Жорж Санд

Der Müller von Angibault


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      Der Müller von Angibault

      Einleitung

      1. Kapitel

      Es schlug ein Uhr nach Mitternacht, auf dem Turm der Kirche des heil. Thomas von Aquino, als eine kleine, schwarze Gestalt rasch die dunkle Mauer eines der schönen Gärten entlangglitt, welche sich noch auf dem linken Ufer der Seine in Paris vorfinden und die inmitten einer Hauptstadt von so unschätzbarem Werte sind.

      Die Nacht war lau und heiter. Die Stechapfelblüten atmeten süße Düfte und standen wie große, weiße Gespenster in dem glänzenden Vollmondlicht. Die Architektur der breiten Freitreppe des Hotel Blanchemont zeigte alte Pracht und der weitläufige, gut unterhaltene Garten erhöhte noch das reiche, vornehme Aussehen dieser schweigsamen Behausung, an deren Fenstern kein Lichtschimmer mehr sichtbar war.

      Die prächtige Mondhelle schien der jungen Frau, welche in Trauerkleidung, den dunkelsten Schatten suchend, auf eine kleine, am äußersten Ende der Mauer angebrachte Türe zueilte, Unruhe zu erregen. Sie ging jedoch dessen ungeachtet entschlossen vorwärts, denn es war nicht zum ersten Mal, dass sie um einer keuschen und jetzt auch legitimen Liebe willen ihren Ruf aufs Spiel setzte. Sie war seit einem Monat Witwe.

      Unter dem Schutz einer dichten Akazienhecke gelangte sie geräuschlos an die kleine Nebenpforte, welche auf eine schmale und wenig gangbare Straße hinausging, und fast in demselben Augenblicke öffnete sich das Pfortlein, der zum Stelldichein berufene Mann trat verstohlen ein und folgte, ohne ein Wort zu sprechen, seiner Geliebten zu einer kleinen Orangerie, in welcher sie sich verschlossen. Von unwillkürlichem Schamgefühl geleitet, zog die junge Baronin von Blanchemont jedoch sogleich ein allerliebstes Feuerzeug von russischem Leder aus der Tasche, ließ einen Funken daraus hervorspringen und brannte ein in einem Winkel versteckt und verdeckt angebrachtes Wachslicht an. Der schüchterne und ehrfurchtsvolle Jüngling half ihr naiv das Innere des Pavillon erhellen. Es machte ihn ja so glücklich, sie sehen zu können.

      Das Gewächshaus war durch enge Jalousien dicht geschlossen, eine Gartenbank, einige leere Kisten, Gartengerät und das kleine Wachslicht, welches keinen andern Leuchter hatte, als einen halbzerbrochenen Blumentopf, dies war das Mobiliar und die Beleuchtung des verlassenen Boudoirs, welches vor Zeiten einer Marquise zu wollüstiger Zurückgezogenheit gedient hatte.

      Der Abkömmling dieser Marquise, die blonde Marcelle, war so keusch und einfach angezogen, wie es einer sittsamen Witwe zukam. Ihre schönen, goldig schimmernden Haare, die auf ihr Halstuch von schwarzem Krepp niederfielen, waren ihr einziger Kopfputz. Die Zartheit ihrer alabasterweißen Hände und ihres in Atlasstiefelchen steckenden Fußes waren die einzigen offenkundigen Anzeichen ihres aristokratischen Standes; im Übrigen hätte man sie für die naturgemäße Genossin des vor ihr auf den Knien liegenden Mannes nehmen können, für eine Pariser Grisette, denn es gibt Grisetten, welche auf ihrer Stirne die Würde einer Königin und die Reinheit einer Heiligen tragen.

      Heinrich Lemor war von angenehmer, aber mehr durch geistigen Ausdruck, als durch Schönheit, ausgezeichneter Gestalt. Reiche schwarze Haare beschatteten seine blassen Züge. Man sah ihm deutlich an, dass er ein Kind von Paris war, stark durch seine Willenskraft, zart von Körperbau. Sein reinlicher und einfacher Anzug verriet nur sehr mittelmäßige Vermögensumstände, seine nachlässig geknüpfte Halsbinde zeigte einen völligen Mangel aller Ziererei und seine braunen Handschuhe genügten, um den Beweis zu liefern, dass er, wie sich die Lakaien des Hôtel Blanchemont ausgedrückt hätten, nicht der Mann war, welcher den Gemahl oder den Liebhaber der gnädigen Frau abgeben sonnte. Die beiden jungen, fast im gleichen Alter stehenden Leute hatten mehr denn einmal während der geheimnisvollen Stunden der Nacht in dem Pavillon süße Augenblicke verlebt, allein seit einem Monat, wo sie sich nicht gesehen, hatten große Beängstigungen den Roman ihrer Liebe getrübt.

      Heinrich Lemor zitterte und sah bestürzt aus. Marcelle schien von Furcht durchfröstelt. Er hatte sich vor ihr auf die Knie geworfen, um ihr zu danken, dass sie ihm ein letztes Stelldichein gegeben: aber bald erhob er sich wieder, ohne ein Wort vorzubringen und nahm eine bange, fast kalte Haltung an.

      »Endlich!…« sagte sie mit Anstrengung und reichte ihm ihre Hand, welche er mit einer beinahe krampfhaften Bewegung, und ohne dass ein Strahl von Freude seine Züge erhellt hätte, an seine Lippen führte.

      ›Er liebt mich nicht mehr!‹ dachte sie und drückte ihre Hände vor die Augen. Und sie blieb stumm und zum Tode erschrocken.

      »Endlich?« wiederholte Lemor. »Wollten Sie nicht sagen: schon? Ich hätte die Kraft haben sollen, länger zu warten. Ich vermochte es nicht. Verzeihen Sie mir!«

      »Ich verstehe Sie nicht«, versetzte die junge Witwe, indem sie kummervoll ihre Hände niedersinken ließ. Lemor sah ihre tränenfeuchten Augen und schrieb diese Bewegung einer falschen Ursache zu.

      »O, ja!« sagte er, »ich bin schuldig. Ihr Schmerz lässt mich die Gewissensbisse, deren Schuld ich trage, erraten. Diese vier Wochen kamen mir so lang vor, dass ich nicht den Mut hatte, mir zu sagen, dass sie kurz seien. Deswegen hatte ich Sie heute Morgen kaum um die Erlaubnis gebeten, Sie zu sehen, als ich es schon bereute. Ich errötete über meine Feigheit, ich machte mir alle die Gewissensskrupel zum Vorwurf, welche ich Sie zu unterdrücken zwang, und als ich Ihre ebenso ernste, als gütige Antwort erhielt, sah ich ein, dass Sie mich nur noch aus Mitleid sehen wollen.«

      »O Heinrich, wie weh tun Sie mir mit einer solchen Sprache! Soll das ein Spiel, ein Vorwand sein? Warum verlangten Sie, mich zu sehen, da Sie mit so wenig Liebe und Vertrauen zu mir kommen?«

      Der Jüngling bebte und warf sich abermals vor seiner Geliebten nieder.

      »Ich will Sie lieber stolz und vorwurfsvoll sehen«, sagte er, »als so. Ihre Güte tötet mich!«

      »Heinrich, Heinrich!« rief Marcelle aus. »Sie haben also ein Unrecht gegen mich begangen? O, Ihre Miene ist die Miene eines Schuldigen! Sie haben mich vergessen oder verkannt, ich sehe es wohl!«

      »Weder das eine noch das andere. Zu meinem ewigen Unglück achte ich Sie, bete ich Sie an, glaube ich an Sie, wie an Gott, kann ich auf der weiten Erde nur Sie lieben!«

      »Wohl«, versetzte die junge Frau, indem sie ihre Arme um den gebräunten Hals des armen Heinrich legte, »es ist kein so großes Unglück, mich so zu lieben, denn ich liebe Sie nicht minder. Hören Sie mich, Heinrich. Ich bin frei, ich habe mir nichts vorzuwerfen. Ich habe den Tod meines Mannes so wenig gewünscht, dass ich mir niemals erlaubte, daran zu denken, was ich wohl mit meiner Freiheit anfangen würde, wenn sie mir werden sollte. Sie wissen das, wir haben niemals davon gesprochen, Sie wissen auch schon lange, dass ich Sie leidenschaftlich liebe und dennoch ist es heute zum ersten Mal geschehen, dass ich es so offen gegen Sie aussprach. – Aber, mein Freund, wie bleich Sie sind! Wie eisig Ihre Hände! Sie scheinen zu leiden, Sie erschrecken mich!«

      »Nein, nein, reden Sie, reden Sie!« erwiderte Lemor, unter der Last der süßesten und zugleich qualvollsten Eindrücke erliegend.

      »Gut«, fuhr Frau von Blanchemont fort, »ich habe keineswegs die Skrupel und Gewissensbisse, welche Sie mir unterlegen. Als man mir den blutigen Leichnam meines Mannes, der um einer andern Frau willen im Duell gefallen, brachte, ward ich, ich gesteh’ es, von Bestürzung und Entsetzen erfasst; indem ich Ihnen diese grässliche Neuigkeit mitteilte und Ihnen sagte, Sie möchten sich einige Zeit über von mir fern halten, glaubte ich, eine Pflicht zu erfüllen; o, wenn es ein Verbrechen ist, diese Zeit lang gefunden zu haben, so hat mich Ihr pünktlicher Gehorsam streng genug bestraft! Aber während des Monats, wo ich so zurückgezogen lebte, einzig damit beschäftigt, meinen Sohn zu erziehen und nach meinen Kräften die Eltern des Herrn von Blanchemont zu trösten, habe ich mein Herz genau erforscht und konnte es nicht schuldig finden. Ich hatte diesen Mann nicht lieben können, welcher mich nie geliebt, und alles, was ich zu tun vermochte, war, seine Ehre zu achten. Gegenwärtig zolle ich seinem Andenken nur noch eine äußerliche, durch die Umstände gebotene Achtung. Ich werde Sie nur insgeheim und selten sehen, es muss so sein, bis meine Trauerzeit vorüber ist und dann in einem in zwei Jahren —«

      »Dann, Marcelle, dann – in zwei Jahren?«

      »Sie fragen mich, was wir einander sein werden, Heinrich? Sie lieben mich nicht mehr; ich wusste es wohl.«

      Dieser Vorwurf bewegte Heinrich nicht. Er verdiente ihn so wenig! Mit ängstlicher Aufmerksamkeit den Worten