Ugo Mioni

Der Schutzgeist des Kaisers von Birma


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Erde!« erklang wieder der Kommandoruf, der all diese Stimmen übertönte.

      Wieder vernahm ich ein Geräusch, als ob sich eine große Menge mit Gewalt zur Erde würfe.

      Als der Wongy dieses Geräusch hörte, erbleichte er tief.

      »Der Kaiser kommt!« stieß er bebend hervor.

      »Flieh, flieh! Noch hast du Zeit!« rief ich.

      »Niemals!« entgegnete er fest. »Aber du mußt dich verbergen. Wehe dir, wenn dich der Kaiser bewaffnet in dem Tempel des Herrn fände.«

      »Ich fürchte euren Kaiser nicht. Ich bin ein Europäer und er darf es nicht wagen, mir ein Leid zuzufügen.«

      »Der Kaiser ist furchtbar in seinem Zorne. Aber wenn du auch nichts für dich fürchtest, so flieh um meinetwillen. Ich bin verloren, wenn du hier bleibst.«

      Diese Worte bewogen mich, zu gehen. Ich tat es zwar sehr ungern, aber ich durfte doch den ohnedies schon so schwer heimgesuchten armen Alten nicht noch tiefer ins Unglück stürzen.

      »Wir sehen uns wieder,« sagte ich also zu dem Wongy, und eilte hinaus.

      Kaum hatte mich der Garten aufgenommen, da wurde die Haupttüre des Tempels geöffnet und Hunderte von Stimmen riefen: »Der Kaiser! Der Kaiser tritt in den Tempel!«

      Ich blieb an der Seitenpforte stehen. Der eine von deren beiden Flügel war nur leicht angelehnt, was mir nicht nur gestattete, alles zu hören, sondern auch die Vorgänge in demselben zu beobachten.

      Was ich zuerst hörte, waren die regelmäßigen Schritte einer großen Anzahl Leute; dann wurde die große Pforte mit Ungestüm geschlossen.

      »Stille!« befahl eine tiefe Baßstimme, deren Kommando ich schon früher vernommen hatte.

      Eine Totenstille entstand, nur unterbrochen von den regelmäßigen Atemzügen der Menschen.

      Vorsichtig bog ich mich zur Seite und lugte durch die Spalte der Türe in den Tempel.

      Ich sah einen vornehm gekleideten Mann auf einem Thronsessel sitzend, leider mit dem Rücken gegen mich gewandt, so daß ich ihm nicht in das Gesicht blicken konnte. Es war offenbar der Kaiser selbst. Zwei Diener hielten große goldbrokatene Schirme über ihn ausgespannt, das Zeichen seiner Würde.

      Was sich sonst noch in dem Tempel befand, lag auf dem Fußboden, das Gesicht in den Staub gedrückt; eine Ausnahme machten nur die vier Diener des Elefanten, die in ihrer knienden Stellung verblieben waren und ihre Schirme wieder aufgenommen halten, aber das Haupt tief gesenkt hielten.

      Die tiefe Stille wurde lange nicht unterbrochen. Endlich ließ sich die Baßstimme wieder hören: »Im Auftrage Seiner erhabenen und glorreichen Majestät, des Kaisers von Birma, verlange ich von dir, Wongy Mangvé-Mengyi, Bericht über das teuere Befinden Seiner Hoheit des Herrn Senmeng.«

      Die Stimme des Kaisers bekommt mit Ausnahme der kaiserlichen Prinzen und fremden Gesandten niemand zu hören.

      »Der Herr befindet sich leider nicht wohl,« entgegnete der alte Wongy.

      »Im Auftrage Seiner erhabenen und glorreichen Majestät frage ich dich, ob die Krankheit Seiner Hoheit schwer ist?« fragte der Baß weiter.

      »Seine Majestät wird sich mit seinen eigenen Augen überzeugt haben —«

      »Seine Majestät kann sich diese Mühe nicht nehmen. Wozu hätte er sonst seine Minister? Sie sind seine Augen, seine Ohren, sein Mund, seine Hände und Füße, was doch wohl auch dir bekannt ist. Die Krankheit ist also schwer?«

      »Sehr schwer.«

      »Der Herr —?«

      »Es scheint, daß Gautama ihn bei sich in Nirwana haben will,« sagte der alte Wongy, die bittere Pille mit seiner Diplomatie überzuckernd.

      Eine kurze Pause entstand. Die Eröffnung des Wongy schien alle erschreckt zu haben, dann aber brach ein dumpfes Gemurmel los, das mehr und mehr zu lautem Weinen und Klagen anschwoll. Zuletzt artete das Weinen in wildes, echt morgenländisches Geschrei aus . . .

      Der Kaiser überließ seine Untergebenen ruhig ihren Herzensergießungen.

      Nach einigen Minuten befahl die tiefe Stimme von neuem: »Stille!« und wieder herrschte Totenstille in dem weiten Raume.

      »Du bist schuld an Senmengs Tode,« wandte sich der Sprecher an den Wongy.

      »Nein, o nein! Ich tat alles, um ihn wieder herzustellen,« stammelte der Arme.

      »Du lügst! Du hast ihn vernachlässigt, das ist die wahre Ursache seiner Krankheit.«

      »Ich habe ihn mit aller möglichen Sorgfalt gepflegt.«

      »Wie könnte er dann im Sterben liegen?«

      »Er ist sehr alt —«

      »Du faselst, Wongy, oder kennst du nicht die Lehren des Gottes Gautama? Lies das heilige Buch Maharadzaweng und du wirst darin finden, daß die weißen Elefanten nimmer altern.«

      »Gautama ruft ihn zu sich. Er liebt den weißen Elefanten als den Ausfluß seiner göttlichen Macht und als den Schutzgeist unseres Kaisers, darum will er ihn zu sich nach Nirwana führen. Vielleicht will er auch gerade dadurch seine Liebe zu unserem erhabenen Monarchen zeigen, dem Sohne des Himmels, der über uns arme Sterbliche mit göttlicher Kraft und Weisheit herrscht,« verteidigte sich Mangvé.

      Diese stark aufgetragene Schmeichelei, die so recht den morgenländischen Hofmann kennzeichnen, schien jedoch dem Monarchen wenig zu behagen.

      »Du lügst abermals, Wongy! Gautama ruft niemals die weißen Elefanten zu sich, eben weil sie der Schutzgeist des Kaisers sind. Wenn einer von ihnen stirbt, so geschieht es stets auf eine gewaltsame Art. Du hast ihn also getötet und solltest eigentlich eines tausendfachen Todes sterben. Soldaten, bemächtigt euch seiner!«

      Das Weitere wartete ich nicht mehr ab. Konnte ich mir doch so ungefähr denken, was nun folgen würde. Die Soldaten würden in das Haus des Wongy dringen, niedermachen, was ihnen dort in den Weg trat und es plündern. Die Frau des Bedauernswerten mußte ihr Heim mit Schmach und Schande verlassen, und ihren Sohn würde man vielleicht töten. —

      Doch jetzt durfte ich mich nicht länger hier aufhalten. Jeden Augenblick konnten die Soldaten in den Garten eindringen. Würden sie, wenn sie mich bewaffnet hier fanden, nicht glauben, daß ich mich an dem ›Hochverrate‹ des Wongy beteiligt hatte?

      Dann hing mein Leben an einem Haar. Ich rannte die Gartenwege entlang und erreichte die Halle in demselben Augenblicke,

      in dem ein junger Mann eilig die Treppe zum Erdgeschoß herabstieg.

      »Wo ist mein Vater?« wandte er sich erregt an mich.

      »Du bist wohl der Sohn des Wongy?«

      »Allerdings!«

      »Dann komme mit mir! Rasch, rasch!«

      »Wohin?«

      »Das ist gleichgültig. Folge mir nur. Es ist Gefahr im Verzuge.«

      »Wo ist mein Vater?«

      »Die Soldaten haben ihn gefangen genommen, weil der weiße Elefant stirbt; sie können jeden Augenblick hier sein, um euer Haus zu plündern.«

      Die Augen des jungen Mannes funkelten vor Zorn.

      »Mögen sie kommen! Ich werde mich zu wehren wissen.«

      »Du würdest bald überwältigt sein.«

      »So sterbe ich als ein Held.«

      »Suche lieber dein Leben und deine Freiheit zu retten, um deinem Vater zu Hilfe eilen zu können.«

      »Aber meine Mutter?«

      »Niemand wird es wagen, ihr ein Leid zuzufügen.«

      »Ist es nicht feige, wenn ich fliehe?« fragte der junge Mann schwankend.

      »Du handelst im Gegenteil als ein kluger Mann und wirst mir später für meinen Rat danken.«

      Daraufhin folgte er mir. Auf dem Platze drängte sich eine tausendköpfige Menschenmenge schimpfend und lärmend