Hendrik Conscience

Geschichte des Grafen Hugo von Craenhove


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Du würdest nicht mit Reue und Schmerz zu Grabe gehen. Was steht hier geschrieben? – »Wenn das Weib einen Platz zwischen Euch beiden findet, so wird das Haus Craenhove mit seinem eignen Blute befleckt werden?« – War es nicht also? Nun fehlt Deinem Namen nichts mehr als die offenbare Schande. Nun wirf zuerst den Koth in Dein eigenes Antlitz, beschimpfe den Schatten Deines Vaters, schreib auf sein Grab, daß sein Blut ein schändlich Blut! Habe den Muth zu dieser feigen That . . . «

      Währends dieses Gesprächs hatte ich vor Angst und Schrecken wie ein Espenblatt gezittert; nun mangelte mir beinahe alle Kraft, so daß ich zu meiner Unterstützung mich an der Mauer halten mußte. Ich sah, daß Graf Arnold das Haupt tief aus die Brust sinken ließ, und unter den grausamen Worten Abulfaragus’ seinen Nacken beugte. Nach langer Pause fragte dieser mit fester Stimme:

      »Nun, Graf Arnold, was befiehlst Du?«

      »Er ziehe!« war die schreckliche Antwort.

      »Habe Dank;« sprach der Wahrsager, »aber das Schicksal will, daß er ziehe wie er gekommen, arm und verstoßen.«

      »Ein banger Seufzer löste sich aus Graf Arnolds Brust. Als sich derselbe zu Worten formte, klang mir dies schreckliche Urtheil in das Ohr:

      »Es sei so, thue mit ihm nach Deinem Willen!«

      »Nun fiel ich kraftlos zusammen, und begann zu weinen. Meine Seufzer drangen bis in das Zimmer. Abulfaragus öffnete dasselbe, stand vor mir und grinzte mich wie ein Teufel an, sich an meinem Schmerze weidend. Lachend schritt er durch den Gang und stieß einen Schrei aus, der durch das ganze Schloß wiederhallte. Dann hörte ich viele Thüren öffnen und schließen, Diener laufen und ein Geräusch, wie von Menschen, die eine Arbeit rasch besorgen wollen. Plötzlich sagte mir eine innere Stimme, daß man damit umginge, mich auf immer von Aleidis zu trennen. Ich sprang auf und lief eilig zu dem Gemache, wo meine Schwester sich noch kurz zuvor befunden hatte. Ach, Albrecht, die Thüre war geschlossen! Wie sehr ich auch rief, obgleich ich mir die Hände am Schlosse wund rüttelte, mir ward keine Antwort, als das Echo meiner eigenen Klagen. Verzweifelnd und den Tod in der Brust, lief ich wie ein Wahnsinniger durch das ganze Schloß; keinen Thurm ließ ich unbesucht und keine Thüre lief ich vorüber, ohne nach meiner Aleidis zu fragen; aber Alles blieb verschlossen und stumm. O was war ich unglücklich, Albrecht. Bald erhob ich wieder meine Klagen vor Aleidis Zimmer, bald weinte ich unter den Bäumen, bald wandelte ich unter den gewölbten Gängen, doch nichts half mir, mein Urtseil war gefällt und vollzogen, – ich hatte meine Schwester Aleidis verloren.

      »Gegen Abend saß ich auf dem Gras, an dem Platze, wo ich so oft mit ihr gespielt und meine Erinnerungen zogen in lebendigen Bildern an meinem Geiste vorüber. Wie litt ich dabei! Es war, als ob jede dieser Freuden, mir ein ewig Lebewohl sagen wollte, wie man einen Freund zum letztenmale umarmt, den man nimmer wiedersieht. Das Gras war durch meine heißen Thränen verwelkt: ich sah die Maiblümchen sich schließen und sterben . . . «

      »Endlich verlor ich das Bewußtsein; ich hatte Alles vergessen, und schlief mit offenen Augen. In diesem Zustand muß ich lange zugebracht haben, denn erwachend, fühlte ich, daß meine Glieder erstarrt waren und sich meinem Dienste nicht fügen wollten. Als ich meine Augen aufschlug, sah ich vor mir einen alten Diener des Schlosses stehen. Es war ein sechzigjähriger Waffenknecht, mit Namen Rogier, der mir am wenigsten feindlich gesinnt war und mich mitleidig anzusehen schien.

      »Steh’ auf, Bernhard,« sprach er, »ich muß Dir Etwas sagen.«

      »Als ich mich aufgerichtet, trat ich näher zu ihm und horchte ängstlich auf so folgende Worte:

      »Bernhard, es wird etwas Schreckliches gegen Dich, gebraut. Es scheint, Du hast ein Verbrechen begangen; einige behaupten, Du habest unter den Bauern ein Gerücht verbreitet, das unser Fräulein beschimpfen kann. Aus Deine ehrenrührigen Worte wartet eine schreckliche Strafe.«

      »Ich, meine Schwester Aleidis gelästert? O Albrecht ich wurde zerschmettert von der falschen Anklage. Ein Schrei der Verzweiflung und unmächtiger Wuth entflog meiner Brust; ich riß mir die Haare aus und geberdete mich wie ein Wahnsinniger. Der alte Kriegsmann ergriff meine Hand, um mich zu beruhigen, und fuhr fort:

      »Bernhard, kennst Du Abulfaragus? Weißt Du, daß er Gift und Galle aus dem Honig kochen kann? Daß ein Stilet in seiner Hand ein Spielzeug ist und daß ihm die höllischen Geister dienen? Warst Du je in den unterirdischen Gemächern des Schlosses? Nun, dieß Alles droht Dir. Fliehe, ich habe ein geheimes Thor offen gelassen; Du kannst leicht durch den Graben waten. – Gehe, Dein Verbrechen ist groß, aber Du bist noch zu jung, um eines bitteren . . . «

      »In diesem Augenblicke funkelte Abulfaragus gelbes Auge hinter einem Baum hervor; die Worte erstarrten auf dem Munde des Waffenknechtes und er entfernte sich bebend von mir.

      »Ich begreife nicht, was mir dann geschah; meine Augen begannen sich zu drehen, Bäume und Thürme tanzten in flüchtigen Kreisen vor mir, und ich mußte mich wieder ins Gras niedersetzen, wenn ich nicht fallen wollte. Niedergedrückt von meinen Leiden, blieb ich einige Zeit fast gefühllos in diesem Sinnen, bis mir endlich das Bewußtsein zurückkehrte. Dann gedachte ich der Worte des alten Waffenknechtes; ich sah n meinen Gedanken Kelche mit Gift für mich gefüllt, und Dolche aus meine Brust gezückt. O Albrecht, da fühlte ich erst, was Todesfurcht ist, ich wurde ängstlich, und ergriff das Mittel, das mir der Waffenknecht als letzte Hoffnung gewiesen.

      »Begünstigt von dem Halbdunkel schlich ich unter den, Bäumen nach dem Theile der Festungsmauer, wo die Hilfspforte war – einige Schritte noch, und ich hatte dieselbe erreicht! Diese Gewißheit gab mir wieder Muth und Kraft. Es war ein Trost für all mein Leiden, daß ich den häßlichen Abulfaragus nimmer sehen sollte. Aber anders hatte es der Himmel beschlossen . . . Da saß Abulfaragus vor der Hilfspforte! – Während ich, wie von einem unerwarteten Schlage getroffen, stehen blieb und das Haupt auf die Brust sinken ließ, stand der Wahrsager auf und näherte sich mir, ehe ich es bemerkt hatte. Ich fühlte seine beinerne Hand die meine ergreifen; dann sprach er mit ungemein sanfter Stimme, wie er mit Aleidis zu reden pflegte:

      »Bernhard, mein junger Freund, Du bist unglücklich? Wen beschuldigst Du in Deinem Herzens? Abulfaragus, nicht wahr?«

      »Ja, ja,« rief ich aus, »ich beschuldige Dich mit Recht. Du hast mich stets wie ein böser Geist verfolgt, und nun kocht vielleicht bereits auf Deinem Feuer das Gift, das mich tödten soll.«

      »Ein bitteres Lächeln war des Wahrsagers Antwort. Er schwieg eine Zeitlang und fragte dann:

      »Bernhard, hast Du gehört, was ich diesen Morgen zu Graf Arnold sagte?«

      »Ich habe es gehört,« antwortete ich unter Thränen, »wie Du mich gelästert und wie Du um mein Todesurtheil gebeten.«

      »Hast Du sonst nichts gehört, Bernhard?« fragte der Wahrsager nochmals.

      »In der Absicht, meinen Feind zu erschrecken, heuchelte ich nun, etwas von seinen wichtigen Geheimnissen erlauscht zu haben, und antwortete beißend:

      »Ja ich habe noch mehr gehört; – doch nie würde ich es wagen, etwas von dem zu sagen, was ich weiß und noch weniger, was ich vermuthe. Graf Arnold ist mein Wohlthäter!«

      »Die Stille, welche auf diese Worte eintrat, wunderte mich außerordentlich. Abulfaragus schien plötzlich noch düsterer zu werden, als ich: er schlug sein Auge zu Boden und seufzte ungemein schmerzlich.

      »Das Haupt wieder erhebend und mich beinahe bittend ansehend, sprach er:

      »Bernhard, mein Kind, Du siehst mich für einen bösen Menschen an, nicht wahr? Wüßtest Du, was ich thue und warum ich es thue? Wüßtest Du, warum ich mich hasse, da ich doch nie aus dieser Welt Jemanden etwas zu Leide gethan, o du würdest Mitleiden mit Abulfaragus haben. Du würdest ihn gewiß lieben, denn Dein Herz ist edel und rein.«

      »Wie soll ich meine Verwunderung ausdrücken, Albrecht? Der Mann, den ich für einen Teufel gehalten, stand bittend vor mir; seine Worte drangen zu meinem Herzen, ich fühlte in der That Mitleiden und meine Furcht verging.

      »Abulfaragus,« seufzte ich, »Du machst mich staunen. Spricht Dein Mund die Wahrheit?«

      »Folge mir,«