Hendrik Conscience

Das Wunderjahr (1566)


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Ihr armer Geuse!« antwortete Valdes, »was hindert mich, daß ich Euch nicht in diesem Augenblicke wie einen Knecht behandle!«

      Godmaert brüllte vor Zorn, während er, anderer Ursachen halber sich nicht rächen durfte.

      Da sprang Lodewyk, den Degen aus der Scheide reißend, wüthend nach der Thüre Gertrud, bleich vor Angst, hielt ihn am Kleide fest:

      »Lodewyk! ach Lodewyk! was wollt Ihr thun?«

      »Meine Hände in das Blut dieses Spaniers tauchen l« schrie er, riß sich mit Gewalt von des Mädchens Armen los und flog wie ein Pfeil aus dem Saale. Gertrud folgte ihm und bemühte sich nochmals ihn zurückzuhalten. Es war umsonst.

      Rasch faßte ein Arm, gestählt von Haß Und Liebe, den Spanier bei der Kehle – daß ihm die Zunge blau auf die Lippen trat.

      »Feiger Lästerer eines wehrlosen Greises!« rief er aus, indem er den Spanier zu Boden schleuderte,« »gebt Eure schändliche Seele dem Schöpfer zurück; denn Euer letzter Athemzug geht über Eure Lippen!« – und also würgte er seinen Feind, daß dieser regungslos und schwarz am Boden lag.

      Godmaert war vor Zorn und Entsetzen auf einen Lehnstuhl niedergesunken. Weinend saß seine Tochter zu seinen Füßen, den Vater verzweiflungsvoll zurufend, daß er auf ihre Worte höre. Mit ihren Fingern strich sie durch seine grauen Locken, und seine Wangen mühte sie sich mit brennenden Küssen zu erwärmen. Plötzlich wandte sie das Haupt und sah Lodewyk die Spitze seines Degens gegen die Brust des Spaniers zücken. Laut aufschreiend eilte sie weg von dem Vater und klammerte sich so fest an Lodewyk’s Gewand, daß sie ihn zurückzog und den Mord zu begehen abhielt. Er suchte mit hartnäckiger Gewalt ihren Armen sich zu entziehen und seine Rachlust zu befriedigen: doch verzweifelnd hielt Gertrud ihn um so fester, als sie in des Jünglings wirren Blicken nichts als blutdürstige Wuth lesen konnte.

      »Lodewyk!« rief sie und zeigte auf ihren Vater, »dort, dort liegt das Schlachtopfer Eurer Leidenschaftlichkeit!«

      Der Junker ließ seinen Degen zu Boden fallen und vergaß seinen Feind, um Godmaert zu Hilfe zu eilen. Rasch hatte er den Stuhl sammt dem Greise erhoben und trug ihn in ein anderes Gemach.Hier brachte er es mit Gertruds – Hilfe dahin, daß Godmaert die Augen aufschlug.

      »Wo ist« er?« frug der Vater mit schwacher Stimme.

      »Auf dem Estrich liegt er in den letzten Zügen,« antwortete Lodewyk, »mich verdrießt, daß ich nicht sein Blut vergessen habe. Dürfte ich es noch thun!« Er schien des Greises Erlaubniß dazu zu heischen. Godmaert möchte sicher Worte der Versöhnung gesprochen haben allein die steten Umarmungen und Liebkosungen seiner Tochter ließen ihn nicht dazu kommen.

      »Ach, lieber Vater!« rief sie und weinte vor Freude, »Gott hat meine Bitte erhört!« – Ihr lebt – oh!« – von bitterer Betrübniß und verstörendem Schreck ermattet, sank sie lächelnd auf des Vaters Schooß nieder. Die Rosen ihrer Wangen erbleichten, ihre Augen schlossen sich und blaß und kalt blieb sie unter den Küssen des Greises liegen.

      Lodewyk trat voll Unruhe herzu, doch da ging die Thüre des Zimmers auf und der Spanier kam schäumend auf ihn zugestürzt.

      »Dort, dort Lodewyk!« rief Godmaert und deutete auf einen an der Wand hängenden Degen, »beschützet Eure wehrlose Freundin von den Händen des Mörders!«

      Lodewyk ergriff den Degen und stellte sich vor die Geliebte.

      »Komm Ihr von den Todten wieder?« rief er Valdes zu; »wollt Ihr einem Greifen noch mehr Hohn anthnn?«

      »Nein, nein, Vlämische Verräther!« antwortete der Spanier, »ich komme, um Euch den Lohn Eures Uebermuths zu zahlen,« – und richtete die Spitze seiner Waffe auf des Jünglings Brust; doch dieser, des Waffenwerks zu kundig, wußte seine Stöße alle abzuwehren.

      Der alte Godmaert drückte seine Tochter mit banger Sorge an sein Herz und ermunterte Lodewyk, nicht zu weichen. Dazu bedurfte der Jüngling keiner Mahnung; denn das Blut floß von des Spaniers Händen, der bald fluchend das Zimmer verließ. Lodewyk warf die schwere Thüre hinter ihm zu und ließ ihn seinen Zorn an den Wänden austoben.

      »Schufte!« rief der rasende Spanier, »bald sollt Ihr Eure Unbesonnenheit bereuen! Der alte Geuse mag sich gefaßt machen auf den Kerker! Meinen Namen und meine Ehre will ich verlieren, so ich diesen Meuterer nicht in des Henkers Hände bringe!«

      Noch andere Schimpf- und Drohworte stieß er gegen sie aus; doch wenig wurde darauf geachtet, indeß sie ängstlich bemüht waren, Gertruden ins Leben zurückzurufen. Endlich verließ der erzürnte Valdes die Wohnung Godmaerts, und überlegte sicherlich nochmals die Ausführung der Sache, die er ihnen so heftig zugeschworen.

      Gertrud war aufgewacht und saß zwischen ihrem Vater und Lodewyk. Alle waren sie so angegriffen, daß Keines Worte fand, sich über das Vorgefallene auszusprechen. Nach langem Schweigen begann Godmaert und sagte:

      »Nun seht Ihr, daß die Zeit gekommen ist, um das lästige Joch für immer abzuschütteln. Dieß zu Stande zu bringen ist mein Bestreben und sollte es mich alles, was ich besitze,kosten. Meine Gertrud,« und er küßte sie, »ist ein Schatz, Lodewyk, den ich Euch schenke, und welcher sicherlich mehr werth ist, als alles Gut, das ich geben kann. – Doch Ihr wißt, was ich Euch gesagt habe: kein Spanisches Auge soll Euere Ehe erblicken. Bevor wir wieder frei sind, wie unsere Väter, sollt Ihr mit Gertrud nicht unter einem Dache wohnen. Darum, um Euer Glück und die Befreiung des Vaterlandes zu beschleunigen, müßt Ihr morgen Früh Euer Pferd satteln lassen und nach Wolfanghs Aufenthalt ziehen. – Es thut mir leid, daß wir den Bösewicht gebrauchen müßten, allein die Noth kennt kein Gesetz. Woferne Greuelthaten begangen werden, werden Unsere Nachkommen uns bei dem Gedanken all des Hasses und der Erbitterung entschuldigen, welche der Spanische Druck in uns erzeugt hat. – » Und Du, liebe Gertrud, wenn Du siehst, daß die Heiligen, die Du verehrest, und das Bild des Gottes, den Du anbetest, mit Füßen getreten werden, beschuldige Deinen Vater nicht der Gottlosigkeit. – Ihr wißt, mit welcher Sorgfalt ich Euch die Gefühle der Gottesfurcht mit Worten und Werken eingeprägt habe.«

      »Ja, ja Vater,« fiel ihm Gertrud in die Rede, »Ihr werdet, das weiß ich, stets Gottes Freunde, die Heiligen in Ehren halten, aus daß sie Euch und uns Beide vor größerem Mißgeschicke bewahren.«

      Nun rief er Lodewyk bei Seite, und nachdem er ihm über Wolfangh und dessen Aufenthalt noch einige Aufklärungen ertheilt hatte, übergab er ihm einen verschlossenen Brief, den er dem Räuberhauptmann einhändigen sollte. Hierauf bat er den Jüngling sie zu verlassen, damit sie der so nöthigen Ruhe genießen könnten, und er sich selbst zur Reise vorbereite.

      Lodewyk sprach noch einige Worte mit Gertrud, die, wie man bemerken konnte, sich über seine Reise aussprach und vielleicht ihm über den Zweck derselben Rathschläge mittheilte. Zwischen ihren leisen Reden drängte sich mehr als einmal der Name Pater Franziskus durch.

      Darauf sagte Lodewyk zärtlich Lebewohl; neigte sich vor dem Greise; seufzte ein Paarmal und ging.

      Ein sanfter Schlaf ließ Godmaert und seine Tochter bald das erlittene Ungemach vergessen.

      III

      Die Flamänder lieben andere Völker sehr wenig, und sind dem Waffenwerk so ergeben und so unruhig gewesen, daß sie niemals haben in Frieden leben können.

Charles Boscard.

      Die Sonne erhob sich langsam und prachtvoll an dem purpurnen Horizont Einer ihrer Strahlen fiel schief auf das Fenster von Lodewyk’s Gemach, und schloß des Jünglings Augen auf. Unruhig erhob er sich von seinem Lager, nach einem kurzen Gebete kleidete er sich an, gürtete sein Schwert um die Lenden, küßte wiederholt das Bildniß seiner theuern Gertrud, stieg zu Pferde, und durchritt die Straßen, die ihn zum Kipdorpthore führen sollten.

      Er wunderte sich über die vielen Bewaffneten, die abwechselnd mit ihm denselben Weg einschlugen. Viele Reiter kamen an ihm vorüber, und die Straßen wiederhallten von den schweren Tritten ihrer Pferde. Frauen und Kinder traten langsam und in Zügen einher.

      Lodewyk, der nicht begriff, was die Ursache dieser frühen Wanderung seyn mochte, näherte sich einem der Reiter, der wir die andern mit Flinte und Dolch bewaffnet war, und fragte ihn,