schwarzen Haare fiel wie ein Fleck auf die wie versteinerte Stirn, auf die feingezeichneten, regungslosen Augenbrauen; durch die blau gewordenen Lippen sah man die fest zusammengedrückten Zähne. Es schien, daß er nicht athme – ein Arm hatte sich zur Diele gesenkt, der andere lag über dem Kopfe.
Der Knabe war angezogen und zugeknöpft, ein festgebundenes Tuch preßte seinen Hals.
Das Mädchen eilte schluchzend zu ihm.
»Er ist gestorben! er ist gestorben!« schrie sie. »Noch eben saß er hier, sprach mit mir – und mit einem Mal ist er umgefallen, bewegungslos geworden . . . Mein Gott! kann man denn wirklich ihm nicht helfen? Und die Mutter ist nicht da! – Pantaleone, Pantaleone!I wo ist der Doktor?« fügte sie plötzlich hinzu. – »Bist du nach dem Doctor gegangen?«
. . . »Signora, ich bin nicht hingegangen, ich habe Louise geschickt,« hörte man eine heisere Stimme hinter der Thüre – und in das Zimmer trippelte auf kurzen, krummen Beinen ein alter Mann im Lilafrack mit schwarzen Knöpfen besetzt, hoher, weißer Cravate kurzen Nanking-Hosen und blauen, wollenen Strümpfen. Sein kleines Gesichtchen verschwand gänzlich unter der ungeheuren Masse greifen eisenfärbiger Haare. Von allen Seiten sich hoch hinaufthürmend und dann wieder in unordentlichen Haarbüscheln zurückfallend, verliehen sie der Erscheinung des Alten eine Aehnlichkeit mit einem schopfigen Huhn, die um so auffallender war, als man unter ihrer dunkelgrauen Masse nur die gespitzte Nase und die großen, gelben Augen erkennen konnte.
»Louise wird schneller hinlaufen, ich kann ja nicht laufen,« fuhr der Alte italienisch fort, die platten, vorn Podagra gelähmten Füße, die in hohen, mit Schleifen gezierten Schuhen steckten, nach einander erhebend. »Da habe ich Wasser gebracht.«
In seinen trockenen krummen Fingern hielt er den langen Hals einer Flasche.
»Aber unterdessen wird Emil sterben!« rief das Mädchen und streckte die Hände nach Sanin aus. – »O mein Herr! – können Sie ihn denn nicht retten?«
»Man muß ihm zur Ader lassen – das ist der Schlag,« bemerkte der Alte, der Pantaleone hieß.
Obgleich Sanin nicht den geringsten Begriff von Heilkunde hatte, wußte er doch sicher, daß vierzehnjährige Knaben nicht vom Schlage getroffen werden.
»Das ist eine Ohnmacht, kein Schlag,« rief er, sich zu Pantaleone wendend. »Haben sie Bürsten?«
Der Alte erhob sein Gesichtchen – »Was?«
»Bürsten, Bürsten!« wiederholte Sanin deutsch und französisch. »Bürsten,« fügte er hinzu, sich den Anschein gebend, als wolle er Kleider reinigen.
Endlich begriff ihn der Alte:
»Ach, Bürsten! Spazzette! Freilich!«
»Bringen Sie sie her; wir wollen ihm den Rock ausziehen und ihn reiben.«
»Gut . . . Benone!« Und soll man ihm nicht Wasser auf den Kopf gießen?«
»Nein. . . nachher; holen Sie jetzt schnell die Bürsten.«
Pantaleone stellte die Flasche auf die Diele, lief hinaus und kehrte sofort mit zwei Bürsten, einer Haar- und einer Kleiderbürste zurück. Ein krauser Pudel begleitete ihn und blickte, eifrig mit dem Schwanze wedelnd, bald den Alten, bald das Mädchen, ja selbst Sanin neugierig an – als ob er wissen wollte, was diese ganze Unruhe bedeuten solle.
Sanin zog dem daliegenden Knaben rasch den Rock aus, band das Halstuch los, streifte die Aermel des Hemdes zurück und fing, mit der Bürste, bewaffnet, aus allen Kräften Brust und Arme zu reiben an. – Pantaleone rieb ebenso eifrig mit der anderen – der Haarbürste, Stiefel und Hosen des Knaben. Das Mädchen war neben dem Sopha niedergekniet und mit beiden Händen den Kopf ihres Bruders umfaßt haltend, blickte sie starr dessen Gesicht an, ohne selbst die Augenwimpern zu bewegen.
Sanin rieb – und blickte sie von der Seite an. Gott! war das eine Schönheit!
III
Ihre Nase war ein wenig groß, doch von edler Adlerform, die obere Lippe war unmerklich von leichtem Flaum beschattet; dafür war ihre Gesichtsfarbe gleichmäßig matt, wie Elfenbein oder wie milchweißer Bernstein; der schillernde Glanz ihrer Haare wie bei der Judith von Allori im Palazzo Pitti – und vor Allem ihre Augen dunkelgrau, mit schwarzen Rändern um den Augenstern, prachtvoll, triumphierend – selbst jetzt – wo Schrecken und Schmerz ihren Glanz verdunkelten . . . Unwillkürlich wurde Sanin an das schöne Land erinnert, von dem er zurückkehrte . . . Aber auch in Italien hatte er nichts Aehnliches gesehen! Das Mädchen athmete selten und ungleichmäßig; es schien, daß sie bei jedem Athemzuge erwarte, ob nicht ihr Bruder zu athmen anfangen werde? Sanin rieb immer weiter; doch blickte er nicht das Mädchen allein an. Die originelle Figur von Pantaleone fesselte ebenfalls seine Aufmerksamkeit. Der Alte war ganz schwach geworden und außer Athem gerathen; bei jedem Rucke mit der Bürste hüpfte er und ächzte er wimmernd; die langen Haarbüschel aber, vom Schweiß naß geworden, wogten schwerfällig hin und her, wie die Wurzeln einer großen Pflanze, die das Wasser untergraben.
»Ziehen Sie ihm wenigstens die Stiefel aus,« wollte Sanin ihm sagen . . .
Der Pudel, wahrscheinlich durch das Ungewöhnliche des Vorganges aufgeregt, stemmte die Vorderbeine auseinander – und fing zu bellen an. – »Tartaglia – canaglia!« herrschte der Alte ihn an . . . Doch in diesem Augenblick veränderte sich das Gesicht des Mädchens. Ihre Augenbrauen erhoben sich, ihre Augen wurden noch größer und strahlten vor Freude.
Sanin wandte sich um . . . Auf dem Gesichte des Knaben zeigte sich Röthe; die Augenlider regten sich . . . die Nasenlöcher erzitterten. Er zog durch die noch zusammengepreßten Zähne Luft ein, er athmete . . .
»Emil!« rief das Mädchen . . . »Emilio mio!«
Langsam öffneten sich die großen, schwarzen Augen. Sie blickten noch stumpf, doch lächelten sie bereits, wenn auch schwach; dasselbe schwache Lächeln breitete sich über die bleichen Lippen aus. Dann bewegte er den herabhängenden Arm – und ließ ihn schwer auf seine Brust fallen . . .
»Emilio!« wiederholte das Mädchen und erhob sich. Der Ausdruck ihres Gesichtes war so heftig und gespannt, daß es schien, sie werde sofort entweder in Weinen oder in Lachen ausbrechen.
»Emil! Was soll das? Emil!« hörte man hinter der Thüre rufen, und mit schnellen Schritten trat in das Zimmer eine gut gekleidete Dame mit silberweißem Haare und von dunkler Gesichtsfarbe. – Ein Mann gesetzten Alters folgte ihr; hinter dessen Rücken erblickte man das Gesicht der Dienerin.
Das Mädchen lief ihnen entgegen.
»Mutter, er ist gerettet, er lebt!« rief sie, die eingetretene Dame krampfhaft umarmend.
»Was ging denn hier vor?« wiederholte diese.
»Ich kehre zurück. . . und begegne plötzlich dem Herrn Doctor und Louise.«
Das Mädchen begann zu erzählen, was vorgefallen, der Doktor aber trat zu dem Kranken, der immer mehr und mehr zu sich kam – und fortwährend lächelte: er schien sich über die von ihm verursachte Unruhe zu schämen.
»Sie haben, wie ich sehe, ihn mit Bürsten gerieben,« wandte sich der Doktor zu Sanin und Pantaleone, »das ist ausgezeichnet . . . Ein glücklicher Gedanke . . . Jetzt will ich zusehen, welches Mittel . . .«
Er fühlte den Puls des Knaben. – »Hm! zeigen Sie die Zunge!«
Die Dame neigte sich besorgt über ihn. Er lächelte noch freimüthiger, richtete seine Augen auf sie – und s erröthete . . .
Sanin glaubte, er sei überflüssig und trat in die Conditorei hinein. Doch er hatte noch nicht die Klinke der Straßenthür erfaßt, als das Mädchen schon wieder vor ihm stand und ihn zurückhielt.
»Sie gehen weg?« fing sie an ihm freundlich in die Augen blickend; »ich halte Sie nicht zurück, doch Sie müssen durchaus heute Abend zu uns kommen; wir sind ihnen so verbunden. – Sie haben ja den Bruder vielleicht gerettet – wir wollen uns bei Ihnen bedanken – die Mutter will es durchaus. Sie müssen uns sagen, wer Sie Sind, Sie müssen an unserer Freude theilnehmen . . .«
»Ich