Hendrik Conscience

Das Glück reich zu sein


Скачать книгу

ence

      Das Glück reich zu sein

      I

      »Nun, Käthchen, was sagst du zu dem göttlichen Wetter, zu dem herrlichen Mai! Wehr nicht die Luft so sanft und süß wie Butter und Milch?«

      – »Wie mir dabei zu Muthe ist's sieh, Annamarie, tanzen möchte ich vor Vergnügen darüber. Ich weiß nicht, wie es kommt, aber es durchzuckt mich dieser erste Sonnenstrahl mit köstlichem Behagen, und dringt mir gar wonnig durch Mark und Bein!«

      – »Auch strömt Alles aus den dumpfen Häusern heraus, um sich daran zu erquicken. Ist es doch endlich wieder einmal vergönnt, auf der Straße zu sitzen, zu singen und sich Geschichten zu erzählen und Luft zu schöpfen unter er Arbeit.«

      – »Es will aber auch was heißen, Trinchen, so vier lange Monate in seinen vier Mauern gekauert bleiben, wie ein armer Vogel in seinem Käfig?«

      – »Und nicht einmal frei athmen dürfen in der feuchten Luft seines Kämmerleins.«

      – »Und seine Augen verderben beim ewigen Geflinker des düsteren Winterlichts.«

      – »Und sich durch Schnupfen und Husten fast die Schwindsucht holen, daß man besorgt sein muß, vom tückischen März nach der andern Welt geschafft zu werden.«

      – »Und vergessen müssen, daß noch eine Sonne am Himmel steht; die Tage zählen, bis endlich der liebe Mai wieder erscheint und wieder Licht und Wärme bringt für die Armen sowohl als für die Reichen.«

      – »Aber was kümmern wir uns noch länger um den alten abgeschiedenen Murrkopf . . . Singen wir lieber dem Frühling ein Liedchen: »es komme wem er Mai gefällt, und freue sich der schönen Welt und Gottes Vatergüte!« . . . Halten wir uns zu viert hier mit unseren Rahmen recht dicht beisammen, damit kein Spielverderber sich unter uns mische.«

      Die jungen Mädchen, die sich so plaudernd und singend der lieblichen Maisonne freuten, saßen wie viele andere, in einer schmalen, langen Gasse der Stadt Antwerpen. Niedrig und klein standen zu beiden Seiten die Häuser dieser Straße; jedes mit einem rundgebogenen Pförtchen versehen und dem dürftigen, durch die grünen Scheiben der engen Fenster noch verdüsterten Tageslicht einen spärlichen Einlaß gewährend.

      Eines darunter machte sich jedoch durch seine größere Höhe und neumodischen Fensterstöcke bemerkbar; es war der Kramladen eines Spezereihändlers. Wenn die Besitzer desselben auch nur geringe Leute zu ihren Kunden zählten, so hatten sie es doch innerhalb weniger Jahre weit genug gebracht, um sich im Vergleich mit ihren ärmlichen Nachbarn für reich halten zu dürfen.

      Dem Spezereiladen quer gegenüber stand ein altes Häuschen, das gleichfalls einen Stock trug aber ziemlich schwarz und schmutzig aussah. Ueber der Hausthüre hing ein Schild, auf dem ganz einfach die zwei Buchstaben A. B. gemalt waren, wodurch für 3 die Einwohner deutlich genug zu erkennen war, daß hier ein Schornsteinfeger sein Hauswesen treibe. Dieser Bürger galt in der Straße für den zweiten nach besagtem Spezereihändler, denn das Häuschen, in dem er wohnte, war sein Eigenthum.«1

      Das Haus, vor dem Käthchen und ihre drei Freundinnen ihrer Arbeit oblagen, war das eines Schuhmachers oder besser Schuhflickers, der, wenn er auch nicht der Besitzer desselben war, durch Fleiß und Ordnung ohne viele Mühe sein tägliches Brod verdiente, und was Wohlstand betrifft, von seinen Nachbarn unmittelbar nach dem Kaminfeger aufgezählt wurde.

      Weiter in den Straßen saßen, wie gesagt, noch viele andere Mädchen, die, ebenfalls in kleinen Gruppen vertheilt, unter heiteren Genusse der wohlthuenden Maisonne ihre Arbeit verrichteten.

      Jedes derselben hatte vor sich einen viereckigen Rahmen, über welchem ein Spitzengrund gespannt war, auf dem sie mittels Faden und Nabel, allerlei Blumen und Blätterwerk stickten. Sie trieben, wie man in Antwerpen sagt, den Spitzenstich (Kantjesteek), um am Ende des langen Tages über einige Stüber gebieten zu können und die Last des mütterlichen Hauswesens ein wenig zu erleichtern, – wohl auch nebenbei, um sich bei guten Zeiten ein hübsches Kleid oder ein zierliches Häubchen mit farbigen Bändern damit zu kaufen.

      Obschon diese Stickermädchen dem untersten Gewerbsstande angehörten, mußte doch jedem die Reinlichkeit und Anmuth ihres Anzuges ausfallen, eine Eigenschaft, wodurch sich zwar, wie allgemein bekannt, alle Mädchen Antwerpens, aber ganz besonders die Arbeiterklasse, von der wir sprechen, auszeichneten.

      Wie sollte es aber auch anders sein, ihr Geschäft bringt es ja mit sich. Vom Morgen bis zum Abend lassen sie ihre Hände über den schneeweißen Tüll gleiten, und die geringste Unachtsamkeit würde unfehlbar ihre Arbeit beschmutzen und ihnen von Seiten des Kaufmanns, in dessen Dienst sie stehen, einen Verweis und einen Lohnabzug, wenn nicht gar gänzliche Entlassung zuziehen.

      Doch glaube man nicht, daß diese Reinlichkeit ausschließlich von der Natur ihrer Arbeit bedingt sei. Wenn diese derselben auch zu Grunde liegen mag, so kennt man andrerseits auch die Macht der Gewohnheit und sollten die Stickerinnen auf irgendwelche andere Weise ihren Unterhalt zu suchen veranlaßt werden, so würden sie diese angewohnte Sauberkeit und Zierlichkeit auch auf ihre neuen Geschäftsverrichtungen übertragen.

      Beseht sie nur vom Kopf bis zu den Füßen: die Kleider mögen noch so gemeinen Stoffes, die Farbe noch so verschossen sein, immer sind sie nett gestrichen und sehen aus, als kämen sie eben aus der Wäsche, als legten diese Mädchen siebenmal in der Woche ihren Sonntagsstaat an.

      Ob sie auch schön seien? Ja und nein. Jung sind sie und das will schon viel heißen. Immerhin dürften doch die meisten unter ihnen auf das Schönheitsprädikat Anspruch machen können, denn ihre Züge sind fein und regelmäßig. Aber ach! ihre Wangen sind durchgehends so bleich, ihre Glieder so mager! Arme Töchter des Volkes, der Luxus hat sie aus allen lustigen Straßen verbannt, überall Häuser gebaut, deren Miethe sie nicht zu erschwingen vermögen; in dumpfen Gassen, wo weder Bürger noch Vornehmer zu wohnen Luft hat, verbringen sie mit ihren Eltern ihr dornenvolles Leben. Welke Blumen in dunkle Keller verpflanzt, ermangeln sie natürlicher Weise des frischen farbigen Blutes und die Abzehrung ist der Wurm, der die Lebenswurzel so mancher unter ihnen zernagt . . . Dennoch sind sie fröhlich und singen manch lustiges Lied während der mühsamen Arbeit.

      Von den vier Mädchen, die dicht nebeneinander vor des Schuhmachers Haus saßen, waren zwei nicht gerade durch Mangel an Licht und Luft und gesunder Nahrung in ihren Lebenskräften geschwächt. Ihre Eltern waren etwas besser daran und wohnten wohl noch nicht seit langer Zeit, wie ihre Nachbarn, in den Körper und Geist verkrüppelnden Nestern jener engen Gasse.

      Die eine hieß Käthe und war die Tochter des Schuhmachers; die andere, Annamarie, wohnte in einem Gemüseladen. Auf beider Wangen prangte die frische rosige Farbe der Jugend und ihre Lippen erglänzten noch vom blühenden Roth der Korallen. Käthchen hatte blaue Augen und blondes Haar, Annamarie dagegen mit ihrer hellbraunen Gesichtsfarbe, ihrem rabenschwarzen Haar und ihren funkelnden Augen, ließ spanische Abkunft vermuthen.

      Als sie so eine Weile mit ihren zwei anderen Freundinnen fortgearbeitet hatten, sahen sie, von einer andern Straße einlenkend eine schon ziemlich bejahrte Frau herannahen. Sie beschauten sie mit Aufmerksamkeit, bis sie in das Haus des Schornsteinfegers eingetreten war.

      »Die Baesin Smet,« bemerkte eines der Mädchen, »läßt sich nichts abbrechen. Da hat sie schon wieder ein neues wollenes Kleid und eine doppeltgefältete Flügelhaube.«

      – »Ach, Annamarie, geh doch mit deinem beständigen Sticheln! Was geht’s uns an, wie andere Menschen sich kleiden und putzen, wenn sie es nur bezahlen?«

      – »Ja, Käthchen, du hast wohl Recht, aber siehst du, der Hochmuth, dem kann man nicht genug zu Leibe rücken.«

      – »Hochmuth? Sie ist ja eine so gute Frau.«

      – »Schon gut; Baesin Smet trägt die Nase, als wäre sie die Schwester der Frau von Hochberg, und wenn sie so in ihren Mantel eingehüllt gravitätisch an uns vorüberschreitet, schaut sie nicht so verächtlich auf uns herab, als wären wir höchstens würdig, ihr die Schuhe zu wichsen?«

      – »Das kommt dir nur so vor, Annamarie; sei gewiß, es verhält sich ganz anders. Frau Smet ist von guter Familie; sie hat in Holland eine Tante, die, ich weiß nicht, wie viele Tonnen Goldes besitzt . . . Und du verstehst wohl, wenn an von guter Familie ist, so