Уилки Коллинз

Ein tiefes Geheimniss


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schienen dieselben sie sogar wider ihren Willen an den Ankleidetisch und den darauf liegenden offenen Brief zu treiben. Sie las laut die Aufschrift: »An meinen Gatten,« ergriff dann hastig den Brief und sagte in festerem Tone:

      »Warum soll ich ihm diese Schrift überhaupt geben? Warum will ich nicht lieber das Geheimnis mit ihr und mit mir sterben lassen, wie es am besten wäre? Warum sollte er es wissen? Er soll es nicht wissen.«

      Indem sie die letzten Worte sprach, näherte sie den Brief bis auf einen Zoll der Flamme des Lichts. In demselben Augenblick bewegte sich vor ihr der weiße Vorhang am Fenster, sowie die frischer werdende Luft durch die altmodischen, schlecht schließenden Fensterflügel hereindrang. Ihr Auge erblickte den Vorhang, während derselbe sich langsam vorwärts und rückwärts bewegte. Schnell drückte sie den Brief mit beiden Händen an ihre Brust und fuhr an die Wand des Zimmers zurück, während ihre Augen immer noch an dem Vorhang hafteten – mit dem Blick desselben Entsetzens, welches sie zu erkennen gegeben, da Mistreß Treverton gedroht hatte, von der andern Welt aus den Gehorsam ihrer Dienerin zu erzwingen.

      »Es bewegt sich etwas,« keuchte sie bei sich selbst mit atemlosem Geflüster; »es bewegt sich etwas in dem Zimmer neben mir !«

      Der Vorhang wehte zum zweiten Male langsam hin und her. Ich immer noch unverwandt über die Schulter hinweg anschauend, schlich sie sich die Wand entlang nach der Tür.

      »Kommst du schon?« sagte sie, die Augen immer noch auf den Vorhang heftend, während ihre Hand an dem Schlosse nach dem Schlüssel tastete. »Ehe noch das Grab gegraben ist? Ehe noch der Sarg fertig ist? Ehe die Leiche kalt ist?«

      Sie öffnete die Tür und schlüpfte auf den Korridor hinaus. Hier blieb sie einen Augenblick stehen und schaute zurück in das Zimmer.

      »Ruhe!« sagte sie. »Ruhe! – er soll den Brief bekommen.«

      Die Treppenlampe leitete sie aus dem Korridor hinaus. Eilig, als ob sie fürchtete, sich Zeit zum Nachdenken zu lassen, ging sie die Treppe hinunter und erreichte binnen wenigen Minuten Kapitän Trevertons Arbeitszimmer, welches sich im Erdgeschoß befand. Die Tür stand weit geöffnet und das Zimmer war leer.

      Nachdem sie eine Weile nachgedacht, zündete sie eins der auf dem Tisch in der Hausflur stehenden Zimmerlichter an der Lampe im Arbeitszimmer an und ging wieder die Treppe hinauf nach dem Schlafzimmer ihres Herrn.

      Nachdem sie wiederholt an die Türe gepocht, aber keine Antwort erhalten, wagte sie hineinzugehen. Das Bett stand noch unberührt, die Lichter waren nicht angezündet worden – allem Anscheine nach war während der ganzen Nacht niemand in dem Zimmer gewesen.

      Nun gab es bloß noch einen Ort, an welchem sei ihn suchen konnte – das Zimmer, in welchem seine verstorbene Gattin lag. Hatte sie wohl Mut genug, um ihm den Brief dort zu geben?

      Sie zögerte ein wenig, dann flüsterte sie: »Ich muß! ich muß!«

      Die Richtung, welche sie nun zu nehmen gezwungen war, führte sie wieder einen Teil der Treppe hinunter. Diesmal ging sie sehr langsam, hielt sich vorsichtig an das Geländer an und blieb fast auf jeder Stufe stehen, um Atem zu schöpfen.

      Die Tür von Mistreß Trevertons Schlafzimmer ward, als sie an dieselbe zu pochen wagte, von der Wärterin geöffnet, welche in rauhem und argwöhnischem Tone fragte, was sie hier wolle.

      »Ich wünsche meinen Herrn zu sprechen.«

      »Dann müßt Ihr ihn anderswo suchen. Er war vor einer halben Stunde hier. Jetzt ist er fort.«

      »Wißt Ihr, wohin er gegangen ist?«

      »Nein. Ich bekümmere mich nicht um das Kommen und Gehen anderer Leute. Ich besorge, was meine Sache ist.«

      Mit dieser höflichen Antwort schloß die Wärterin die Tür wieder. Gerade als Sara sich von derselben hinweg wendete, schaute sie nach dem innern Ende des Korridors. Dort befand sich die Tür der Kinderstube. Diese Tür stand ein wenig geöffnet und ein düsterer Schimmer Kerzenlicht fiel durch die Spalte.

      Sara ging sofort hinein und sah, daß der Lichtschimmer aus einem innern Zimmer kam, welches, wie sie recht wohl wußte, gewöhnlich von dem Kindermädchen und dem einzigen Kinde des Hauses Treverton bewohnt ward.

      Dieses Kind war ein kleines Mädchen namens Rosamunde, zu dieser Zeit beinahe fünf Jahre alt.

      Ist er vielleicht dort? – von allen Zimmern des Hauses gerade in diesem?

      Schnell, wie dieser Gedanke in ihr erwachte, steckte Sara den Brief, welchen sie bis jetzt in der Hand getragen, in den Busen ihres Kleides und verbarg ihn zum zweiten Male gerade so, wie sie ihn verborgen, als sie das Bett ihrer Herrin verließ.

      Dann stahl sie sich auf den Zehen durch die Kinderstube hindurch nach dem innern Zimmer.

      Der Eingang desselben war, einer Laune des Kindes zu Gefallen, bogenförmig gemacht und mit bunt angestrichenem Spalierwerk versehen, sodaß er dem Eingang eines Gartenhauses glich. Zwei hübsche Zitzvorhänge, die innerhalb des Spalierwerks angebracht waren, bildeten die einzige Schranke zwischen dem Tagzimmer und dem Schlafzimmer.

      Einer dieser Vorhänge war in die Höhe gesteckt und auf die auf diese Weise gebildete Öffnung ging Sara jetzt zu, nachdem sie vorsichtig ihr Licht draußen auf dem Korridor gelassen.

      Der erste Gegenstand, der ihre Aufmerksamkeit in dem Schlafzimmer des Kindes auf sich zog, war die Gestalt des Kindermädchens, welches fest schlafend in einem Armstuhl am Feuer zurückgelehnt saß. Als sie nach dieser Entdeckung kühner in das Zimmer hineinzuschauen wagte, sah sie ihren Herrn, mit dem Rücken nach ihr gewendet, an dem Bettchen des Kindes sitzen.

      Die kleine Rosamunde war wach und stand im Bett, während sie den Hals ihres Vaters mit ihren Armen umschlungen hielt. Eine ihrer Hände hielt die Puppe, die sie mit zu Bett genommen, über seine Schultern hinweg, die andere hielt sich sanft an seinem Haar fest. Die Kleine hatte bitterlich geweint und sich nun erschöpft, sodaß sie bloß von Zeit zu Zeit noch ein wenig stöhnte, während ihr Kopf müde an der Brust des Vaters ruhte.

      Die Tränen standen Sara in den Augen, während sie ihren Herrn und die kleinen Hände betrachtete, die seinen Hals umschlungen hielten. Sie verweilte an dem aufgehobenen Vorhang, ohne auf die Gefahr zu achten, in der sie stand, jeden Augenblick entdeckt und zur Rede gestellt zu werden; sie weinte, bis sie Kapitän Treverton beschwichtigend zu der Kleinen sagen hörte:

      »Still, meine gute Rose! Still, mein liebes Kind; weine nicht mehr um die arme Mama. Denke an den armen Papa und suche ihn zu trösten.«

      So einfach diese Worte waren, so ruhig und zärtlich sich auch gesprochen wurden, schienen sie doch Sara Leeson sofort aller Selbstbeherrschung zu berauben. Ohne darauf zu achten, ob sie gehört würde oder nicht, drehte sie sich um und eilte in den Korridor, als ob es gälte ihr Leben zu retten. An dem Licht vorbei, welches sie hier hatte stehen lassen, eilte sie, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen, nach der Treppe und mit atemloser Schnelligkeit dieselbe hinab nach der Küche.

      Hier kam ihr einer der beiden Diener, welche gewacht hatten, entgegen und fragte sie mit der Miene des Erstaunens und Erschreckens, was es gäbe.

      »Ich bin krank – ich bin wie ohnmächtig – ich muß an die Luft,« antwortete sie stotternd und verworren. »Öffnet mir die Gartentür und laßt mich hinaus!«

      Der Mann gehorchte, aber zweifelhaft, als ob er glaubte, sie könne nicht ohne Gefahr sich selbst überlassen werden.

      »Sie wird immer seltsamer in ihren Mucken,« sagte er, als er, nachdem Sara an ihm vorüber ins Freie hinausgeeilt war, wieder zu seinem Kameraden zurückkam. »Nun, da ihre Herrin tot ist, wird sie wahrscheinlich einen andern Dienst suchen müssen. Ich für meine Person werde mich nicht zu Tode nach ihr sehnen. Du wohl auch nicht ?«

      Die kühle milde Luft im Garten bestrich frisch Saras Gesicht und schien die Heftigkeit ihrer Aufregung zu beschwichtigen. Sie bog in einen Seitenweg ein, welcher nach einer Terrasse führte und die Aussicht auf die Kirche des benachbarten Dorfes bot. Das Tageslicht außerhalb des Hauses war schon ziemlich hell. Der neblige Schein, welcher dem Sonnenaufgang vorangeht, schwebte friedlich und lieblich hinter einer Strecke schwarzbraunen Moorlandes den ganzen östlichen Himmel entlang. Die alte Kirche mit