Søren Kierkegaard

Tagebuch des Verführers


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bin ich doch; ziehe an die Grenzen der Welt, Dein bin ich, liebe andere, hundert andere, ich bin die Deine, Dein bis zur Todesstunde. Die Sprache selbst, die ich gegen Dich führe, sie zeugt, dass ich Dein bin. Vermessen hast Du Dich, einen armen Menschen zu verführen, so dass Du mir alles wurdest, und es war mir meine höchste Freude, Dir Sklavin zu werden. Ja, ich bin Dein, Dein, Dein, Dein Fluch.

      Deine Cordelia.

      Johannes!

      Ein reicher Mann hatte sehr viel Schafe und Rinder; und ein armes kleines Mädchen hatte nur ein einziges kleines Schäfchen; das ass von ihrem Bissen und trank aus ihrer Schale. Du, der reiche Mann, reich an allen Schätzen der «Welt, und ich die Arme, hatte nichts als meine Liebe. Du hast sie hingenommen, sie freute Dich, aber als Dir eine neue Lust winkte, opfertest Du das Bischen, das ich hatte; Du wolltest nichts von Dir opfern. Ein reicher Mann hatte sehr viele Schafe und Rinder; und ein armes kleines Mädchen, das hatte nichts als seine Liebe.

      Deine Cordelia.

      Johannes!

      Ist alle Hoffnung vergebens? Erwacht Deine Liebe niemals wieder? Ich weiss ja, dass Du mich geliebt hast, wenn ich auch nicht weiss, woher mir diese Gewissheit kommt. Warten will ich, wenn mir auch die Zeit lang scheint, warten, warten, bis Du niemand anders mehr lieben magst. Steht mir Deine Liebe dann wieder aus dem Grab auf, dann werde ich Dich wie immer lieben, wie ehemals, o Johannes, wie ehemals! Johannes! Kann Dein wahres Wesen gegen mich diese herzlose Kälte sein? Könnte Deine Liebe, Dein reiches Herz eine innere Lüge sein? O werde bald wieder Du selbst! Sei geduldig gegen meine Liebe, verzeih, ich kann nicht aufhören, Dich zu lieben; wenn auch meine Liebe Dir eine Last ist, einmal kommt doch die Zeit, wo Du zu Deiner Cordelia zurückkommst Deine Cordelia! höre doch, – das flehende Wort – Deine Cordelia, Deine Cordelia?

      Deine Cordelia.

      Man bemerkt, Cordelia verstand ihre Rede zu modulieren, wenn ihre Stimme auch nicht diese Bedeutung hatte, welche Johannes zur Bewunderung zwang. Wenn sie sich auch nicht so klar und sicher auszudrücken versteht, ihre Briefe geben doch jede Stimmung wieder. Besonders fällt dies beim letzten Brief auf; freilich kann man in demselben nur ahnen, was sie will, aber dieser Mangel giebt ihm für mich etwas Rührendes.

      4. April. Vorsicht, meine schöne Unbekannte! Vorsicht! Es ist nicht so leicht, aus einem Wagen herauszutreten, manchmal ist das ein Schritt von Bedeutung. Wagentritte sind oft so verkehrt eingerichtet, man muss alle Grazie verlieren, um glücklich herauszukommen. Oft kann man sich nicht anders retten als durch einen halsbrecherischen Sprung in den Arm des Kutschers oder des Lakaien. Kutscher und Lakai, ja, die haben es gut. Ich glaube, ich hätte wirklich grosse Lust, in einem Hause, wo junge Damen sind, eine Dienerstelle anzunehmen. Wie leicht kommt ein Diener hinter die Geheimnisse eines kleinen Fräuleins. – Aber um Gotteswillen, springen Sie doch nicht so heraus, ich bitte Sie, es ist ja dunkel; ich werde nicht stören, ich stehe hinter der Strassenlaterne, dann können Sie mich unmöglich bemerken, und man kommt doch nur in Verlegenheit, wenn man weiss, es wird einem nachgeschaut – also bitte, steigen Sie jetzt aus! Lassen Sie Ihren reizenden zierlichen Fuss, den ich schon bewunderte, sich in die Welt wagen! Mut! Trauen Sie ihm, er wird schon festen Grund fassen und wenn Ihnen auch einen Augenblick bang wird, Sie finden ihn, und wird Ihnen dann auch noch bang sein? O ziehen Sie nur schnell den andern Fuss auch nach, – könnte jemand so grausam sein, Sie in solch gefährlicher Situation zu lassen, wer wäre so ohne Sinn für das Schöne, dass er gegen die Offenbarung einer Schönheit blind wäre? Oder ist Ihnen noch vor einem Unberufenen bang – doch nicht vor dem Lakai, doch nicht vor mir –, ich habe Ihren kleinen Fuss bereits gesehen, und habe als Naturforscher von Cuvier gelernt, daraus meine sicheren Schlüsse zu ziehen. Also flink! Wie dieses Bangen Ihre Schönheit hebt. Aber nein, Angst an und für sich ist nichts Schönes, nur wenn man zugleich die Anstrengung zur Überwindung dabei bemerkt. Endlich! Ah! Schau, wie sicher der kleine Fuss steht! – Nicht ein Mensch hat es bemerkt. Nur im Augenblick, wo Sie in das Hausthor treten, geht eine dunkle Gestalt an Ihnen vorbei. Sie werden rot? Sie sehen sich etwas aufgeregt, etwas stolz verächtlich um? Ein flehender Bück, und eine Thräne in Ihrem Auge? Beides ist schön für mich, und von beidem ergreife ich mit gleichem Recht Besitz. Aber ich bin boshaft, – wie ist die Hausnummer? Und sehe ich recht, es ist ein Galanterie Warengeschäft. Meine schöne Fremde, ist es auch empörend, ich folge Ihnen Sie vergass es, ach ja; ist man siebzehn Sommer alt und macht in solchem Alter Einkäufe und betrachtet alles, was man in die Hand nimmt, mit unbeschreiblichem Vergnügen, ja dann kann man leicht alles vergessen.

      Sie hat mich noch nicht gesehen, ich stehe am andern Ende des Ladentisches; gegenüber an der Wand hängt ein Spiegel. Sie weiss es noch nicht, aber der Spiegel weiss es. O unglücklicher Spiegel, nur ihr Bild kann er festhalten, aber nicht sie selbst. O unglücklicher Spiegel, er kann ihr Bild nicht auffangen und vor der Welt verstecken, er muss es auch andern verraten, wie jetzt mir. Welche Folter, wenn der Mensch so beschaffen wäre! Und doch, es giebt so viele Menschen, die erst fühlen, was sie besitzen, wenn sie es anderen zeigen, die nur das Äusserliche festhalten, nicht das Wesen, die alles verlieren, wenn das innere Wesen sich zeigt, wie dieser Spiegel ihr Bild verlöre, wenn sie durch einen einzigen Atemzug ihr Herz vor ihm verraten würde. . . . Wie schön ist sie doch! Armer Spiegel, welche Qual! Gut, dass du ohne Eifersucht sein kannst. Ihr Haupt ist von einem vollkommenen Oval. Sie beugt es ein wenig vor, dadurch wird die Stirn höher, die Stirn, die sich rein und stolz ohne jedes Abzeichen wölbt. Ihr Haar ist dunkel, ihre Haut durchsichtig und fasst sich wie Sammet an, das fühle ich mit meinen Augen. Ihre Augen – nein, die konnte ich noch nicht sehen, da sie von langen Wimpern verdeckt sind, welche sich wie Nadeln biegen und für den gefährlich werden, der ihren Blick sucht. Ihr Gesicht ist wie eine Frucht. Jeder Übergang ist rund und voll. Ihr Kopf ist ein reiner, unschuldiger Madonnenkopf. Sie zieht einen Handschuh aus und zeigt dem Spiegel – und aber auch mir die Hand so blendend und wohlgeformt, als wäre es die einer Antike, ohne Schmuck und besonders ohne den glatten Ring am vierten Finger. – Bravo! – Jetzt schlägt sie das Auge gross auf, das verändert alles und doch ist sie dieselbe: Die Stirn ist jetzt weniger hoch, vorher schien das Gesicht ovaler, aber jetzt ist es lebendiger. Sie redet zu dem Kommis, sie ist munter und redet gern. Zwei, drei Waren hat sie bereits gewählt, sie nimmt eine vierte in die Hand, betrachtet sie, fragt nach dem Preis und legt sie auf die Seite unter ihren Handschuh. Ist es etwas für den Geliebten – aber verlobt ist sie ja nicht. Ach, es giebt viele, die nicht verlobt sind und doch einen Geliebten haben, und viele sind verlobt und haben keinen Geliebten. Soll ich sie aufgeben? Soll ich sie ungestört ihrer Harmlosigkeit überlassen. . . . Jetzt möchte sie bezahlen, aber sie hat ihr Geldtäschchen vergessen… wahrscheinlich giebt sie jetzt ihre Adresse an; ich mag sie nicht hören, ich will mich nicht einer Überraschung berauben, wir treffen uns wohl noch einmal im Leben und – – ich werde sie gewiss wiedererkennen, sie mich vielleicht auch. Meinen Blick von der Seite vergisst man nicht so leicht. Wenn ich einmal überrascht werde, sie in einer Umgebung zu finden, die sie nicht erwartete, dann kommt an sie die Reihe. Erkennt sie mich aber nicht wieder, so überzeugt mich sofort ihr Gesichtsausdruck und ich bekomme gewiss Gelegenheit, sie von der Seite zu betrachten. Beim Himmel, dann wird sie sich erinnern, dass das schon einmal geschehen ist. Nur nicht ungeduldig, keine Gier, sie ist auserlesen und ich werde sie bekommen.

      5. April. Ich liebe das: allein am Abend in der Östergade. Ja, ich habe bereits den Diener gesehen, der Ihnen folgt; wie könnte ich so schlecht denken, zu glauben, Sie würden ganz allein gehen. Glauben Sie ja nicht, dass ich mit meinem Blick für jede Situation so unerfahren bin, dass ich nicht sofort diese ernstzunehmende Gestalt des Bedienten bemerkt hätte. Warum aber gehen Sie so rasch? Nicht wahr, etwas Angst und Herzklopfen hat man doch, nicht weil man sich so sehr nach Hause zu kommen sehnt, sondern aus unbestimmbarer Furcht, die mit süssem Bangen einem durch und durch geht, deshalb diese schnelle Art zu gehen. Herrlich, unbezahlbar ist es aber doch, ganz allein so zu gehen – den Bedienten natürlich hinter sich . . Man ist sechzehn Jahre alt, man hat ein bischen gelesen, das heisst nur Romane, man hat, wenn man durch das Zimmer der Brüder ging, einige Worte von einem Gespräch zwischen ihnen und ihren Freunden aufgefangen, einige Worte von der Östergade. Später ist man wiederholt durch jenes Zimmer gesprungen, um womöglich noch etwas mehr zu erfahren. Doch umsonst. Ein grosses junges Mädchen dürfte doch wirklich ein bischen Bescheid von der Welt haben. Ob man so ohne weiteres mit dem Bedienten