wo sie sich dann abermals ansiedelten, zugleich aber ihre besten Jäger ausschickten, um das Land nach allen Richtungen hin durchforschen zu lassen.

      Im Jahre 1847 begaben sich hundertunddreiundvierzig ihrer Männer vom Missouri aus auf den Weg nach dem Westen. Ihnen folgte die ganze Gemeinde in kleinen Abtheilungen nach, und so erreichten sie denn endlich nach einer langen und mühevollen Wanderung den großen Salzsee, wo sie ihr Reich zu gründen beschlossen.

      Das Land wurde eingesegnet, der Plan zu einer Stadt entworfen, und bald entstanden unter ihren Händen, obgleich sie durch Hungersnoth und Krankheit vielfach zu leiden hatten, blühende Ansiedelungen. Dieselben hoben sich um so schneller, als Tausende und aber Tausende von Bekehrten den ersten Ansiedlern nachfolgten und bald ein Reich bilden halfen, über welches Brigham Young unter dem Namen eines Gouverneurs des Utah-Territoriums noch heute herrscht. —

      Es ist bekannt, daß die Mormonen darnach trachten, durch die Gründung von Schulen, Universitäten, durch Fabriken jeder Art und durch fortwährende Hebung und Ausdehnung des Ackerbaues und der Viehzucht sich baldmöglichst unabhängig von dem Verkehr mit anderen Völkern zu machen, obgleich sie sich Bürger der Vereinigten Staaten nennen und die Regierung in Washington anerkennen. In wie weit ihnen dieses gelingen wird, muß die Zukunft lehren; denn wie ihre Regierungsform und ihr Widerwille, sich in die von Washington ausgehenden Anordnungen zu fügen, schon einmal zu dem in nachfolgenden Blättern erwähnten Bruch mit den Vereinigten Staaten Veranlassung gab, so dürfte die Frage der Vielweiberei über kurz oder lang, nachdem der jetzt wüthende Bürgerkrieg in Nordamerika sein Ende gefunden, noch einmal, dann aber auch schärfer in den Vordergrund treten.

      Was an der Religion der Mormonen zu billigen oder zu tadeln ist, werden die Theologen aller Secten, Jeder auf seine Art, gewiß schon längst entschieden haben; der Laie aber, der ein andächtiger Verehrer der Natur und ihrer weisen Gesetze, mißbilligt Alles, was gegen diese verstößt, und es bilden sich bei ihm allmälig ganz besondere Ansichten über jede Religion, die neben ihrem eigenen Glauben keinen andern als selig machend anerkennt.

      So viel zur Einleitung. Was nun nachfolgendes Werk selbst betrifft, so kann ich nur wiederholen, daß ich bei dessen Ausführung ganz dieselben Zwecke im Auge behielt, wie bei ähnlichen, früher von mir veröffentlichen Erzählungen.

      Die möglichen Falls an mich herantretenden Fragen, ob »das Mormonenmädchen« ein Roman, eine Reisebeschreibung oder aus Naturschilderungen zusammengesetzt sei, beantworte ich dahin, daß ich versuchte, das Eine mit dem Andern zu einem abgerundeten Ganzen zu verbinden. Eine durch solche Zwecke bedingte Arbeit ist eine oft schwer zu lösende Aufgabe, darf deshalb aber wohl um so mehr freundliche Nachsicht beanspruchen.

      Wie der historische Roman das unterhaltende Element gleichzeitig mit dem belehrenden umfaßt, so leitet mich in meinen Erzählungen der Wunsch, in ähnlicher Weise das Nützliche mit dem Unterhaltenden zu vereinigen. Wenn Charaktere, in welchen sich alle unedlen Leidenschaften vertreten finden, als Hauptfiguren in Romanen erscheinen dürfen, sollte da die Natur, mit Allem, was sie belebt, nicht dasselbe Recht besitzen, mit Vorliebe behandelt zu werden? Das Ehrfurcht Gebietende und Grausige der Natur aber empfinden wir mit andächtigerer Verehrung und tieferem Schrecken, weil wir das menschliche Geschick wie ein schwaches Rohr davon erdrückt zusehen fürchten; das Lächeln der Natur dagegen dringt inniger zum Herzen, weil es einen erhabenen Gegensatz bildet zu den empörten Leidenschaften der Menschen. —

      Wenn es auch nicht Schuld der Mormonen ist, die nach dem Ausbruch der Feindseligkeiten die Expedition, zu welcher ich zählte, im Thale des Colorado zu vernichten gedachten,5 daß ich noch unter den Lebenden weile, so bin ich bei nachfolgenden Schilderungen doch keineswegs von Haß gegen sie beseelt gewesen. Frei von Vorurtheilen gegen Secten und Stände, habe ich meine Personen fast durchgehende der Wirklichkeit entnommen, was mir um so leichter wurde, weil ich die meisten derselben, wenn auch nicht immer auf vertrautem Fuße mit ihnen stehend, persönlich oder auch nur von Ansehen kannte, und in letzterem Falle, oft ohne mein Dazuthun, mit den nöthigen Aufschlüssen über sie versehen wurde. Vergebliche Mühe aber würde es sein, nach Diesem oder Jenem forschen zu wollen, indem außer den, mir durch ihre treu geleisteten Dienste unvergeßlichen Eingeborenen, kein Einziger unter seinem wirklichen Namen eingeführt ist.

      Und so übergehe ich diese Arbeit vertrauensvoll der Oeffentlichkeit.

      Wer kein warmes Herz hat für die Natur, wer das Fremdartige, ja, das Unbekannte störrisch nach den heimathlichen Verhältnissen abgemessen haben will, und die der Wirklichkeit entnommenen Bilder nicht zu scheiden vermag von solchen, welche die Phantasie gezwungen war, zu ergänzen, der lege diese Bücher ungelesen, unbeachtet zur Seite; deren Inhalt wird ihn nicht befriedigen. Doch wer es liebt, die Blicke über die nächsten Gränzen hinaus zu werfen, an sicherer Hand die endlosen Urwildnisse des fernen Westens im Geiste zu durchwandern; wer einen Genuß darin sucht, die einst an Ort und Stelle empfangenen überwältigenden Eindrücke, wenn auch aus zweiter Hand, in sich aufzunehmen und das gewissermaßen mitzuempfinden, was noch jetzt in der Erinnerung zu warmem Enthusiasmus fortreißt, der entdeckt in nachfolgenden Blättern vielleicht Manches, was ihn mit der Erzählungsform aussöhnt und dazu bewegt, freundlich über einzelne schwer zu umgehende Mängel hinwegzusehen.

      1

      Der Sandsturm

      Wo in dem ungeheuern »Becken,« begränzt durch die starren, nackten Joche des Wahsatch-Gebirges und der unabsehbaren Züge