Hendrik Conscience

Die hölzerne Clara


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die Waisenmädchen aus dem Mägdehause hier nebenan sind mit ihrer Mutter so eben vom Spaziergange zurückgekehrt. Vernehmt Ihr nicht ihre Stimmen?

      – Ja, Ines, ich höre sie täglich so . . . aber, o Himmel! was willst Du damit sagen?

      – Sie ist dort unter den Waisenmädchen, Senora, und vielleicht klingt in diesem Augenblicke ihre Stimme in Eurem Ohr!

      – Gott, ist es möglich! rief die Edelfrau mit unvorsichtiger Kraft; sie wäre dort, so nahe bei mir!

      Und wie von einem unwiderstehlichem Gefühle fortgerissen, eilte sie zur Mauer und lehnte das Haupt dagegen, während der Ausdruck der Seligkeit und die Spannung einer ängstlichen Aufmerksamkeit sich gleichzeitig auf ihrem Angesichte ausprägten.

      Lange verharrte sie schweigend in dieser lauschenden Stellung, bis diese ruhige Haltung ihr jagend Blut abgekühlt und ihre erschütterten Nerven nach und nach beruhigt hatte. Zudem hatte der Gesang der Waisenmädchen, die sich wahrscheinlich wieder in den Arbeitssaal verfügt hatten, bereits aufgehört.

      Die Edelfrau kehrte, noch ganz mit Freude erfüllt, zur wartenden Duena zurück, und, sich neben ihr niedersetzend, fragte sie mit gedämpfter Stimme:

      – Aber, liebe Ines, erzähle mir doch wie Du mich auf einmal mit so viel Glück überschütten konntest, wie es Gott gefallen hat Dich so sichtbar bei Deinen Nachforschungen zu leiten? Du bist doch überzeugt, daß man Dich nicht getäuscht hat? – ach! ich stürbe davon!

      – Hört denn meine Erzählung mit Geduld an, Senora.

      Die Zeit ist kostbar, denn Domingo hat mir bei meiner Rückkehr gesagt, daß Ihr mit dem Grafen augenblicklich ausgehen würdet.

      – Es ist wahr, was Domingo sagte; beeile Dich also!

      – Wohlan. Ich wußte heute nicht mehr wohin ich gehen oder bei wem ich mich erkundigen sollte. Kein Wunder, Senora, es dauert bereits vierzehn Tage, dieses nutzlose Suchen. So wollte ich eben unverrichteter Sache nach Hause zurückkehren, als mich eine alte Frau, die früher zuweilen in dem Hause des Herrn Grafen gearbeitet und gescheuert hat; auf der Straße anredete und sich nach Euch erkundigte. Ihr werdet sie wohl noch kennen, Senora, da sie auch bei Eurem Vater arbeitete.

      – Meinst Du Theresia Costerlings?

      – Ja, dieselbe. Ein Wort gab das andere und so brachte ich das Gespräch endlich auch auf Anna Canteels – und ich vernahm von Theresia, daß sie einen schlechten Lebenswandel geführt und endlich einen Soldaten geheirathet habe, mit welchem sie in der Klosterstraße ein Zimmer in einem schlechten Häuschen bewohne. Voller Freude begab ich mich in das spanische Quartier und nach vieler Mühe entdeckte ich endlich auch ihre Wohnung. – Ach! Senora, diese Frau ist zu beklagen! ausgemergelt und gelb, mager wie ein Geripp und unreinlich; es ist kaum zu glauben. gleichwohl muß das Herz der unglücklichen Soldatenfrau noch gut sein, denn kaum fing ich an von Euch zu sprechen, so stürzten ihr auch schon die Thränen aus den Augen und schluchzend bat sie um Verzeihung. Aus ihrem Munde vernahm ich auch wie sie sie bei einem Bauer, von dem Schatze, den ihr ihr gelassen, einige Jahre hatte verpflegen und erziehen lassen. Später ist A na Canteels liederlich geworden und mit Soldaten in Berührung g kommen, die sie zu einem schlechten Leben und zur Verschwendung verleiteten. Zuletzt hat sie Einen unter ihnen geheirathet und wahrscheinlich d n Schlechtesten unter Allen; dieser hat ihr durch Schläge und allerlei Mißhandlungen anderer Art das Geld entrissen, was ihr anvertrauet war. Allein sie hat dasselbe jedoch nur unter der Bedingung hergegeben, daß ihr Los sicher gestellt würde. Es wäre zu weitläufig Euch zu erzählen, wie sie eine traurige Geschichte von einem todten Soldaten und einem verbrannten Dorfe erfunden und es durch Fürsprache reicher Leute endlich dahin gebracht haben, daß sie in das Waisenhaus aufgenommen wurde. Gegenwärtig befindet sie sich also hier neben an im Mägdehause und die Mädchen nennen sie unter einander »die hölzerne Clara.«

      – Hölzerne Clara! ein Spottname! ihr! Gott, ist sie vielleicht ein Gegenstand der Verfolgung?

      – Ach nein, Senora; man nennt sie nur so weil sie die Gewohnheit hat stets ganz gerade und aufrecht zu gehen; wie es scheint haben alle Waisenmädchen einen Spitznamen bekommen – und hölzerne Clara wird vielleicht noch einer der schönsten sein. – Aber laßt mich doch fortfahren; ich höre unten bereits Geräusch. Kommt hierher vor den Spiegel, Senora, damit ich Euch bei Eurer Toilette helfe; ich will dabei in meiner Erzählung immer fortfahren. – Aber das leise Sprechen wird doch lästig, es erstickt mich beinahe. – Während ich mich noch mit der weinenden Anna Canteels unterhielt, ging plötzlich die Thüre auf und ein gräßlicher Soldat mit langem Knebelbart und abscheulichem Gesicht schwankte herein. Es war ihr Mann: Der betrunkene Kerl besah mich mit mißtrauischem Blicke und brach in Zorn aus als er bemerkte, daß Thränen über die Wangen seiner Frau rollten. Mit wüster Gewalt riß er sie vom Stuhle, schleppte sie in eine Ecke und verlangte, fluchend und schwörend, die Ursache meiner Anwesenheit zu erfahren. Die arme Anna widerstand ihm einen Augenblick aber grausame Mißhandlungen zwangen sie schnell genug zum Bekenntniß. Dann fabelte der wüthende Soldat von Belohnung und von Geld bis ich Alles, was meine Tasche enthielt, vor ihm ausgeschüttet. Ich habe versprochen ihm wöchentlich eine Gabe zu bringen. Er ist ganz gezähmt, denn . . . horcht, Senora, da höre ich den Grafen d’Almata die Treppe heraufkommen. Wie gut daß Ihr zum Ausgehen fertig seid!

      In der That trat der Graf d’Almata mit freundlichem Lächeln in das Zimmer. Am Spiegel wartete er noch einen Augenblick bis seine Gattin ihre Toilette gänzlich beendet hatte. Mit Bewunderung und Freude bemerkte er wie ihre Augen im Feuer eines neuen Lebens glänzten und selbst oft mit dem Ausdrucke der innigsten Liebe auf ihm ruhten. Er glaubte darin das Gefühl der Dankbarkeit für seine Nachgiebigkeit am Morgen zu sehen, und erfreute sich darum doppelt an der so liebenswürdigen Erscheinung seiner Frau. Zärtlich ergriff er ihre Hand und Beide verließen das Zimmer um Senora de Beza de Santa Cruz ihren Besuch abzustatten.

      II

      Am andern Morgen erwachte die Gräfin d’ Almata viel früher als gewöhnlich. Ihre Duena selbst war noch nicht aufgestanden als die Edelfrau bereits das Bett verlassen und sich zum Ausgehen angekleidet hatte. An dem immerwährenden Lächeln auf ihren Lippen, so wie an der Hast ihrer Bewegungen errieth man leicht daß eine fröhliche Ungeduld sie befeuerte.

      Als die Duena in das Zimmer trat, war ihre Toilette bereits fast ganz vollendet. Die Alte erblickte darin einen Verweis ob ihrer Schläfrigkeit und mit stummem Aerger fing sie an hier und da Etwas am Anzuge der Gräfin zu ordnen, diese aber kehrte sich scherzend zu ihr um:

      – Nun, Ines, sei nicht böse, Liebe; die Freude hat mich aus dem Bett getrieben. Du hast Dich gestern so viel für mich bemühet, daß ich Dich aus Erkenntlichkeit für Deine Dienstleistungen nicht wecken mochte.

      Geheimnißvoll nährte sie sich hierauf der bereits getrösteten Duena, ergriff sie bei der Hand und flüsterte ihr, von ihrer Freude hingerissen, mit leiser Stimme zu:

      – Ines, ich werde sie sehen! werde sie besuchen! Mein Herz klopft so fröhlich; es ist als wenn ein neues Leben mein Blut und meine Adern durchströmte. Komm, hilf mir noch ein wenig; ich weiß vor lauter Freude und Hast kaum was ich thue.

      Die verwunderte Duena gehorchte.

      – Und der Graf d’ Almata, Senora? fragte sie zweifelnd. Wird der nicht schrecklich erbittert werden, wenn Ihr nochmals ohne sein Wissen und trotz seines Verbotes Eure Wohnung verlaßt?

      – Er weiß es, Ines; er hat es mir erlaubt.

      – So! Und seid Ihr gewiß, Senora, daß Euch diese Erlaubniß in aller Form gegeben ward?

      – Ganz gewiß; Du kannst nicht glauben wie gütig, wie vertrauensvoll und wie zärtlich er gestern gegen mich war. Ich begreife diese plötzliche Veränderung nicht.

      – Ich wohl, Senora. Der Graf liebt Euch über Alles. Seit acht Jahren trauert Ihr nun und erwiedert Beweise seiner Zuneigung durch eine unüberwindliche Niedergeschlagenheit. Als ich Euch gestern die frohe Nachricht brachte, da glänzten Eure Augen voll Lebensfeuer, eine warme Röthe überflog Eure Augen und Eure Stimme ward sanft und klar wie Saitenton. Ihr wart schön, Senora, schön, lachend und stolz. Er, der Euch liebt und anbetet, vermochte diesem Zauber