nev
Erscheinungen
Statt des Vorwortes
Jedes wirkliche Kunsterzeugniß soll für sich selbst reden, auf eigenen Füßen stehen – und bedarf daher keiner vorläufigen Erklärungen und Erörterungen. Da mir indeß die Ueberzeugung fehlt, daß meine »Erscheinungen« auf den Rang einer wirklichen Kunstschöpfung Anspruch machen können, so entschließ’ ich mich zu der Bitte an den Leser, der vielleicht ein Recht hat von mir etwas Ernsteres zu erwarten, in den folgenden Blättern keinerlei Allegorie oder versteckte Anspielungen zu suchen, sondern einfach darin eine Reihe von Bildern zu sehen, welche oberflächlich genug mit einander in Zusammenhang gebracht sind.
I
Ich konnte lange nicht einschlafen und wälzte mich unaufhörlich von einer Seite auf die andere. »Der Teufel hole diese Dummheit mit den drehenden Tischen!« dachte ich – »sie greifen nur die Nerven an . . . « Endlich überwältigte mich doch die Müdigkeit. Plötzlich kam es mir vor als erklänge im Zimmer eine Saite leise und klagend.
Ich erhob den Kopf. Der Mond stand niedrig am Himmel und schaute mir gerade in die Augen. Wie ein kreideweißer Streifen lag sein Licht auf den Dielen . . . Deutlich wiederholte sich der seltsame Klang.
Ich lehnte mich auf die Ellenbogen. Ein leiser Schauder schnürte mir das Herz zusammen. – Eine Minute verging; noch eine . . . irgendwo in der Ferne krähte ein Hahn; in noch weiterer Ferne antwortete ein anderer. Ich ließ den Kopf auf das Kissen zurücksinken. »Wohin es doch mit Einem kommen kann« – dacht’ ich wieder; – »in den Ohren fängt’s mir an zu klingen.«
Nach einiger Zeit überwältigte mich der Schlaf wieder, oder es war mir so als ob ich einschliefe. Ein ungewöhnliches Traumgesicht stieg vor mir auf. Mir schien, ich läge in meinem Schlafzimmer, in meinem Bette – und könnte nicht schlafen, nicht einmal die Augen schließen. Da ertönt wieder der Klang . . . Ich wende mich um . . . Die Spur des Mondes auf den Dielen beginnt sich leise zu erheben, aufrechtzustehen und sich oben leicht abzurunden. – Vor mir, wie ein Nebelgebild, steht unbeweglich eine bleiche Frau.
– Wer bist Du? frage ich mit Anstrengung.
Eine Stimme antwortet, ähnlich wie Blättergesäusel:
– Ich bin es. . . ich. . . ich. . . Ich bin Deinetwegen gekommen.
– Meinetwegen? Aber wer bist Du?
– Komm zur Nacht an die Ecke des Waldes, wo die alte Eiche steht. Dort wirst Du mich finden.
Ich will in die Züge der geheimnißvollen Frau blicken – und plötzlich fang’ ich unwillkürlich an zu beben: es überrieselt mich kalt. Und ich liege nicht mehr, ich sitze auf meinem Bette – und da, wo die bleiche Frau zu stehen schien, glänzt der Mond in langen, weißen Streifen über den Fußboden hin.
II
Der folgende Tag verging, ich weiß nicht mehr wie. Ich erinnere mich, daß ich versuchte zu lesen, zu arbeiten . . . allein nichts wollte recht von statten gehen. Und wieder brach die Nacht an. Das Herz schlug in mir, als ob es etwas erwartete. Ich legte mich nieder, das Gesicht gegen die Wand gekehrt.
– Warum bist Du nicht gekommen? ließ sich im Zimmer ein deutliches Flüstern vernehmen.
Jählings blickt’ ich auf.
Da stand sie wieder, die geheimnißvolle Erscheinung – mit den unbeweglichen Augen in dem unbeweglichen Antlitz und dem stehenden Blicke.
– Komm! ließ das Geflüster sieh auf’s Neue vernehmen.
–– Ich werde kommen, erwiderte ich mit unwillkürlichem Schauder.
Die Erscheinung schwebte leise vorwärts und verschwamm dann ganz vor meinen Blicken, leicht wie feiner Rauch entwallend. Und wiederum goß der Mond friedlich sein bleiches Licht über die blanken Dielen.
III
Ich verbrachte den Tag in Aufregung. Nach dem Abendessen trank ich fast eine ganze Flasche Wein, ging auf die Freitreppe hinaus, lehrte aber zurück und warf mich auf’s Bett. Das Blut rollte schwer in mir.
Wiederum ließ der Klang sich vernehmen . . . Ich erzitterte, blickte aber nicht auf. Plötzlich fühlte ich, daß Jemand dicht hinter mir mich umfaßte und mir in’s Ohr rannte: »Komm, komm, komm!« . . . Vor Schrecken bebend stöhnte ich: – Ich werde kommen! – und richtete mich auf.
Die Frau stand, sich über mich neigend, dicht neben meinem Kopfkissen. Sie lächelte leise und verschwand. Dennoch gelang es mir, ihr Gesicht in’s Auge zu fassen. Mir schien, als hätt’ ich es schon früher gesehen; – aber wo, wann? Ich stand spät auf und schweifte den ganzen Tag im Freien umher, ging zu der alten Eiche am Saume des Waldes und spähete aufmerksam in die Runde.
Gegen Abend saß ich am offenen Fenster in meinem Kabinette. Meine alte Haushalterin stellte eine Tasse Thee vor mich hin – aber ich rührte sie nicht an . . . Ich wurde völlig an mir selbst irre und fragte mich, ob ich nicht auf dem besten Wege sei, den Verstand zu verlieren. Die Sonne war eben untergegangen – und nicht blos der Himmel stand in Glut – die ganze Luft erglühte plötzlich von einer fast unnatürlichen Röthe: die Blätter und Kräuter schimmerten wie von frischem Firniß überzogen, ohne sich zu regen. In ihrer gleichsam steinernen Unbeweglichkeit, in der scharfen Deutlichkeit ihrer Umrisse, in dieser Vereinigung kräftigen Glanzes mit Todesstille lag etwas Seltsames, Räthselhaftes. Plötzlich kam ein ziemlich großer, grauer Vogel geräuschlos herbeigeflogen und setzte sich auf den äußersten Rand des offenstehenden Fensters. Ich sah ihn an und er richtete sein rundes, dunkles Auge seitwärts auf mich. »Ist er nicht zu Dir gesandt, Dich zu erinnern?« dachte ich.
Sofort erhob der Vogel seine weichen Flügel und flog so geräuschlos davon wie er gekommen war. Ich saß noch lange am Fenster – aber ich gab mich nicht länger dem Zweifel hin: ich war wie in einen Zauberkreis gefallen – und eine unüberwindliche, wenn auch stille Kraft, riß mich fort, ähnlich der Strömung des Gießbachs, die noch weit vom Wasserfälle den Kahn fortreißt. Endlich rafft’ ich mich auf. Die purpurne Röthe der Luft war längst verschwunden; die Farben dunkelten und die zauberhafte Ruhe war zu Ende. Ein Luftzug erhob sich, der Mond stieg immer heller aus dem tiefblauen Himmel hervor – und bald spielten die Blätter der Bäume silbern und schwarz in seinem kalten Glanze. Meine alte Haushälterin trat in’s Kabinet mit angezündetem Lichte, aber der Luftzug vom offenen Fenster her blies die Flamme aus. Länger konnt’ ich’s nicht aushalten; ich sprang auf, griff nach meiner Mütze und machte mich auf den Weg nach dem Saume des Waldes zu der alten Eiche.
IV
In diese Eiche hatte vor vielen Jahren der Blitz eingeschlagen. Der Wipfel war zerschmettert und verdorrt, aber im Stamme war noch Leben auf Jahrhunderte geblieben. Als ich mich ihr näherte, flog ein Wölkchen über den Mond; unter den weitausgestreckten Zweigen lag tiefes Dunkel. Anfangs fiel mir nichts Besonderes auf; aber ich blickte zur Seite – und das Herz sank mir in der Brust: die weiße Gestalt stand unbeweglich neben einem hohen Strauche, zwischen der Eiche und dem Walde. Die Haare sträubten sich mir leicht auf dem Kopfe; doch ich faßte mir ein Herz und ging auf den Wald zu.
Ja, sie war es, meine nächtliche Erscheinung. Als ich näher an sie herantrat, erglänzte der Mond wieder. Sie sah aus wie aus halbdurchsichtigem, milchweißen Nebel gebildet; durch ihr Gesicht hindurch konnte ich einen leise vom Winde bewegten Zweig sehen – nur die Haare und Augen dunkelten ein wenig und an einem Finger ihrer zusammengelegten Hände glänzte ein schmaler Ring von mattem Golde. Ich blieb vor ihr stehen und wollte sie anreden; allein die Stimme erstarb mir in der Brust, obwohl ich durchaus keine besondere Furcht mehr fühlte. Ihre Augen hefteten sich auf mich: in dem Blicke lag weder Gram noch Freude, aber eine gewisse leblose Aufmerksamkeit. Ich wartete, ob sie nicht reden werde, aber sie stand unbeweglich und stumm, mich unausgesetzt mit ihrem starren Blicke ansehend. Mir wurde wieder unheimlich zu Muthe.
– Ich bin gekommen! rief ich endlich mit Anstrengung. Meine Stimme ertönte dumpf und seltsam.
– Ich liebe Dich – ließ sieh ein Geflüster vernehmen.
– Du liebst mich? wiederholte ich verwundert.
– Gehöre mir an! gab das Geflüster zur Antwort.
– Ich Dir angehören? Aber Du