Marcus Andrew Hislop Clarke

Deportiert auf Lebenszeit


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sich mit dem Gedanken – geschmeichelt, daß er das schwarzäugige Mädchen bezaubert hätte und nun mußte er erfahren, daß sie ihn um den Finger gewickelt und ihn vielleicht zum Spaß für ihren Soldaten-Liebhaber noch geäfft hatte. Das war kein angenehmer Gedanke und doch, so merkwürdig es klingt, der Gedanke an Sara’s Verrätherei brachte ihn nicht zum Haß gegen sie. Es gibt eine Art von Liebe, wenn man es Liebe nennen will, die unter übler Behandlung noch wächst. Indeß fluchte er ihr doch mit einer Art von Empörung.

      Vickers traf sie an der Thür.

      »Pine, Blunt hat das Fieber. Mr. Best fand ihn stöhnend in seiner Kajüte. Kommen Sie und sehen Sie nach ihm.«

      Der Kommandeur des Malabar lag in seiner Koje in der unglücklichen Lage, in die Männer gerathen, wenn sie in ihren Kleidern schlafen. Der Doktor schüttelte ihn, beugte sich über ihn und machte ihm den Kragen auf. »Er ist nicht krank,« sagte er. »Er ist betrunken! Blunt, wachen Sie auf, Blunt.«

      Aber Blunt rührte sich nicht.

      »Hallo, rief Pine, als er an dem erbrochenen Glase gerochen. »Was ist das ? Das riecht sonderbar. Rum? nein, – Laudanum! Bei Gott, man hat ihm einen Trunk gemischt.«

      »Unsinn!«

      »Ich verstehe,« rief er und schlug sich auf die Seite. »Das ist das Teufelsweib gewesen. Sie hat’s ihm gegeben und hat es wollen noch andern geben (hier traf ihn ein flehender Blick von Frere), wenn Andre Narren genug waren, sich von ihr bethören zu lassen. Dawes hat Recht, Herr. Sie ist mit in der Verschwörung. Ich will darauf schwören.«

      »Was , meiner Frau Kammerjungfer? Unsinn!« sagte Vickers.

      »Unsinn,« wiederholte Frere.

      »Es ist kein Unsinn. Der Soldat, welcher erschossen ist, – wie heißt er gleich – Mi – Miles, er, – doch das ist ganz gleich. Es ist Alles jetzt vorüber.«

      »Die Männer werden vor morgen früh gestehen,« sagte Vickers. »Dann wollen wir sehen.« Und damit ging er zu seiner Frau hinein.

      Seine Frau öffnete ihm die Thür. Sie hatte an des Kindes Bett gesessen, hatte auf die Schüsse gelauscht und ohne zu murren, auf ihres Gatten Rückkehr gewartet. Leichtsinnig, oberflächlich und widerspänstig wie Julia Vickers war, hatte sie doch schon oft in Zeiten der Noth einen Muth gezeigt, der die Bewunderung Aller erregte. Obgleich sie bei jedem Buche gähnte, das über eine gewöhnliche Liebesgeschichte hinausging, jeden jungen Menschen zu bezaubern suchte, der fast ihr Sohn sein konnte, bei dem Anblicke eines Frosches kreischte und über eine Spinne aufschrie, so konnte sie doch Stunden lang in solcher Ungewißheit zubringen und dabei einen Muth entwickeln, wie ihn nur je ein starker Geist aufzuweisen hat.

      »Ist Alles vorüber?« fragte sie.

      »Ja, Gott sei Dank,« sagte Vickers, auf der Schwelle stehen bleibend. »Alles ist jetzt sicher, obgleich wir nur mit genauer Noth davon gekommen sind. Wie geht es mit Sylvia?«

      Das Kind lag in seinem Bett, das blonde Haar über die Kissen hängend und die Hände ruhelos hin und her bewegend.

      »Ein wenig besser, glaube ich. Aber sie hat viel gesprochen.«

      Die rothen Lippen standen offen und die hellen blauen Augen starrten ohne Bewußtsein herum. Ihres Vaters Stimme schien sie etwas erregt zu haben, denn sie fing ein kleines Gebet an zu sprechen: »Gott segne Papa und Mama und Gott segne Alle auf dem Schiff. Gott segne mich und mache mich zu einem guten, kleinen Mädchen, um Christi willen, unseres Herren; – Amen!«

      Der Ton der unschuldigen, betenden Kinderstimme, hatte etwas Rührendes und John Vickers, der noch vor zehn Minuten sein eigenes Todesurtheil unterschrieben hatte, um das Schiff zu retten, fühlte seine Augen sich mit Thränen füllen.

      Der Gegensatz war merkwürdig. Mitten auf dem unendlichen Ocean, aus dem Gefängnis, worin Fieber herrschte, unter Dieben und Mördern hervor, weit weit vom Lande entfernt, wandte sich ein unschuldiges Kind voll Vertrauen an den Himmel.

* * *

      Zwei Stunden später, als der Malabar, der soeben einer großen Gefahr entgangen, kräftig durch die schäumenden Wellen segelte gestanden die Meuterer durch ihren Sprecher James Vetch Folgendes:

      »Es thue ihnen sehr leid und sie hofften, daß man ihnen das Vergehen gegen die Disziplin vergeben werde. Die Furcht vor dem Typhus habe sie dazu gebracht. Sie hätten keine Mitschuldigen, weder innerhalb noch außerhalb des Gefängnisses, aber sie fühlten sich doch bewogen, zu gestehen, daß derjenige, welcher die Meuterei geplant habe, Rufus Dawes ist.«

      Der boshafte Krüppel hatte richtig geahnt, von wem die Anzeige, die zu dem Scheitern der Verschwörung geführt hatte, gekommen war und dies war seine sehr charakteristische Rache.

       Zwölftes Capitel.

      Ein Zeitungs-Paragraph

      Auszug aus dem Hobart Town Courier vom 12. November 1827: —

      Das Verhör der Deportierten, welche bei dem Angriff auf den Malabar betheiligt waren, ist am letzten Dienstag geschlossen.

      Die vier Aufrührer: Dawes, Gabbett, Vetch und Sanders wurden zum Tode verurtheilt, aber wir hören, daß durch die Gnade Seiner Excellenz des Gouverneurs dieser Urtheilsspruch in sechs Jahre Arbeit in der Straf-Kolonie von Macquarie Harbour verwandelt worden ist.

      Buch 2

       Erstes Capitel.

      Topographie von Van Diemens Land

      Die Südostküste von Van Diemens Land, von dem einsamen Mewstone bis zu den Basaltklippen von Tasman’s Head, von Tasman’s Head bis zu Cape-Pillar und von Cape-Pillar bis zu der zerrissenen, großartigen Küste der Piratenbai gleicht einem Zwieback, an dem die Mäuse genagt haben. Von der fortwährenden Bewegung des Meeres ausgespült, das immer von Osten nach Westen strömt, ist die Halbinsel von dem Festlande des australischen Continents abgerissen und das Meer hat mit Van Diemens Land das gethan, was es mit der Insel Wight gemacht, – die Küste ist vollständig eingeschnitten und gebrochen. Wenn man die Karte ansieht, so gleichen die phantastischen Formen der Inseln und der Vorgebirge, welche zwischen dem Südwestkap und dem größeren Swan-Port liegen, den sonderbaren Formen, die geschmolzenes Blei annimmt, wenn es in Wasser geworfen wird. Wenn der Vergleich nicht zu übertrieben wäre, so mochte man glauben, daß, als der australische Continent aus dem Schmelztiegel gegossen war, ein Riese den Schmelztiegel nahm und den Rest in die See goß und so Van Diemens Land entstand.

      Die Küstenschifffahrt ist eben so gefährlich wie die des Mittelländischen Meeres. Wenn der Schiffer von Cap Bougainville nach dem Osten von Maria Island fährt, und zwischen die zahlreichen Felsen und Untiefen geräth, die zwischen den drei Höhen »Three Thumbs« liegen, so baut sich plötzlich Tasman’s Halbinsel vor ihm auf, die wie ein doppelter Ohrring von dem Festlande aus in die See hineinhängt. Wenn man um den Pillar Rock durch die Stormbay nach Storing Island fährt, so hat man das Italien dieses kleinen Adriatischen Meeres vor sich. Zwischen Hobart Town und Sorrell, Pittwater und dem Derwent, einer wunderlich geformten Landspitze, streckt sich der italienische Stiefel mit aufwärts gewandten Zehen in die Bai hinein. Ein enger Kanal, der diese Landzunge von dem Ausläufer trennt, ist mit Felsen wie besäet und bildet längs des Bruny Island’s zwischen dessen Westseite und den Klippen von Mount Royal die gefährliche Durchfahrt, welche unter dem Namen D’Encastreaux Kanal bekannt ist. An dem südlichen Eingang des D’Encastreaux Kanals liegt eine Reihe von Felsen unter dem Wasser, die unter dem allgemeinen Namen »Actaeon Riff« bekannt sind und die beweisen, daß Bruny Head einst mit der Küste der Recherche Bai verbunden war. Vom Südkap bis zu dem Eingang von Macquarie Harbour warnen die Brandungen der tief liegenden Felsen, oder auch die zerrissenen Spitzen der einzelnen Felsen, die ganz plötzlich mitten aus der See aufsteigen, den Schiffer, daß er sich von der Küste fern hält.

      Es scheint, als ob die Natur, eifersüchtig auf die Schönheiten des silbernen Derwent, die Annäherung habe erschweren wollen. Ist man aber ein Mal durch den gefährlichen D’Encastreaux Kanal gelangt oder hat man die weniger gefährliche östliche Fahrt durch die Stormbay gemacht, so ist die Fahrt den Strom hinauf ganz köstlich. Von der tiefen Einsamkeit von Iron Port an bis zu den lachenden Ufern