Федор Достоевский

Weie Nachte


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sein. Ich habe darüber gestern noch lange nachgedacht.«

      »Worin sollen wir denn vernünftiger sein? Ich meinerseits bin ja zu allem bereit; doch ich habe in meinem ganzen Leben wirklich nichts Vernünftigeres erlebt, als das, was ich jetzt erlebe.«

      »Ist es wahr? Erstens muß ich Sie bitten, mir nicht so fest die Hände zu drücken; zweitens erkläre ich Ihnen, daß ich heute viel über Sie nachgedacht habe.«

      »Und zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?«

      »Zu welchem Ergebnis? Nun, daß wir alles von vorne anfangen müssen, denn ich habe heute schließlich eingesehen, daß ich Sie noch gar nicht kenne, daß ich mich gestern wie ein Kind, wie ein kleines Mädchen benommen habe; zuletzt sagte ich mir, daß an allem nur mein gutes Herz schuld sei, d.h. ich lobte mich, was auch immer herauskommt, wenn wir uns über uns selbst Rechenschaft abgeben wollen. Und um diesen Fehler gutzumachen, habe ich beschlossen, mich über Sie sehr eingehend zu erkundigen. Da ich mich aber über Sie bei niemandem erkundigen kann, so müssen Sie mir selbst alles erzählen, die reine Wahrheit. Was sind Sie also für ein Mensch? Fangen Sie doch gleich an, erzählen Sie mir Ihre Geschichte!«

      »Meine Geschichte!« rief ich erschrocken aus, »Meine Geschichte! Wer hat Ihnen gesagt, daß ich überhaupt eine Geschichte habe? Ich habe nämlich gar keine Geschichte … «

      »Wie lebten Sie denn, wenn Sie keine Geschichte haben?« unterbrach Sie mich lachend.

      »Ganz ohne Geschichte! Ich lebte so ganz für mich, das heißt, ganz allein. Wissen Sie, was allein heißt?«

      »Was verstehen Sie unter ›allein‹? Sind Sie denn niemals mit Menschen zusammengekommen?«

      »Das nicht! Gewiß komme ich mit Menschen zusammen und doch bin ich allein … «

      »Nun, sprechen Sie denn mit niemand?«

      »Eigentlich mit niemand.«

      »Wer sind Sie denn? Erklären Sie es mir! Doch warten Sie, ich glaube, ich kann es selbst erraten: Sie haben wohl eine Großmutter wie ich. Sie ist blind, läßt mich ihr ganzes Leben lang nicht von ihrer Seite, so daß ich beinahe zu sprechen verlernt habe. Und als ich vor zwei Jahren einen üblen Streich anstellte, und sie einsah, daß sie mich nicht anders festhalten konnte, rief sie mich einmal zu sich heran und befestigte mein Kleid mit einer Stecknadel an das ihrige. So sitzen wir nun seither tagelang nebeneinander; sie strickt, obwohl sie blind ist, einen Strumpf, und ich muß brav an ihrer Seite sitzen, nähen, oder ihr etwas vorlesen, – es ist so seltsam: seit zwei Jahren lebe ich an die Großmutter angesteckt … «

      »Mein Gott, wie traurig! Doch ich, nein, ich habe keine solche Großmutter.«

      »Wenn Sie keine haben, wie können Sie dann immer zu Hause sitzen?«

      »Hören Sie: Sie wollten doch wissen, wer ich bin?«

      »Ja, gewiß?«

      »Im eigentlichsten Sinne des Wortes?«

      »Ja!«

      »Also bitte: ich bin ein Typ.«

      »Ein Typ? Was für ein Typ?« rief das Mädchen aus und lachte so, als ob sie ein ganzes Jahr keine Gelegenheit zum Lachen gehabt hätte. »In Ihrer Gesellschaft ist es wirklich lustig! Schauen Sie: hier ist eine Bank; wollen wir uns setzen. Hier kommt kein Mensch vorbei, niemand wird uns hören, also können Sie mir Ihre Geschichte erzählen! Sie werden mir nichts vormachen: natürlich haben Sie eine Geschichte, Sie verheimlichen sie nur. Sagen Sie mir vor allen Dingen: was ist ein Typ?«

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