Mutter: »Seht, Großmutter, laßt uns nicht mehr davon sprechen. Ihr werdet mir den Kopf noch so voll davon machen, daß ich ganz närrisch werde. Ich weiß es auch wohl, daß unser Franz kein Esel ist, und daß in dem Kind was steckt; aber mach das seinem Vater einmal weis.«
Die Großmutter: »Eh wohl, eh wohl, ich werde es ihm weismachen und dies noch heute Abend. Hilf mir nur ein bischen . . . es wird schon gehn.«
Die Mutter: »Ich höre ihn. Da ist er; er klopft!«
Die Türe ging auf; ein Mann trat stillschweigend herein. Als er seinen Arbeitskittel ausgezogen, setzte er sich an den Tisch, wie jemand, der essen will. Eine große Schüssel voll gedünsteter Erdäpfel wurde ihm vorgesetzt und er begann begierig sein Abendessen. Wie stark und sehnig auch des Mannes Körper gebaut war, die Arbeit hatte ihn doch schon gebeugt: sein Rücken ragte wie ein Bogen über den Tisch; auf seinem ernsten Gesicht lagen jene Falten, die nicht durch Alter verursacht sind, und die steife Regungslosigkeit in seinen matten Zügen zeigte genugsam, daß schweres, ununterbrochenes Arbeiten sein Gefühl zum Teil abgestumpft hatte.
Während er mit Essen beschäftigt war, forderten die zwei Frauen sich gegenseitig durch Winke auf, das heikle Gespräch anzufangen. Endlich nahm die Großmutter folgendermaßen das Wort: »Aber Paul, ich muß Euch doch einmal was sagen.«
Der Vater (gleichgültig): »Ja? Laßt hören, Großmutter, was ist es?«
Die Großmutter: »Nun, habt Ihr noch nicht bemerkt, daß unser Franz den ganzen Tag nichts tut, als Männerchen zeichnen? Die ganze Wand ist schon voll davon; alle meine Muster sind voller Hunde, Katzen und aller Arten von fremden Tieren, die ich selbst noch nicht kenne. Keine Kaffeedüte kann ins Haus kommen, oder puff! es stehen sogleich Männerchen drauf.«
Der Vater: »Laßt Ihr Fränzchen nur Männerchen zeichnen, Großmutter; es ist besser, daß er dies tut, als daß er auf der Gasse herumläuft.«
Die Großmutter: »Das sag’ ich auch. Aber seht Ihr nicht, daß in dem Kind was drin steckt, und daß es vielleicht schade ist, wenn er davon abgezogen wird? . . . Ihr könnt’s ja doch nicht wissen.«
Der Vater (mit Aufmerksamkeit): »Nun, und was ist es denn? Sagt es nur rund heraus.«
Die Großmutter: »Sollte es nicht gut sein, wenn wir ihn auf die Akademie täten? Gott weiß, ob er nicht in seinem Leben noch ein Maler wird.«
Der Vater (mit Nachdruck): »Ich habe Euch schon lange auf Euren Socken kommen hören, Großmutter. Ihr denkt wohl, daß ich nicht merkte, wo Ihr hinaus wollt mit all Euren Finten. Fangt Ihr das alte Lied wieder an? Unser Franz soll Maurergesell werden; und laßt ihn nur jetzt noch in Ruhe, oder Ihr stört gar noch sein Wachstum.«
Die Mutter (mit Heftigkeit aufspringend): »Höre, Paul, Fränzchen ist mein Kind so gut wie deines, und du allein hast auch nicht alles darüber zu sagen . . . Unser Kind ist voll Talent und es steckt zuviel in ihm, um einen Maurergesellen daraus zu machen.«
Der Vater(halb ärgerlich): »Ja, du hast dich gewiß aufhetzen lassen von der Großmutter. Ich sage euch, daß ich von keinem Maler hören will, und zerbrecht mir den Kopf nicht länger damit.«
Die Großmutter: »Annemie hat recht; Ihr liebt Euer Kind nicht, sonst würdet Ihr nicht so sprechen.«
Die Mutter (beinahe schreiend): »Das habe ich längst gesehen, daß du unser Kind nicht gern hast. Es ist dir zuviel, daß du’s nur anredest, das arme Schaf!«
Der Vater (mit Betrübnis; seine Stimme wird beklommen): »Ich sehe mein Kind nicht gern? Weil ich es ein gutes Handwerk will lernen lassen und es erziehen will, wie seine Eltern erzogen sind! Hat er keine Hände am Leib, um zu arbeiten, oder wollt ihr lieber einen faulen Tagedieb aus ihm machen? – Malen! Malen! das ist vielleicht kein schlechtes Gewerbe; aber es ist kostspielig und mühsam zu lernen.«
Die Mutter (ihn anfahrend): »Ein anderer lernt’s wohl auch!« .
Der Vater: »Ja, aber ein anderer hat Geld, und wir nicht. Schau, Weib, du verstehst nichts davon. Ihr seid mir nun schon so lange in den Ohren gelegen mit diesem Oremus, daß ich zu einem Maler gegangen bin, der zuweilen zu unserm Meister kommt. Und wüßtet ihr nur, was mir der alles erklärt hat über diesen hübschen Beruf, die Haare auf dem Kopf würden Euch zu Berge stehen!«
Die Großmutter: »Er hat Euch halt mit Lügen was vorgemacht. So sind die Maler alle; wenn ihrer zu viele werden, dann verdirbt das Geschäft.«
Der Vater: »Ja, merkt nur auf; seht, so werdet ihr Maler: wenn ihr auf die Akademie kommen könnt, dann geht ihr erst ein Jahr lang in die Klasse der Nasen und Ohren; dann ein Jahr in die der Köpfe; dann zwei Jahre in die der Männerchen; dann ein Jahr oder drei auf den Gips, und dann ein Jahr oder vier auf das Leben. Und wenn ihr dann so elf Jahre lang gesessen und gekratzt und euch die Brust zerschunden habt, dann könnt ihr gerade soviel Malereien machen, als ich oder ihr; denn dann müßt ihr noch erst wieder ein Jahr in die Klasse von Tante Mie3 gehen und den Tod abzeichnen! Und wißt ihr, was ihr dann könnt? Noch nichts! – Vermögen wir’s nun, unsern Franz zwölf Jahre zu unterhalten, ohne daß er was verdient? ihm all die Zeit hindurch Farben, Pinsel und Leinwand zu kaufen? – Und wird er dann nicht unglücklich sein, wenn er mißrät? Ja, denn dann ist das Kalb ertrunken, dann ist es zu spät; dann sind seine verweichlichten Hände zu nichts mehr gut und er selbst ist auch zu faul zum Arbeiten geworden. Nein, ich habe mein Kind so lieb wie ihr; aber ich bin zufrieden mit meinem Gewerbe; mein Stück Brot fehlt mir nicht; und ich glaube nichts Besseres tun zu können, als meinen Franz auch zu lehren, sein Brot zu verdienen;,– dann weiß ich doch gewiß, daß er keine Not leiden wird. Er soll Maurergesell werden: ich will es; und es ist mein letztes Wort: Maurergesell!«Die zwei Frauen schwiegen; sie konnten nichts vorbringen gegen die guten Gründe des Mannes. Auch hatten sie beim Anhören seiner Worte ihre Absicht aufgegeben und beschlossen, von der Sache nicht mehr zu reden. Aber in dem Augenblicke, als der Vater gleichsam zur Verurteilung ausgerufen hatte: »Er soll Maurergesell werden!« hörte man plötzlich das Kind in seinem Bette laut aufseufzen und schluchzen, wie jemand, dessen – Tränen nach langem Bezwingen losbrechen.
Fränzchen hatte in größter Herzensangst alles mit angehört. Ein Strahl von Hoffnung und Freude war in sein Herz gedrungen, als er von der Akademie hatte sprechen hören; allein die Worte seines Vaters, die wie der Ausspruch eines unwiderruflichen Urteils ihn zum Maurerhandwerk verdammten, hatten sein Herz mit Betrübnis erfüllt, und da er nicht länger mehr an sich halten konnte, war er auf einmal in lautes Weinen ausgebrochen.
Die Großmutter lief eilig zum Bettchen, nahm Fränzchen heraus, setzte es auf ihren Schoß und bemühte sich, das Kind zu beruhigen, während ihre eigenen Tränen ihr über das Gesicht herabflossen. Die Mutter fing gleichfalls zu weinen an und es herrschte nun in dieser Familie eine so innige, bittere Betrübnis, als wenn sich ein schreckliches Unglück ereignet hätte. Dann sprach die Großmutter mit Gereiztheit zu dem Manne: »Wie könnt Ihr Euer Kind doch so quälen? Ihr werdet es noch umbringen . . . «
Die Mutter: »Ja, ja, das wird wohl noch daraus werden; du wirst ihm wohl in sein Loch helfen . . . Warum kannst du Franz nicht auf die Akademie gehen lassen, sag’? Wenn er nun einmal Talent dazu hat?«
Der Vater (höchst ärgerlich, seine Faust zeigend): »Macht mich nicht bös!«
Fränzchen (er springt von dem Schoß der Großmutter und läuft zu seinem Vater): »Ach Väterchen lieb, werde nicht bös, . . . ich will Maurergesell werden.«
Der Vater (küßt das Kind mit Zärtlichkeit; eine Träne blinkt ihm im Auge): »Fränzchen, mein Kind, ich will nicht bös werden. Geh nur getrost in dein Bett.«
Fränzchen (er nimmt des Vaters Hand und streichelt sie): »Vater, du weißt wohl, daß der Jakob hier aus dem Eckhause auch auf der Akademie ist, und sein Vater ist doch auch nur Maurer.«
Der Vater: (ganz beruhigt): »Ja Kind, aber das ist was anderes. Er macht da keine Männerchen, sondern er ist in der Steinmetzenklasse.«
Fränzchen: