im Hause, noch im Garten vom frühen Morgen an in Ruhe gelassen hat. Der Rektor, der einige Briefe zu schreiben hat, hat sich verzweiflungsvoll in seinem Zimmer eingeschlossen und trotzt seinem aufgeregten Freunde in dieser Festung, bis die Ankunft der Frau Peckover und des taubstummen Kindes des Malers schreckliche Ungeduld nach dem zwölften Glockenschlage und nach dem Besuche aus dem Zirkus gestillt hat. Herr Blyth hat den unglücklichen Vance verdrießlich gemacht, gequält und außer Fassung gebracht, bis er von unterdrücktem Zorne ganz erschöpft aussieht. – Herr Blyth ist in sein Heiligtum gedrungen, um ihn zu fragen, ob die Uhr in der Vorhalle richtig gehe, und hat ihn überrascht, wie er sich im offenen Hemde wusch. Herr Blyth hat eins seiner Gläser zerbrochen und auf ungestüme Weise darauf bestanden, ihm zu zeigen, wie man den Pfropfen aus einer Weinflasche herauszöge. Wenn dies ein oder zwei Tage noch so fort gehen sollte, so würde sich Vance sicherlich gezwungen sehen, obgleich er schon zwanzig Jahr beim Rektor im Dienste stand, ihm denselben aufzukündigen.
Es fehlen noch fünf Minuten an Zwölf. Frau Joyce und ihre Töchter nehmen, von Leo begleitet, ihre Plätze ein und sahen frisch und nett in ihren glänzenden Morgentoiletten aus. Der Doktor tritt mit seinem beendigten Briefen ein und begrüßt Valentin mit einem harmlosen geistlichen Scherze. Vance stellt die frühere vollkommene Ordnung auf dem Frühstückstische wieder oberflächlich her. Die Uhr schlägt zwölf, ein schwaches leises Läuten wird an der Glocke der Rektorwohnung gehört.
Vance schreitet leise nach der Thür, als – o Himmel und Erde! Werden keine Hausgesetze von diesen Malern für heilig gehalten? – Herr Blyth mit einem Ausrufe »hier sind sie!« bei ihm vorbeistürzt und nach der Vorhalle eilt, um das Tor selbst zu öffnen. Vance dreht sich feierlich nach seinem Herrn um, zitternd und purpurrot im Gesichte, mit einem anklagenden Ausdrucke, welcher deutlich genug sagt:
»Wenn Sie eine solche Kränkung ertragen wollen, mein Herr, so erlaube ich mir, Sie ergebenst zu benachrichtigen, dass ich nicht gesonnen bin, ein Gleiches zu tun.« Der Rektor bricht in ein lautes Lachen aus; die jungen Damen folgen seinem Beispiel; der Neufundländerhund springt auf und bellt laut dazwischen. Frau Joyce sitzt still, betrachtet Vance und bedauert ihn.
Die Stimme des Herrn Blyth ist bald wiederum sehr vernehmlich hörbar, ohne dass seiner Rede irgendeine Antwort gegeben wird. Die Tür des Speisezimmers, welche zugefallen ist, wird plötzlich aufgestoßen, und Valentin erscheint mit der Miene des höchsten Triumphes und der höchsten Glückseligkeit, Frau Peckover und das taubstumme Kind hereinführend, so dass er für den Augenblick unbedingt schön aussieht. Der Rektor, welcher im besten und edelsten Sinne des Wortes ein Gentleman ist, empfängt Frau Peckover so höflich und herzlich, wie er die vornehmste Dame von Rubbleford empfangen haben würde. Frau Joyce nähert sich mit ihm ebenfalls freundlich, aber trotzdem ein wenig zurückhaltend in ihrem Benehmen. Die jungen Damen fallen in reizenden Stellungen zu jeder Seite des Kindes nieder und sind geradezu vor Entzücken über die Schönheit desselben außer sich. Der Hund tritt hinzu und steckt seine Schnauze gesellig zwischen sie. Vance steht verdrießlich an der Wand und missbilligt den ganzen Vorgang aufs strengste.
Die arme Frau Peckover! Sie ist niemals in einem solchen Hause wie der Rektorwohnung gewesen, sie hat niemals vorher in ihrem Leben mit einem Doktor der Theologie gesprochen. Sie war sehr erhitzt, rot und zitternd, machte fürchterliche grammatikalische Fehler und schmiegte sich so furchtsam an Herrn Blyth, wie wenn sie ein kleines Mädchen gewesen wäre. Es gelang dem Rektor jedoch bald, ihr einen bequemen Platz am Tische anzuweisen. Sie machte Vance eine ehrerbietige Verbeugung, als sie bei ihm vorbeiging, da er ohne Zweifel den Eindruck auf sie gemacht hatte, als wäre er ein zweiter Doktor der Theologie, der noch größer und gelehrter als der erste war.
Frau Joyce musste ihre Töchter dreimal rufen, ehe sie dieselben bewegen konnte, zum Frühstückstische zu kommen. Wenn sie Valentins Auge für das Romantische und Schöne besessen hätte, würde sie gewiss nicht im Stande gewesen sein, die Gruppe, welche ihr dritter Ruf unterbrach, zu zerstören.
In der Mitte stand die taubstumme Marie in einem weißen Kleide, darüber eine kleine seidene Mantille, welche aus einem abgelegten Gewande, das einer von den Damen des Zirkus gehört hatte, gemacht war. Sie trug einen einfachen Strohhut, verziert mit einem schmalen, weißen Bande, der mit einem ähnlichen unter dem Kinn befestigt war. Ihre helle, zarte Gesichtsfarbe war von einem rötlichen Schimmer angehaucht, ihre wunderbaren blauen Augen, die so traurig in dem grellen Gaslichte aussahen, schienen jene Trauer in der milden Atmosphäre des Speisezimmers verloren zu haben. Die zarte und rührende Stille, welche ihr Trübsal über ihr Gesicht verbreitet hatte, schien ein wenig in Widerspruch mit der kindlichen Unreife der Gesichtszüge, aber harmonierte ausgezeichnet mit dem ruhigen Lächeln, welches ihr eigentümlich schien, wenn sie glücklich war – dankbar und ungeniert glücklich, wie sie sich jetzt unter ihren neuen Freunden fühlte, die sie nicht wie eine Fremde und Geringere aufnahmen, sondern wie eine jüngere Schwester, welche lange von ihnen getrennt gewesen war.
Sie stand neben dem Fenster, die mittlere Figur der Gruppe, und reichte der ältesten Tochter des Rektors, welche an ihrer rechten Seite auf einem Schemel saß, eine kleine Schiefertafel, an der ein Stift hing. Die zweite von den jungen Damen kniete auf der anderen Seite, hielt ihre beiden Arme um des Hundes Nacken geschlungen und verhinderte so, dass er Mariens Gesicht beleckte, wozu er bereits von dem ersten Augenblicke an, wo sie in das Zimmer getreten war, mehrere kühne Versuche gemacht hatte. Sie sprachen so eifrig mit ihr, als wenn Marie hören und ihnen antworten könnte, – während sie stillstand und abwechselnd von einer nach der andern blickte und der ältesten Tochter die Schiefertafel hinhielt, damit sie darauf schriebe.
Dieses reizende Bild brachte Frau Joyce ohne Erbarmen in Unordnung. Die jungen Damen wurden zu ihrer Mutter gerufen, das Kind zwischen Valentin und Frau Peckover gestellt und das wichtige Geschäft des Frühstücks nahm seinen Anfang.
Es war wunderbar zu hören, was Herr Blyth alles faselte, wie er abwechselnd die Frau des Clowns belobte, weil sie ihr Versprechen so pünktlich gehalten hatte, und dann den Rektor triumphierend frug, ob er nicht zu wenig von der Schönheit der kleinen Marie gesagt, statt dieselbe übertrieben zu haben. Es war ebenfalls wunderbar, Frau Peckovers verschämtem Blick das Erstaunen anzusehen, als sie bemerkte, dass der strenge Doktor der Theologie, der ihre Verbeugung kaum zu beachten schien, sich plötzlich so weit herabließ, sie sanftmütig mit allem dem zu versehen, was sie zu essen oder zu trinken wünschte.
Der Rektor, welcher ein scharfer Beobachter in seiner eigenen, ruhigen, unablässlichen Weise war, wurde durch zwei Eigentümlichkeiten, welche er während des Frühstücks an dem Benehmen der kleinen Marie bemerkte, angezogen. Zuerst gewahrte er mit einiger Teilnahme und Erstaunen, dass, während die Frau des Clowns sich sehr scheu und verlegen unter Fremden, welche in ihrer sozialen Stellung .ihr überlegen waren, benahm, die kleine Marie hingegen vom ersten Augenblicke an, wo sie in das Speisezimmer trat, ihre Fassung behielt und sich unbewusst ihrer neuen Umgebung anpasste; zweitens, dass sie sich beständig an Valentin hing, ihn öfters als irgendjemanden anders betrachtete und immer und zuweilen nicht ohne Erfolg zu versuchen schien, dass sie seinen Ausdruck, seine Manier, die Bewegungen seiner Lippen beobachtete, um zu verraten, was er zu den andern sagte. Der Charakter dieses Kindes ist kein gewöhnlicher, ihr Herz ist ausgebildeter, als ihr Aussehen verspricht, und sie liebt Blyth fast schon ebenso sehr, als er sie liebt. »Der gute alte Valentin! Es ist angenehm zu sehen, dass seine ganze Begeisterung nicht bloß an einen kleinen Narren und an ein hübsches Gesicht vergeudet worden ist.«
Als das Frühstück vorüber war, flüsterte das älteste Fräulein Joyce ihrer Mutter bittend zu: »Mama, dürfen Karoline und ich dem lieben kleinen Mädchen unsere Gärtchen zeigen?«
»Gewiss, meine Liebe, wenn sie mit Euch gehen will. Du solltest sie lieber fragen, – ach mein Gott! ich vergaß – ich meine auf ihre Tafel schreiben. Der Gedanke, dass sie taubstumm ist, betrübt mich so sehr, wenn ich sie dort so hübsch und glücklich sitzen sehe. Sie scheint gern Kuchen zu essen, erinnere mich Emilie, dass ich welchen für sie einpacke.«
Emilie und Karoline gingen sogleich zum Kinde und gaben ihr durch Zeichen zu verstehen, dass sie etwas auf die Tafel schreiben wollten. Sie schrieben abwechselnd mit unglaublichem Enthusiasmus darauf, bis sie eine Seite ganz voll geschrieben hatten, und setzten am Ende einer jeden Zeile in der geschäftsmäßigsten Weise ihre Anfangsbuchstaben darunter.
Das