auf der Rückreise plötzlich schwer erkrankt, und der kommende Wagen brachte einen Boten mit dieser traurigen Nachricht. Wie sich später ergab, war der Vater bereits gestorben, ehe der Bote bei der Familie anlangte.«
»Und halten Sie das für wahr?« fragte ich.
»Was soll ich sagen?« war seine Antwort. »Hier handelt es sich um eine Tatsache, die ein Augenzeuge bekundet, welcher jeder Ausschmückung durch erdachte Hinzufügungen unfähig ist. Ich kann der Erzählung meinen Glauben nicht versagen, und danke nur Gott, dass unsere englischen Mütter keine solche Sehergabe besitzen, um ihre Kinder damit auf den Tod zu erschrecken.«
»Hat Ihr Freund diese seltsame Gabe nicht ererbt?« fragte der Capitain Sinclair.
»Nein – ich glaube nicht,« entgegnete Mr. Davis etwas zögernd. »Mindestens habe ich nie gehört, dass er sich eines Blickes in die Zukunft rühmen könne. Aber wenn alles wahr ist, was man sich von ihm erzählt, so hat er zuweilen ein seltsames Erkenntnisvermögen in Bezug auf gegenwärtige Umstände.«
»Ein solches Erkenntnisvermögen ist nichts sehr Ungewöhnliches,« bemerkte ich lächelnd; »ich verstehe in der Tat nicht recht, was Sie meinen.«
»Ja, es ist schwer, das zu erklären, was man selbst nicht recht begreift. Er soll zu Zeiten eine Ahnung von der Nähe oder dem Vorhandensein eines Verbrechens haben. Er selbst spricht nicht gern darüber, denn nur einmal, so lange ich ihn kenne, habe ich aus seinem Munde eine darauf bezügliche Äußerung gehört und auch diese war nur ganz kurz ,als wenn er sich scheute, den Gegenstand zu berühren.«
»Was sagte er?«
»Er sagte, es sei wahr, dass ihn ein sonderbares, peinliches Gefühl an Orten beschleiche, wo eine böse Tat begangen worden, und dass er öfters durch dieses Gefühl auf eine nicht zu beschreibende Weise zu der Entdeckung des Verbrechers hingeführt worden sei.«
»Das ist nichts als eine Art von Wahnsinn,« sagte ich.
»Nie gab es wohl einen klareren und gesunderen Verstand auf Erden, als der seinige ist,« versetzte Mr. Davis mit Wärme.
»Hat er Beispiele von der Ausübung dieser seltsamen Fähigkeit angeführt?« fragte Sinclair.
»Nein. Er sagte, die Fälle seien selten und stets mit großer Unbehaglichkeit und selbst Qual für ihn verbunden. Damit Sie jedoch nicht glauben, dass ich selbst derartige wunderbare Geschichten erfinde, will ich Ihnen ein merkwürdiges Beispiel erzählen, das ich zwar nicht selbst erlebt, aber aus dem Munde seines Schreibers, eines ganz zuverlässigen Menschen, gehört habe, der dabei gegenwärtig war.«
»Oh, erzählen Sie!« riefen alle Stimmen, unter denen sich auch die meiner mit großer Spannung zuhörenden Zöglinge befanden.
»Ich brauche nicht die besonderen Umstände zu erwähnen,« begann er, »wegen deren Mac Ivor von einer verwitweten Dame zu Rat gezogen wurde, deren Schicksal von der Auffindung eines Testamentes abhing, welches ihr verstorbener Gatte errichtet hatte, und das, wie sie behauptete von irgendjemandem gestohlen und beiseite geschafft worden war. Die Witwe machte zwei Zeugen namhaft, welche es in ihrer Gegenwart unterschrieben hatten. Der eine derselben war gestorben; der andere, ein Dienstbote der Familie, bekundete, irgendein Dokument unterzeichnet zu haben, aber konnte nicht mehr mit Bestimmtheit angeben, was es betroffen habe, und glaubte, es sei nur eine Vollmacht für einen Anwalt gewesen. Mac Ivor hegte vom ersten Augenblicke an Misstrauen gegen den Neffen der Dame, welcher zwar ein reicher Mann, aber dennoch entschlossen war, sein Recht als nächster Intestaterbe geltend zu machen, obgleich die Witwe seines Oheims dadurch an den Bettelstab kommen musste. Er stieß jedoch bei Mac Ivor auf einen gefährlichen Gegner. Nachdem Letzterer in Erfahrung gebracht hatte, dass der noch lebende Zeuge von dem Neffen in Dienst genommen worden war, bestand er darauf, den Mann zu sehen und zu sprechen. Der Neffe machte viele Ausreden, schützte vor, derselbe sei abwesend, und später hieß es, er sei krank, allein Mac Ivor gab nicht nach; und nachdem er seine Absicht erklärt hatte, den Arzt zu sprechen, welcher den Mann behandelte, willigte der Neffe endlich ein, dass Mac Ivor ihn am folgenden Tage zu einer bestimmten Stunde in seinem Schlafzimmer besuchen dürfe. Bis dahin hatte Mac Ivor von dem beabsichtigten Besuche keinen anderen Erfolg erwartet, als den, durch ein scharfes Verhör des Mannes einiges Licht über das geheimnisvolle Verschwinden des Testamentes zu verbreiten. Der Schreiber, welcher mir die Geschichte erzählte, begleitete ihn nach dem Hause des Neffen und sagte, dass Mac Ivor sich auf dem Wege dahin ganz wie gewöhnlich mit ihm unterhalten, aber bei dem Eintritt in das Haus plötzlich starr um sich geblickt und die Farbe gewechselt habe. Ein Diener schritt ihm die Treppe hinauf voran, während der Schreiber hinter Mac Ivor folgte und deutlich sah dass sein Prinzipal mehrere Male wankte und sich halten musste. Als sie die Tür des Schlafzimmers erreichten, fasste er den Arm des Schreibers und zitterte sichtlich.«
»Aber,« erzählte Letzterer, »»als wir über die Schwelle traten, ließ mein Prinzipal meinen Arm los, stieß mich fast von sich und schritt geraden Wegs auf das Bett zu. Das Gemach war verdunkelt worden, so dass ich anfangs kaum den von den Kissen und Decken umhüllten angeblich Kranken zu erkennen vermochte. Mr. Mac Ivor riss die Decken fort und rief: »Hier ist keine Krankheit! Setzet Euch aufrecht!« Nie vorher hatte ich ihn mit einer so furchtbaren Stimme sprechen hören, wie in diesem Augenblicke. Der Mann richtete sich erschrocken auf, und sein Herr, welcher hinter den Bettvorhängen versteckt gewesen war, trat gleichfalls hervor und stand nun auf der anderen Seite des Bettes gegenüber. »Fragen Sie,« sagte er« »der Mann wird antworten. Er räumt ein, eine Unterschrift vollzogen zu haben, aber —.« Ohne seine Worte zu beachten, unterbrach ihn Mac Ivor. »Heraus damit!« rief er mit derselben Stimme wie vorher. »Heraus mit dem Testamente! Es liegt unter Eurem Kopfkissen!« Mit diesen Worten griff er unter das Bett und zog ein Dokument hervor. Der angebliche Kranke zitterte am ganzen Körper und war unfähig, es zu verhindern. Sein Herr tat einen Griff danach über das Bett und sagte einige sehr heftige Worte, aber Mac Ivor schob das Papier in seine Tasche und sagte nur: »Wenn ich nicht von Ihnen höre, so werden Sie von mir hören,« und verließ das Haus, während ich ihm wie ein Träumender folgte. Nie erwähnte er später des Vorfalls gegen mich, aber das Testament war gefunden, und die Dame erlangte ihr Recht.««
»Und was folgte darauf? Wurden der Diener und sein böser Herr nicht bestraft?« fragte ich.
»Der weitere Verlauf ist mir nicht bekannt,« versetzte Mr. Davis. »Die Dame wünschte dass die Sache verschwiegen bleibe. Es hieß, dass der Neffe über die Entdeckung des Testaments nicht minder als jeder andere erstaunt und der Meinung gewesen sei, dass der Mann die Urkunde vernichtet habe, welche er sich während der Krankheit seines früheren Herrn angeeignet hatte.«
»Die Erzählung befriedigt mich nicht recht,« bemerkte ich nach einer Pause; »über manche Punkte wünschte ich gründliche Auskunft zu haben.«
»Auch ich,« fügte Mr. Davis hinzu. »Einige Male habe ich versucht, bei Mac Ivor selbst auf die Sache anzuspielen, allein er fertigte mich jedes Mal kurz ab. Seine Antwort war nur, dass es allerdings ein merkwürdiger Fall sei, aber dass häufig vermisste Dokumente durch ganz zufällige Umstände wieder aufgefunden würden. Bei diesen Worten drückte sich zugleich eine solche Unruhe in seinem Gesichte aus, dass ich nicht länger von dem Gegenstande sprechen mochte.«
»Meine Meinung ist,« versetzte ich mit Bestimmtheit, »dass Mr. Ivor auf irgendeinem Privatwege Kenntnis von den Umständen erlangt hatte und mit Benutzung derselben den Mann einschüchterte und um Geständnisse brachte, sowie dass das Mystische in der Erzählung lediglich aus den Träumereien des Schreibers herrührt.«
Gegen diese Erklärung, welche der Geschichte allen Reiz raubte, protestierten meine beiden Zöglinge mit größtem Eifer, worauf sich die Unterhaltung einem anderen Gegenstande zuwendete.
Nachdem die Herren uns verlassen hatten, erschöpften sich beide Mädchen in Vermutungen über die Persönlichkeit dieses geheimnisvollen Mac Ivor. Janet, welche eine Neigung zum Romantischen hatte, meinte, dass er groß, mager und bleich sein, und schwarzes Haar, eine römische Nase und wild funkelnde, dunkle Augen haben müsse; wogegen Ellen behauptete, dass die Augen blau, die Nase griechisch und das Haar braun sein müssten.
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