Hendrik Conscience

Rikke-Tikke-Tak


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Aeltern sind todt, Lena. Meine Mutter hat es mir oft gesagt, doch sei darum nicht betrübt. Sieh einmal, was ich schon für ein paar Arme habe. Noch einige Jahre und ich bin ein starker Mann. Ach, bleib doch noch so lange leben, Lena, ich will ja gern vom Morgen bis zum Abend für dich arbeiten, und müßt ich ewig dein Knecht sein.«

      »Mein Knecht, du. Nein, das nicht, Jan. Sieh mich nur an und sage mir, was du auf meinen Wangen siehst.«

      Der junge Bauer schlug beide Hände vor die Augen und seufzte still:

      »Den Tod, ach den Tod.«

      Lange blieben Beide stumm nebeneinander sitzen. Endlich faßte Jan Lena's Hand und sprach:

      »Lena, du hast deine abgestorbenen Aeltern nicht gekannt, bist von Kindsbeinen an bei meiner Mutter aufgezogen und hast da meiner Seel! mehr Betrübniß ausgestanden, als zehn Menschen tragen können. Wenn das fortdauerte, dann müßtest du sterben, das muß ich mit Thränen in den Augen selbst bekennen. Wenn man dich aber von jetzt an ruhig ließe und dich gut behandelte, würdest du dann nicht leben bleiben?«

      »Leben bleiben«, wiederholte Lena. »Wer kennt sein Todesstündlein? Ich weiß, was du thun willst. Warum aber meinetwillen deine Mutter reizen und ihren Haß auf dich ziehen?«

      »Warum?« rief Jan mit halbem Aerger. »Warum? Das weiß ich nicht, aber das kannst du glauben, wenn du so einen festen Gedanken oder einen Traum hast, der dir überall nachgeht, dann hab ich auch einen Gedanken, der mich bei der schwersten Arbeit so wenig, als beim tiefsten Schlafe verläßt. Der Gedanke ist, daß ich dir das Böse vergüten muß, was meine Mutter dir thut. Ach Lena, ich kann weder so schön noch so kräftig sprechen, wie du, aber um Gotteswillen, zweifle nicht dran. Von dem Tag ab, wo du stirbst, arbeite ich keinen schlag mehr, und dann legen sie mich auch bald neben dich auf den Kirchhof unter's Gras. Und wenn du mich fragst, warum, dann weiß ich das auch nicht. Sieh, da, unter meinem Kittel klopft ein Herz das fühlt; du bist ein armes Waisenkind und das ist mir genug. Ach, bleib dann auch leben, Lena, bis ich großjährig bin, meine Arbeit wird . . .

      »Nach Haus mit der Kuh!« rief in der Ferne eine drohende Stimme.

      Jan stand auf, blickte noch einmal flehend in Lena's Auge und verschwand zwischen den Erlen, während er ihr noch zuflüsterte:

      »Ich komme sogleich auf den Hof. Geh nur, sie wird dich nicht schlagen.«

      Lena griff nach dem Kuhseil, lenkte langsam auf den Fußsteig ein und schritt dem Hofe zu.

      III

      In dem Dorfe Westmal1 stand eine kleine Schmiede, in welcher vier Männer mit verschiedenen Schmiedearbeiten beschäftigt waren, der Meister nämlich und drei Gesellen. Sie unterhielten sich, soviel das Geräusch der Hämmer und Feilen zuließ, über Napoleon und seine großen Thaten. Einer der Gesellen, dessen linker Hand zwei Finger fehlten, begann just eine Erzählung aus dem Kriege in Italien, als zwei Männer zu Roß vor der Thüre der Schmiede anhielten, und einer derselben ihnen zurief:

      »Heda, Mannen, mein Pferd muß beschlagen werden!«

      Die Gesellen beschauten sich neugierig die zwei Fremden, welche nun von ihren Pferden absaßen. Man sah wohl, daß Beide Kriegsleute waren; einer von ihnen hatte eine mächtige Schmarre quer übers Gesicht liegen und trug ein rothes Bändchen im Knopfloch; der andere, obgleich ebenfalls in feiner Bürgerkleidung, schien ihm doch untergeordnet; er hielt das Pferd am Zaume und frug:

      »An welchem Fuß, Colonel?«

      »Vorn, links, Lieutenant,« antwortete der andere leicht. Während einer der Gesellen dann das Pferd nahm und es in den Nothstall führte, trat der Colonel in die Schmiede, sah sich nach allen Seiten um und nahm nun dieß, dann jenes Werkzeug zur Hand, wie wenn er es als eine alte Bekanntschaft hätte begrüßen wollen. Bald schien er gefunden zu haben, was er suchte; in der einen Hand hielt er eine schwere Zange, in der andern einen Hammer, und beschaute beides mit so sonderbarem Lächeln, daß die Gesellen gaffend und verwundert umherstanden.

      Inzwischen war das Eisen in’s Feuer gelegt, der Blasbalg ächzte und ein sprühender Funkenkranz umgab die glühenden Kohlen. Die Gesellen standen, die Vorhämmer in der Hand, am Ambos, bis der Meister das Eisen aus dem Feuer nahm; dann begann das Zuklopfen.

      Der Colonel hatte offenbar seine Freude daran; seine Züge belebten sich so, als hätte ihm die schönste Musik in's Ohr gerauscht. Als aber das Hufeisen vom Ambos genommen wurde, um auf den Huf des Pferdes genagelt zu werden, da schaute er gar verächtlich drein, nahm die Zange mit dem Eisen aus der Hand des Meisters und legte es von neuem in's Feuer, indem er sprach:

      »So nicht. Was macht ihr da für ein grobes Eisen, Baas?2 Sa, lustig Jungens! Zugeblasen!«

      Während einer der Knechte ehrerbietig folgte, warf er den Rock aus und entblößte seine nervigen Arme. Bald stand das Eisen in weißer Gluth, er nahm es, wie der besteingeübte Feuerwerker,3 drehte es noch einigemale, legte es auf den Ambos, und rief dann heiter den Gesellen zu:

      »Aufgepaßt, Mannen. Ich geb's Maaß. Wir wollen da mal ein Hüfchen schmieden, wie des Kaisers Pferde keine bessere tragen. So, nun paßt aufs Lied:

      Rikke-tikke-tak,

      Rikke-tikke-tu.

      Eisen warm,

      Hoch den Arm,

      schlaget zu,

      Rikke-tikke-tu.

      Rikke-tikke-tak,

      Rikke-tikke-tu,

      Stahl in Gluth,

      Herz voll Muth,

      schlaget zu,

      Rikke-tikke-tu.

      »Da nun beschaut euch einmal das Hüfchen.«

      Die Knechte besahen sich das hübsche und leichte Hufeisen mit gaffendem Munde und wie verstummt. Der Baas allein schien an etwas anderes zu denken und schüttelte von Zeit zu Zeit den Kopf, wie Jemand, der über eine Sache nicht einig mit sich selbst ist. Er trat dem Fremdlinge näher, der seinen Rock schon wieder angezogen, doch wie genau er ihn auch in's Auge faßte, er schien ihn doch nicht zu erkennen.

      Schnell war nun das Pferd beschlagen und es stand schon wieder vor der Schmiede, des Reiters wartend. Der zog zwei Napoleonsd'or aus der Tasche, legte sie auf den Amboß und drückte jedem der Gasten4 freundlich die Hand:

      »Einer für den Baas – einer für die Gasten. Trinkt alle dafür einmal auf meine Gesundheit.«

      Nachdem er dieß gesprochen, schwang er sich auf's Pferd und ritt mit seinem Begleiter weiter in's Dorf hinein.

      Kaum waren die beiden Fremdlinge um die Ecke, als die Gesellen alle den Meister mit fragenden Blicken beschauten.

      »Colonel, Colonel!« brummte einer von ihnen vor sich hin. »Ich sag und bleib dabei, der Kerl ist ein Schmied oder er ist es gewesen. Ich mein sicherlich, ihr müßt ihn kennen, Baas.«

      »Das heißt,« antwortete der Baas, »ich hab in meinem ganzen Leben nur einen Menschen gekannt, der mit so viel Geschick ein so leicht und fein Hufeisen konnt schmieden. Und ich müßt mich sehr betrügen, wenn der Colonel nicht der Karl van Milgem wär, wißt ihr – doch nein ihr wißt's ja nit, den die Leut immer den Rikke-tikke-tak genannt haben.«

      »Wie, das sollt der lustige Schmied von Westmal sein?« frug einer der Gesellen. »Hab viel von dem Karl Rikke-tikke-tak schwätzen hören, doch's war eben ein Lauflapp, ein Trunkert, der's ganze Dorf in die Wirre konnt bringen. Nein, nein, der Colonel sieht allzusehr wie ein trefflich!5 Mann aus. Das ist rein unmöglich.«

      Der Baas setzte sich auf den Ambos, wie einer, der erzählen will, und sprach zu den Gasten:

      »Mannen, unser Taglohn ist doch schon doppelt verdient, und darum wollen wir's Werk ein wenig ruhen lassen. Der Colonel ist wahrhaftig Karl van Milgem. Will euch doch seine Geschichte in der Kürze erzählen, dann