um zu sehen, was von mir zu erwarten sei. Ich antwortete freimütig und erwähnte dabei halb verächtlich die Namen der Alchymisten, deren Werke ich zuerst studiert hatte. Der Professor war sehr erstaunt, dann sagte er: »Haben Sie wirklich Ihre Zeit mit diesem Unsinn vertan?«
Ich bejahte. »Jede Minute,« fuhr Herr Krempe ernst fort, »jeder Augenblick, den Sie sich mit jenen Büchern beschäftigt haben, ist unwiederbringlich und für immer verloren. Sie haben Ihr Gedächtnis mit veralteten Systemen und zwecklosen Dingen belastet. In welchem verlassenen Lande haben Sie denn um Gotteswillen gelebt, daß niemand Sie aufmerksam gemacht hat, daß diese Phantasien, mit denen Sie begierig Ihr Hirn vollpfropften, schon tausend Jahre alt und ganz verschimmelt sind? Ich muß gestehen, daß ich in unserm aufgeklärten Jahrhundert nicht erwartet hätte, noch auf einen Jünger des Albertus Magnus und des Paracelsus zu stoßen. Mein lieber, junger Freund, Sie müssen mit Ihren Studien ganz von vorn beginnen.«
Er trat dann an sein Schreibpult und notierte mir eine Reihe von Büchern, die ich mir beschaffen sollte. Dann entließ er mich, nachdem er mich aufmerksam gemacht hatte, daß er vom Beginn der nächsten Woche ab ein Kolleg über Naturphilosophie, und sein Freund, Herr Waldmann, abwechselnd mit ihm ein solches über Chemie lesen werde.
Ich kehrte nach meiner Wohnung zurück, keineswegs enttäuscht, denn auch ich hatte schon seit langer Zeit, wie ich Ihnen schon sagte, die Wertlosigkeit jener Bücher erkannt, die der Professor verdammte. Aber ich hatte mir vorgenommen, trotzdem zu diesen Studien in irgend einer Weise zurückzukehren. Herr Krempe war ein kleiner, untersetzter Mensch mit barscher Stimme und abstoßendem Gesicht. Der Lehrer hatte also nichts an sich, was mich für seine Wissenschaft von vornherein hätte einnehmen können. Als ganz junger Mensch war ich mit den von den Lehrern der Naturwissenschaften erreichten Resultaten niemals zufrieden gewesen. Die Verworrenheit meiner Ideen, die ja wohl meiner großen Jugend zuzuschreiben war, und der Mangel eines geeigneten Führers, brachten mich soweit, daß ich, rückwärts schreitend, die Ergebnisse moderner Forschung gegen die Träume vergessener Alchymisten eintauschte. Sogar eine gewisse Verachtung empfand ich gegen die moderne Naturphilosophie. Es war doch etwas ganz anderes, wenn die alten Meister Unsterblichkeitund Macht anstrebten. Wenn dieses Streben auch unnütz war, so hatte es doch etwas Großzügiges an sich. Aber das heutige Bild war ein anderes. Die Forscher schienen ihren besonderen Ehrgeiz darein zu setzen, all die Fundamente zu vernichten, auf denen jene gebaut hatten. Es handelte sich für mich also darum, Chimären von grenzenloser Großartigkeit gegen winzige Realitäten zu vertauschen.
Das waren meine Überlegungen während der ersten zwei oder drei Tage meiner Anwesenheit in Ingolstadt, die ich hauptsächlich dazu verwendet hatte, um mir einige Ortskenntnisse zu erwerben. Zu Beginn der nächsten Woche fielen mir dann die Weisungen ein, die mir Professor Krempe bezüglich der Vorlesungen gegeben hatte. Und wenn ich mich auch nicht entschließen konnte hinzugehen und diesen kleinen, eingebildeten Menschen von seinem Katheder herab Weisheiten verkünden zu hören, so erinnerte ich mich doch dessen, was er von Professor Waldmann gesagt hatte, den ich noch nicht kannte, weil er bis jetzt auf dem Lande gewesen war.
Teilweise aus Neugierde, teilweise aus Langweile ging ich in den Hörsaal, den Professor Waldmann gleich nach mir betrat. Dieser Herr unterschied sich wesentlich von seinem Kollegen. Er mochte etwa fünfzig Jahre alt sein und machte einen außerordentlich wohlwollenden Eindruck. Sein Haar war fast schwarz, nur an den Schläfen war es schon leicht ergraut. Er war von kleiner Statur, hielt sich aber sehr gerade und seine Stimme besaß einen seltenen Wohllaut. Er begann sein Kolleg mit einer Rekapitulation der Geschichte der Chemie und ihre Entwickelung, indem er mit Feuer von den berühmtesten Entdeckern sprach. Dann kam er auf den gegenwärtigen Stand der Wissenschaft zu sprechen und machte uns mit der Terminologie bekannt. Nachdem er einige einführende Experimente gemacht, hielt er einen Panegyricus auf die moderne Chemie in Worten, die ich nimmermehr vergessen werde:
»Die Alten versprachen Unmögliches und leisteten nichts. Die heutigen Gelehrten versprechen nichts; sie wissen, daß dieMetalle nicht ineinander verwandelt werden können und daß das Lebenselixir eine Chimäre ist. Aber diese Philosophen, deren Hände dazu geschaffen scheinen, im Schmutze zu graben, und deren Augen über den Schmelztiegeln und Mikroskopen trüb werden, haben wahre Wunder vollbracht. Sie gehen der Natur bis in ihre Schlupfwinkel nach und beobachten sie in ihrer geheimsten Tätigkeit. Sie steigen bis in den Himmel. Sie haben den Kreislauf des Blutes entdeckt und die Natur der Luft, die wir atmen, dargelegt. Sie haben neue, fast unbegrenzte Kräfte entfesselt. Wir haben dem Himmel seine Blitze entrissen und machen uns über die unsichtbare Welt mit ihren Schatten lustig.«
Das waren die Worte des Professors – und des Schicksals, das es auf meine Vernichtung abgesehen hatte. Als er wegging, war es mir, als ringe meine Seele mit einem körperlichen Feinde. Alle Register meines Seins wurden gezogen, Saite auf Saite meines Inneren ertönte und ein Gedanke, ein Wunsch, ein Ziel nahm mich gefangen. So viel bis jetzt auch geschehen sein mag – hörte ich die Seele Frankensteins rufen – viel, viel mehr will ich noch vollenden. Als Pionier will ich neue, unbekannte Kräfte entdecken und vor der Welt die tiefsten Geheimnisse der Schöpfung ausbreiten.
In dieser Nacht schloß ich kein Auge. Mein Inneres war in einem Zustande des Aufruhrs und Tumultes. Ich fühlte, daß das wieder gut würde, aber es war mir so rasch nicht möglich mich zu beruhigen. Allmählich, gegen Morgen, vermochte ich dann einzuschlafen. Als ich erwachte waren meine Gedanken von gestern wie ein Traum. Aber die Idee blieb fest haften, daß ich mich wieder meinen alten Studien zuwenden und mich einer Wissenschaft widmen wollte, zu der ich natürliche Anlagen hatte. Am gleichen Tage noch stattete ich Professor Waldmann einen Besuch ab. Er war als Privatmann, wenn möglich, noch zuvorkommender und gewinnender wie in seinem Berufe. Denn während seiner Vorlesungen nahm er eine sehr würdevolle Haltung an, die aber in seinem Heim einer außerordentlichen Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit Platz machte. Ich gab ihm fast denselben Bericht über meine frühere Beschäftigung wie seinem Kollegen. Er hörte aufmerksam meiner Erzählung zu und lächelte, als er die Namen Cornelius Agrippa und Paracelsus vernahm, aber ohne sie so verächtlich zu machen, wie es Krempe getan hatte. Er meinte, daß diesen unermüdlich fleißigen Forschern die modernen Gelehrten viel zu danken hätten. Sie hätten uns die leichtere Aufgabe hinterlassen, den Dingen Namen zu geben, die sie mit größter Mühe erforscht. Die Arbeit eines Genies sei, wenn sie auch momentan auf irrigen Voraussetzungen beruhe, niemals ohne Nutzen für das Menschengeschlecht. Ich lauschte mit hohem Interesse diesen Ansichten, die so ganz ohne Anmaßung und Ziererei ausgesprochen wurden. Ich versäumte nicht zu gestehen, daß seine Vorlesung mein Vorurteil gegen die moderne Chemie behoben habe. Es ist selbstverständlich, daß ich mich der Bescheidenheit in meinen Ausdrücken befleißigte, die dem Schüler seinem Lehrer gegenüber zusteht, ohne aber den Enthusiasmus zu verhehlen, den ich meinen kommenden Studien entgegenbrachte. Ich bat ihn noch um Ratschläge betreffs der zu beschaffenden Bücher, worauf er sagte:
»Ich freue mich, Sie als Schüler gewonnen zu haben. Wenn Ihr Fleiß Ihren Fähigkeiten gleichkommt, zweifle ich nicht an Ihrem Erfolge. Chemie ist der Zweig der Naturwissenschaft, aus dem das Meiste geholt worden ist und noch geholt werden wird. Darum habe ich sie als mein Spezialfach erwählt, ohne aber die anderen Wissenschaften zu vernachlässigen. Ein Mensch würde nur eine sehr traurige Rolle spielen, wenn er sich ganz einseitig auf Chemie verlegen wollte. Wenn Sie wirklich ein Wissenschaftler werden und nicht bloß ein armseliger Experimentator werden wollen, kann ich Ihnen nur empfehlen, sich mit sämtlichen Zweigen der Naturphilosophie zu beschäftigen, einschließlich der Mathematik.«
Er nahm mich dann mit in sein Laboratorium und führte mir seine verschiedenen Apparate vor. Er zeigte mir auch ihre Handhabung und versprach mir, daß ich sie selbst bedienen dürfte, wenn ich einmal so weit vorgeschritten sei, daß ich nichts daran beschädigte. Er gab mir dann noch ein Verzeichnis der von ihm empfohlenen Bücher und entließ mich.
So endete ein für mich denkwürdiger Tag: er entschied über mein ganzes künftiges Schicksal.
Kapitel 4
Von diesem Tage ab wurde die Naturphilosophie und besonders die Chemie meine ausschließliche Beschäftigung. Ich las mit Leidenschaft die genialen, klaren Werke moderner Forscher. Ich besuchte fleißig die Vorlesungen und blieb in ständiger persönlicher Verbindung mit meinen Lehrern. Ich fand sogar in Krempe einen gesunden