Dir kein Leides zufügen. Sag nur diese drei Worte: nimm mich hin!
Ich sah sie an. »Was redet sie da?« dachte ich. »Was bedeutet dies Alles? Und wie will sie mich nehmen? Oder gilt’s einen Versuch?«
– Nun wohlan, sprach ich deutlich, ja unerwartet laut, als ob Jemand von hinten mich stieße: Nimm mich hin!
Kaum hatt’ ich diese Worte ausgesprochen, als die geheimnißvolle Gestalt, mit einem innern Lachen, von welchem auf einen Augenblick ihr Gesicht erbebte, vorwärts schwebte, ihre Hände löste und nach mir ausstreckte . . . Ich wollte entfliehen, allein ich war schon in ihrer Gewalt. Sie umschlang mich, mein Körper erhob sich eine halbe Elle über die Erde – und wir wurden beide leicht und nicht allzurasch über den unbeweglichen feuchten Rasen hinweggetragen.
V
Anfangs wirbelte mir der Kopf – und unfreiwillig schloß ich die Augen; nach etwa einer Minute schlug ich sie wieder auf. Wir schwebten wie früher dahin. Aber der Wald war schon nicht mehr zu sehen: unter uns dehnte sich eine Ebene aus, mit schwarzen Punkten besprengt. Mit Schrecken nahm ich wahr, daß wir uns zu einer schauerlichen Höhe erhoben hatten.
»Ich bin verloren, ich bin in der Gewalt des Bösen,« durchzuckt’ es mich wie ein Blitz. Bis zu diesem Augenblicke war mir der Gedanke von der Obmacht dämonischer Kräfte, von der Möglichkeit des Verderbens nicht in den Kopf gekommen. Wir schwebten unaufhaltsam weiter und schienen uns immer mehr zu erheben.
– Wohin trägst Du mich? stöhnte ich endlich.
– Wohin Du willst, erwiderte meine Gefährtin. Sie preßte sich fest an mich; ihr Antlitz berührte fast das meinige. Uebrigens fühlte ich ihre Berührung kaum.
– Laß mich nieder zur Erde; mir schwindelt in dieser Höhe.
– Gut; schließ nur die Augen und athme nicht.
Ich gehorchte – und fühlte mich sofort-niederfallen wie einen geschleuderten Stein . . . die Luft pfiff nur so durch meine Haare. Als ich zur Besinnung kam, schwebten wir wieder über dem Erdboden, so daß wir die Spitzen der Kräuter des hohen Rasens berührten.
– Stell mich auf die Füße, hub ich an. – Was ist das für ein Vergnügen zu fliegen? Ich bin kein Vogel.
– Ich dachte, daß es Dir angenehm sein würde; wir haben keinen anderen Zeitvertreib.
– Ihr? Aber wer seid Ihr denn eigentlich?
Es erfolgte keine Antwort.
– Du wagst es mir nicht zu gestehen?
– Ein klagender Ton, dem ähnlich, der mich in der ersten Nacht weckte, dröhnte mir durch die Ohren. In- zwischen schwebten wir unmerklich weiter durch die feuchte Nachtluft.
– Laß mich! rief ich. Meine Gefährtin bog sich etwas zurück – und ich stand wieder auf den Beinen.
Sie stellte sich vor mich hin und legte aufs Neue die Hände zusammen. Ich beruhigte mich und faßte sie in’s Auge: ihr Antlitz zeigte wie früher den Ausdruck stummer Unterwürfigkeit.
– Wo sind wir? fragte ich. Ich erkannte die umliegenden Orte nicht.
– Fern von Deinem Hause, aber Du kannst im Augenblick da sein.
– Auf dieselbe Art, wie ich hergekommen? Muß ich mich Dir wieder anvertrauen?
– Ich habe Dir kein Leides zugefügt und werd’ es nicht thun! Ich fliege mit Dir umher bis zur Morgenröthe; das ist Alles. Ich kann Dich tragen wohin Dein Gedanke nur strebt – in alle Länder der Erde. Gehöre mir an! Sag wieder: nimm mich hin!
– Wohlan . . . nimm mich hin!l Wieder umschlang sie mich, wieder enthoben sich meine Füße der Erde – und wir flogen.
VI
– Wohin? fragte sie mich.
– Gerade aus, immer gerade aus.
– Aber dort ist ein Wald.
– Erheben wir uns über den Wald hin – aber sanft.
Wir schwebten zur Höhe wie Waldschnepfen, die auf eine Birke fliegen – und wurden weiter getragen in gerader Richtung. Statt der Kräuter zitterten setzt die Wipfel der Bäume unter unsern Füßen. Der Wald war wundersam aus der Höhe herab anzuschauen mit seinem stachlichten Rücken, vom Monde beleuchtet. Er sah aus wie ein vorsindflutliches, schlummerndes Ungeheuer und wir vernahmen sein weitgedehntes, unaufhörliches Rauschen, das wie undeutliches Brummen erscholl.
Hin und wieder öffnete sich eine kleine Lichtung und der gezackte Streifen des Schattens lag schwarz auf der einen Seite. . . Tief unten ließ sich zuweilen der klagende Schrei eines Hasen vernehmen; oben ertönte der ebenfalls klagende Schrei einer Eule. Die Luft roch nach Schwämmen, Knospen und Kräutern. Das Mondlicht ergoß sich nach allen Seiten hin, kalt und streng. Der große Bär erglänzte uns oben zu Häuptern. Plötzlich verschwand der Wald hinter uns; über das Feld spannen sich Nebelstreifen hin; da zog ein Fluß. Wir schwebten, eines seiner Ufer entlang, über Sträucher hin, welche vor Feuchtigkeit schwer unbeweglich dastanden. Die Wellen des Flusses erschimmerten bald in blauem Glanze, bald wälzten sie sich finster und wie heimtückisch dahin. Hier und dort bewegte sich seltsam ein feiner Dampf über ihnen – und die Kelche der Wasserlilien erglänzten jungfräulich und üppig in voller Entfaltung ihrer Blumenblätter, gleich als ob sie wüßten, daß es unmöglich sei, sie zu erreichen. Es wandelte mich die Lust an eine zu pflücken – und schon berührte ich die Wasserfläche. . . eine böse Feuchtigkeit schlug mir in’s Gesicht, als ich den zähen Stengel der großen Blume brach. Wir flogen dann von einem Ufer zum andern hinüber wie Wasserschnepfen, welche wir hin und wieder in der That aufscheuchten und verfolgten. Mehr als einmal geschah es, daß wir auf eine Kette wilder Enten stießen, welche sich im Kreise an einem freien Plätzchen zwischen Binsen niedergelassen hatten. Sie blieben unbeweglich sitzen; nur eine streckte hastig den Hals unter dem Flügel hervor, blickte spähend aus und barg dann geschäftig wieder den Schnabel im flaumigen Gefieders während eine andere ein kurzes leises Schnattern ausstieß, wobei ihr ganzer Körper ein wenig erzitterte. Wir scheuchten auch einen Reiher aus, der sich mit schwerfälliger Beinbewegung und unbeholfenem Flügelschlagen mühsam aus dem Gebüsch erhob. Fische schnalzten nirgends im Wasser auf – sie schliefen alle. Ich sing au, mich an die Empfindung des Fliegens zu gewöhnen und dieses sogar angenehm zu finden. Jeder, wer jemals im Traume geflogen, wird mich verstehen. Mit absonderlicher Aufmerksamkeit faßt’ ich das seltsame Wesen in’s Auge, welches solche Wunder an mir wirkte.
VII
Es war eine Frau mit einem kleinen, nicht russischem Gesichte. Dieses erinnerte in seinem feinen Gemisch von Hellgrau und Weiß mit weichen Schatten an alabasterne, inwendig beleuchtete Vasen. Und wiederum kam es mir bekannt vor.
– Kann man reden mit Dir? fragte ich.
– Rede nur.
– Ich gewahr’ einen Ring an Deinem Finger; Du scheinst auf Erden gelebt zu haben – warst Du verheirathet?
Ich hielt inne . . . es erfolgte keine Antwort.
– Wie heißest Du – oder vielmehr wie war Dein Name?
– Nenne mich Ellis.
– Alice! Das ist ein englischer Name! Bist Du eine Engländerin? Kanntest Du mich früher schon?
– Nein.
– Warum bist Du denn gerade mir erschienen?
– Ich liebe Dich.
– Und Du bist zufrieden?
– Ja; ich schwebe, ich kreise mit Dir in der reinen Luft umher!
– Ellis! sagte ich plötzlich – Du bist vielleicht eine Verbrecherin, eine gerichtete Seele?
Meine Gefährtin senkte ihr Haupt. – Ich verstehe Dich nicht, flüsterte sie.
– Ich beschwöre Dich im Namen Gottes, hub ich wieder an . . .
– Was sagst Du? murmelte sie verwundert. Ich verstehe Dich nicht.
Mir