schritt, ohne die Jüdin noch eines Blickes zu würdigen, davon; ihm nach erscholl das Gelächter der Spottenden. Der unangenehme Eindruck dieser Szene war in der Seele des jungen Mannes, sobald ihn der volksbelebte Teil der Stadt aufgenommen hatte, verwischt. Aber andere Schatten stiegen in seinem weichen, zu träumerischer Schwärmerei neigenden Gemüte auf. Er war der Sohn einer vornehmen Frau, deren Gatte am Hofe des verstorbenen Königs zu Theben eine hohe Stellung bekleidet. Seine Mutter, an Glanz und königliche Pracht gewohnt, hielt auf äußeren Rang. Sie ging mit dem ehrgeizigen Gedanken um, ihrem einzigen Sohne die Stufen zu den höchsten Ämtern zu bahnen, sie wollte ihn in der Stellung des Vaters sehen, dem Herzen des Königs am nächsten; zu diesem Zweck hatte sie beschlossen, daß Menes nach Ablauf seiner Studien, deren er in Memphis bei mehreren Priestern oblag, sich zum König nach Theben verfügen solle, um dort einstweilen als niederer Hofbeamter in die Reihen der fürstlichen Diener einzutreten, bis ihm allmählich der Rang seines verstorbenen Vaters zuteil würde. Daß dieser ihm zuteil würde, daran war kein Zweifel; nur liebte es Ramses II., seine Großen zuvor zu prüfen, ehe sie die höchsten Würden bekleideten. Die vornehme Ägypterin war übrigens mit dem Betragen ihres Sohnes keineswegs zufrieden. Wie oft mußte sie die schmucklose Einfachheit seines Anzugs tadeln, die einem künftigen Höfling nicht zieme; wie oft beklagte sie sich über die Farblosigkeit seines Kopftuchs, das sie gerne buntgestreift gesehen hätte; wie oft ermahnte sie ihn, Ringe mit kostbaren Steinen zu tragen, die sie ihm schenkte; er stieß sie verdrießlich von sich, die Kostbarkeiten und ging am liebsten halbnackt, nicht etwa um die Blicke der Frauenwelt auf seinen tadellosen Wuchs, seinen zartgeschmeidigen Muskelbau zu lenken, sondern weil er, wie er sagte, nicht gerne in seinen Bewegungen gehemmt sei. Allerdings schmückte ihn sein bräunlich angehauchter Körper mehr, als jedes Kleidungsstück; darauf aber achtete er ebensowenig, als seine Mutter; sie wollte Farben sehen. Wie oft erwähnte sie mit einem tadelnden Seitenblick, er ginge mit Musikanten, Malern und Bildhauern (in ihrem Auge Gesindel) lieber um, als mit hochgestellten Männern von vornehmer Erziehung und wohlgesetztem Betragen. Schon als Knabe war es die Lieblingsbeschäftigung ihres Sohnes, seiner Phantasie durch Zeichnen Ausdruck zu geben. Papyrusrollen und Wände mußten seinem Stifte herhalten; oft hatte ihn der Priester dabei ertappt, daß er auf die heiligen Rollen, die er ihm zum Studieren vorgelegt, Osirisköpfe, kleine Nilpferde, Mumien u. dgl. mit flüchtiger Hand gemalt. Zwar von seiner Handschrift waren alle seine Lehrer hingerissen, denn die Hieroglyphen schienen unter seinen Fingern zu leben, jedoch über seinen Glaubenseifer in bezug auf heilige Dinge hatten sie eine weniger günstige Meinung. Der Knabe frug ihnen zu viel. Die priesterliche Weisheit mußte oftmals verstummen vor diesen scharf eindringenden Fragen, welche schonungslos Irrtümer und Unmöglichkeiten der Religion aufdeckten, diese sogar manchmal leisem Spott preisgaben. Allen war es klar, Menes sei dazu bestimmt, die Tempel der Könige mit Wandmalereien zu bedecken, aber wie durfte solches geschehen? War doch der Vater des Kindes Hofbeamter gewesen! Wie konnte der Sohn einen anderen Beruf ergreifen! Dieser Zwang nährte einen verbitternden Groll im Herzen des Kindes und steigerte ihn zur Verzweiflung in der Brust des Jünglings. Verzweiflung im Busen schritt unser Held weiter, immer weiter von Straße zu Straße. Wenn er irgendwo eine schön bemalte Wand, eine hübsche Säule erblickte, konnte er lange betrachtend davor stehen bleiben, dieses tadelnd, jenes lobend in seinem heißen Inneren. Er fühlte, wie er vor manchem Bilde Hochachtung empfinden mußte, wie er aber im ganzen alles, was er bis jetzt gesehen, übertreffen zu können sich wohl bewußt sein durfte. Schon waren die Straßen in nächtliches Dunkel gehüllt, schon sickerte der Goldstrahl des Mondes um die Säulen der Paläste, ihren riesigen Leibern eine unheimliche Majestät verleihend. Der kühle Wind, der vom Nil herüber zu wehen begann, zeigte Menes an, daß er sich dem Hafen von Memphis näherte. Er umschritt den pylonartigen Vorsprung eines großen Handelshauses, ging eine kleine, enge Straße entlang und stand nun sogleich den Schiffen des Hafens gegenüber. Da lag der alte Nil und trug geduldig seine Last. Außer ägyptischen Fahrzeugen waren es hauptsächlich phönizische, die hier vor Anker lagen. Töpferwaren, Getreide und Haustiere an das Land zu schaffen, waren die Sklaven vornehmlich beschäftigt; auch Öl oder Gold aus den Bergwerken Äthiopiens war zu sehen. Doch näherte sich der Betrieb des Handels seinem Ende. Nur hier und da schritt noch gravitätisch ein reicher Kaufherr, nachdem er die Seetüchtigkeit seines Schiffes, den Wert seiner Ladung geprüft, der inneren Stadt zu. Bald trat Ruhe ein auf dem sonst so belebten Platze; kleine Lichter erglänzten auf den Schiffen, kleine Rauchsäulen schlängelten sich aus den Kajüten, wo die Familie des Schiffers sich ihr Abendmahl bereitete. Zuweilen ließ sich vom Maste herab die Stimme eines fremden Vogels, der dem inneren Afrika entstammte, vernehmen; zuweilen streckte eine Antilope, die für den Ziergarten irgendeines hohen Beamten bestimmt war, ihren zierlichen Kopf durch die Luke, oder es landete das letzte Boot eines größeren Schiffes, seine Ladung Papyrusballen oder an Seilen hängende Fische ans Land befördernd. Alles schwieg, nur der alte Nil rollte seine kostbaren Wellen durch die Ufer, die ihr reiches Kleid von Blumen und Ähren heiter in seinen heiligen Fluten wuschen. Menes schritt dicht an den Fluß heran, tauchte seine Hand in das heilige Wasser und kühlte sich seine heiße Stirne mit der Flut, die kostbarer denn Gold ist. Vor ihm erhob sich der Bauch eines phönizischen Kauffahrers. Auf demselben spielten mehrere Matrosen das Fingerspiel, worunter auch ein schwarzer Äthiopier. Anfangs wurde das Spiel schweigend fortgesetzt, allmählich aber, als die Finger heftiger flogen, entspann sich ein lebhafter Zank zwischen den Spielenden. Eben wollte sich Menes, angeekelt von dem kindischen Gezänke der Matrosen, abwenden, als einer derselben ihn aufforderte, als Schiedsrichter aufzutreten. Menes lehnte bescheiden ab, er verstehe das Spiel kaum, er kenne den Zusammenhang der Streitigkeit nicht. Der derbe Phönizier sprang die Schiffstreppe hinab, packte ihn am Arm und setzte ihm mit lauter Stimme auseinander, er habe die Zahl der Finger richtig geraten, die ihm sein Nachbar entgegengestreckt, dieser aber leugne nun, wolle ihn betrügen.
»Zwei Finger hielt ich empor,« beteuerte der andere, »du aber sprachst: drei!«
»Nein,« tobte der erste, »du hieltest drei empor. Nicht wahr, Herr, es waren drei! Ihr saht es?« – Dabei warf er Menes einen Blick schlauen Einverständnisses zu.
»Meinetwegen hieltet ihr tausend Finger und die Fußzehen dazu empor,« lachte Menes ärgerlich, »ich sah und hörte nichts!«
Er entwand sich der Hand des Phöniziers und ging. Kaum aber hatte er den Ort des Zankes verlassen, als er neben sich eine weiche Stimme vernahm. Erschrocken sah er sich um; die Dunkelheit, die bereits eingebrochen war, ließ ihn zwei weiße, weibliche Gestalten undeutlich erkennen, von welchen eine, die andere mit sich fortziehend, auf ihn zu schritt.
»Myrrah,« lachte das Mädchen, »tritt näher, fürchte dich nicht, du darfst nicht so bescheiden tun, Kleine. Biete deine Blumen dem jungen Herrn an, er kauft dir gewiß einen Strauß ab – weil – nun, weil du hübsch bist!«
Menes sah, wie die Angeredete, ein zierliches Judenmädchen, ihm verlegen ein Sträußchen entgegenhielt.
Die andere drängte sich an ihn heran. Kaum hörbar flüsterte sie ihm in die Ohren:
»Sie ist jung, unerfahren, Herr! laßt die Gelegenheit nicht vorübergehen, ich werde Euch unterstützen.«
Dann lachte sie laut, sich zu der Verschämten wendend.
»Ei wie! ei was!« polterte sie grämlich, »stecke es dem Herrn an die Verzierungen seines Halskragens, er nimmt es dann gewiß! Nun! näher! komm! tritt dicht zu ihm!«
Wieder flüsterte sie Menes ein paar Aufforderungen ins Ohr, die diesen entrüsteten.
»Schweige mir,« sagte er ernst, »tückische Verführerin dieser Unschuldigen. Dich aber warne ich, die du dieser Wilden so willig folgst! Hüte dich vor ihren Lockungen.«
»Ei beim Apis und allen heiligen Krokodilen,« lachte die Begleiterin auf, »ich erkenne ihn jetzt erst? Er ist es! Es ist unser frommer Menes! Seht nur den sittenfesten Jüngling! Mit zwanzig Schilden hat er seine Tugend umgürtet!«
Lachend sprang sie an die Seite des Jünglings, nahm, ohne zu fragen, ihrer furchtsamen Freundin den Strauß ab und nestelte ihn an des jungen Mannes Kleidung. Dieser aber fuhr betroffen zurück, denn Rebekka, die Tänzerin, stand vor ihm. Er schleuderte unwillig die Blumen von sich; als jedoch zufällig sein erzürnter Blick auf das andere der beiden Mädchen fiel, stockte ihm das heftige Wort auf der Zunge,