es töricht oder klug ist, das ist mir ganz gleich!« rief ich.
»Ich weiß, daß ich in Ihrer Gegenwart reden muß, immer reden und reden, und so rede ich denn. In Ihrer Gegenwart verliere ich allen Ehrgeiz, und alles wird mir gleichgültig.«
»Weshalb hätte ich Sie veranlassen sollen, vom Schlangenberg hinunterzuspringen?« fragte sie in einem trockenen Ton, der besonders beleidigend klang. »Davon hätte ich doch nicht den geringsten Nutzen gehabt.«
»Vorzüglich!« rief ich. »Sie bedienen sich absichtlich dieses vorzüglichen Ausdrucks ›nicht den geringsten Nutzen‹, um mich zu demütigen. Ich durchschaue Sie vollständig. ›Nicht den geringsten Nutzen‹, sagen Sie? Aber ein Vergnügen hat immer einen Nutzen, und die Ausübung einer wilden, unbegrenzten Gewalt (und wär's auch nur über eine Fliege), das ist in seiner Art doch auch ein Genuß. Der Mensch ist von Natur ein Despot und liebt es, andere Wesen zu quälen. Sie lieben es im höchsten Grade.«
Ich erinnere mich, sie sah mich lange und unverwandt an. Wahrscheinlich drückte mein Gesicht in diesem Augenblick alle meine törichten, unsinnigen Gedanken aus. Mein Gedächtnis sagt mir jetzt, daß unser Gespräch damals tatsächlich fast Wort für Wort so stattfand, wie ich es hier aufgezeichnet habe. Meine Augen waren mit Blut unterlaufen. An den Rändern meiner Lippen hatte sich Schaum gebildet. Was den Schlangenberg betrifft, so schwöre ich auf meine Ehre, auch jetzt noch: wenn sie mir damals befohlen hätte, mich hinabzustürzen, so hätte ich es getan! Auch wenn sie es nur im Scherz gesagt hätte oder aus Geringschätzung und Verachtung, auch dann wäre ich hinuntergesprungen!
»Nein, was hätte es für Zweck gehabt? Daß Sie es getan hätten, glaube ich Ihnen«, sagte sie, aber in einer Art, wie nur sie manchmal zu sprechen versteht, mit solcher Verachtung und Bosheit und mit solchem Hochmut, daß ich, bei Gott, sie in diesem Augenblick hätte totschlagen können.
Sie schwebte in Gefahr. Auch hierin hatte ich sie nicht belogen, als ich es ihr sagte.
»Sie sind kein Feigling?« fragte sie mich plötzlich.
»Ich weiß es nicht, vielleicht bin ich einer. Ich weiß es nicht … ich habe lange nicht darüber nachgedacht.«
»Wenn ich zu Ihnen sagte: ›Töten Sie diesen Menschen!‹ – würden Sie ihn töten?«
»Wen?«
»Denjenigen, den ich getötet sehen möchte.«
»Den Franzosen?«
»Fragen Sie nicht, sondern antworten Sie! Denjenigen, den ich Ihnen bezeichnen werde. Ich will wissen, ob Sie soeben im Ernst gesprochen haben.«
Sie wartete mit solchem Ernst und mit solcher Ungeduld auf meine Antwort, daß mir ganz sonderbar zumute wurde.
»Aber werden Sie mir nun endlich sagen, was hier eigentlich vorgeht?« rief ich. »Fürchten Sie sich etwa vor mir? Daß hier ganz tolle Zustände sind, sehe ich schon allein. Sie sind die Stieftochter eines ruinierten, verrückten Menschen, der von einer Leidenschaft für diese Teufelin, diese Mademoiselle Blanche, befallen ist; dann ist da noch dieser Franzose mit seiner geheimnisvollen Macht über Sie; und nun legen Sie mir mit solchem Ernst eine solche Frage vor! Ich muß doch wenigstens wissen, wie das zusammenhängt; sonst werde ich hier verrückt und richte irgend etwas an. Schämen Sie sich etwa, mich Ihres Vertrauens zu würdigen? Können Sie sich denn vor mir schämen?«
»Ich rede mit Ihnen von etwas ganz anderem. Ich habe Sie etwas gefragt und warte auf die Antwort.«
»Natürlich werde ich ihn töten!« rief ich. »Jeden, den Sie mich töten heißen! Aber können Sie denn … werden Sie mir denn das befehlen?«
»Denken Sie etwa, Sie werden mir leid tun? Ich werde es befehlen und selbst im Hintergrund bleiben. Werden Sie das ertragen? Nein, wie sollten Sie! Sie werden vielleicht auf meinen Befehl den Menschen töten; aber dann werden Sie darangehen, auch mich zu töten, dafür, daß ich gewagt habe, Ihnen einen solchen Auftrag zu geben.«
Bei diesen Worten hatte ich eine Empfindung, als erhielte ich einen heftigen Schlag gegen den Kopf. Allerdings hielt ich auch damals ihre Frage halb und halb für einen Scherz, für ein Auf-die-Probe-Stellen; aber sie hatte doch gar zu ernsthaft gesprochen. Es frappierte mich doch, daß sie sich in dieser Weise aussprach, daß sie ein solches Recht über mich in Anspruch nahm, daß sie sieh eine solche Gewalt über mich anmaßte und so geradezu sagte: »Geh ins Verderben, und ich bleibe im Hintergrund!« In diesen Worten lag eine zynische Offenheit, die nach meiner Empfindung denn doch zu weit ging. Wofür mußte sie mich ansehen, wenn sie so zu mir redete? Das war ja schlimmer als die unwürdigste Sklaverei. Und wie sinnlos und absurd auch unser ganzes Gespräch war, so zitterte mir doch das Herz im Leibe.
Auf einmal ling sie an zu lachen. Wir satten in diesem Augenblick auf einer Bank dicht bei dem Platz, wo die Equipagen hielten und die Leute ausstiegen, um die Allee vor dem Kurhaus entlang zu gehen; die Kinder spielten vor unseren Augen.
»Sehen Sie diese dicke Baronin?« rief sie. »Das ist die Baronin Wurmerhelm. Sie ist erst seit drei Tagen hier. Und sehen Sie da ihren Mann? Der lange, hagere Preuße mit dem Stock in der Hand. Erinnern Sie sich noch, wie er uns vorgestern von unten bis oben musterte? Gehen Sie sogleich hin, treten Sie zu der Baronin heran, nehmen Sie den Hut ab, und sagen Sie zu ihr etwas auf französisch!«
»Wozu?«
»Sie haben neulich geschworen, vom Schlangenberg hinunterzuspringen, und jetzt haben Sie geschworen, Sie seien bereit, einen Menschen zu töten, wenn ich es befehle. Statt all solcher Mordtaten und Trauerspiele will ich nur ein Amüsement haben. Machen Sie keine Ausflüchte, und gehen Sie hin! Ich möchte gern sehen, wie der Baron Sie mit seinem Stock durchprügelt.«
»Sie wollen mich auf die Probe stellen; Sie meinen, ich werde es nicht tun?«
»Ja, ich will Sie auf die Probe stellen. Gehen Sie hin; ich will es so!«
»Wenn Sie es wollen, werde ich hingehen, wiewohl es eine tolle Kaprice ist. Nur eins: wird nicht der General Unannehmlichkeiten davon haben, und durch ihn auch Sie? Weiß Gott, ich denke dabei nicht an mich, sondern nur an Sie, nun und auch an den General. Und was ist das für ein Einfall, daß ich hingehen soll und eine Dame beleidigen!«
»Nein, Sie sind nur ein Schwätzer, wie ich sehe«, erwiderte sie verächtlich. »Ihre Augen sehen ja seit einer Weile so blutunterlaufen aus; aber das kommt vielleicht nur daher, daß Sie bei Tisch viel Wein getrunken haben. Als ob ich nicht selbst wüßte, daß eine solche Handlung dumm und gemein ist, und daß der General sich ärgern wird. Aber ich will einfach etwas zum Lachen haben. Ich will, und damit basta! Und wozu brauchen Sie die Dame erst noch zu beleidigen? Sie werden schon vorher Ihre Prügel bekommen.«
Ich drehte mich um und ging schweigend hin, um ihren Auftrag zu erfüllen. Allerdings tat ich es aus Dummheit und weil ich mir nicht herauszuhelfen wußte; aber (das ist mir noch deutlich in der Erinnerung) als ich mich der Baronin näherte, da fühlte ich, wie mich etwas aufstachelte, eine Art von schülerhaftem Mutwillen. Auch war ich in sehr gereizter Stimmung, wie betrunken.
Kapitel 6
Nun sind schon zwei Tage nach jenem dummen Streich vergangen. Und wieviel Geschrei und Lärm und Gerede und Skandal ist die Folge davon gewesen! Und wie häßlich war auch die ganze Geschichte, wie konfus, wie dumm und wie gemein; und ich bin an allem schuld. Manchmal kommt einem übrigens die Sache lächerlich vor, mir wenigstens. Ich weiß mir nicht Rechenschaft darüber zu geben, was mit mir eigentlich vorgegangen ist: ob ich mich wirklich in einem Zustand der Raserei befinde, oder ob ich nur aus dem Geleise geraten bin und Tollheiten treibe, bis man mir das Handwerk legt und mich bindet. Manchmal scheint es mir, daß ich irrsinnig bin; zu andern Zeiten habe ich die Vorstellung, ich sei dem Kindesalter und der Schulbank noch nicht lange entwachsen und beginge nur Schülerungezogenheiten.
Und das bewirkt alles Polina, alles sie! Wenn sie nicht wäre, würde ich mich wohl nicht so schülerhaft benehmen. Wer weiß, vielleicht habe ich das alles aus Verzweiflung getan (mag auch diese Anschauung noch so dumm sein). Und ich begreife nicht, begreife schlechterdings nicht, was an ihr Gutes ist! Schön ist sie übrigens, schön ist sie; schön muß sie wohl sein. Sie bringt ja auch