sagte Tim.
»Hey, Grace«, rief Johnny ihr hinterher. »Kannst du nachher noch tanken?«
»Klar.«
»Du kannst die Kreditkarte benutzen«, sagte er.
»Okay.« Grace hatte es offensichtlich eilig, was ihren Vater neugierig machte. Warum war sie so gehetzt, und warum fuhr sie schon so früh los?
»Bitte vergiss es nicht, ja?«, rief er ihr warnend hinterher.
»Mache ich nicht …« Ihre Stimme war von freundlich zu genervt übergegangen.
»Warum machst du’s nicht noch vor der Jugendgruppe, Grace?«, fügte er hinzu. »Dann vergisst du’s garantiert nicht.«
Grace’ Blick gab ihm zu verstehen, dass sie entweder sauer oder peinlich berührt oder etwas in der Art war. Aber weil er den Abend nicht verderben wollte, tat er es mit einem Lachen ab. »Teenager«, sagte er, als die Haustür ins Schloss fiel. Zum Glück schienen die Bryants unbeeindruckt von seiner unhöflichen Tochter. Aber nach dem Tischgebet fragte er Tim: »Haben sich eure Kinder jemals so benommen?«
Tim lachte. »Also wirklich, Mann. Ich bin Pastor. Meine Kinder waren immer perfekt.«
»Sehr witzig.« Sharon schüttelte den Kopf.
Johnny seufzte, als er seine Serviette auseinanderfaltete und sie sich auf den Schoß legte. »Ich weiß nicht, was in letzter Zeit los ist. Wir beide waren einander mal so nah!« Er sah seine Gäste an und zwang sich zu einem Lächeln. »Ich bin froh, dass du ein Buch darüber geschrieben hast«, sagte er zu Tim. »Vielleicht liest sie das eines Tages mal.«
Während das Essen herumgereicht wurde, versuchte Johnny, die Sorgen um seine eigensinnige Tochter beiseitezuschieben. Schließlich war sie immer noch ein Teenager. Da waren rebellische Phasen ganz normal. Alle Jugendlichen testeten das aus. Außerdem, versuchte er, sich Mut zu machen, war Grace ein gutes, christliches Mädchen. Und gerade unterwegs zu ihrer Jugendgruppe. Mal im Ernst, was konnte sich ein Vater noch mehr wünschen?
Grace parkte das Auto, blieb jedoch noch sitzen und dachte nach. Warum war sie so wütend auf ihren Vater? Sie wusste, dass er sie liebte und, wie Rachel sie ständig erinnerte, dass er ein guter Vater war. Aber vielleicht war das genau das Problem. Er war ein zu guter Vater. Wie oft hatte sie mitbekommen, dass er vor seinen Freunden Witze machte wie: »Klar kann Grace mit einem Jungen ausgehen … wenn sie 30 ist!« Und natürlich musste jeder darüber lachen, und niemand nahm ihren Vater wirklich ernst. Aber manchmal kam sie doch ins Nachdenken … Manchmal kam es ihr vor, als hätte Johnny Trey es am liebsten, wenn Grace eine Marionette wäre, bei der er die Strippen zog.
Als sie aus dem Auto stieg, fiel ihr finsterer Blick auf ihre Gitarre und die Bibel, die so unschuldig auf dem Rücksitz lagen. Dann schloss sie das Auto ab und ließ ihre Schuldgefühle ebenso darin zurück wie die Requisiten, die sie eingesetzt hatte, um heute Abend der Kontrolle ihres Vaters zu entkommen. Ihr Gewissen knipste sie mit wütender Empörung aus und nahm Kurs auf den Eingang des Kinos. Sie stellte sich in die Schlange zu all den anderen jungen Leuten und kaufte eine Karte für einen Film, den ihre Eltern niemals gutheißen würden.
Diverse Bekannte grüßten sie, aber niemand von ihnen gehörte zu ihren engen Freunden. Aus der Gemeinde war natürlich niemand hier, also war die Gefahr, dass sie verpetzt würde, auch relativ gering. Nicht, dass es ihr wirklich etwas ausgemacht hätte – oder zumindest redete sie sich das ein, während sie Popcorn und Cola kaufte.
Sie suchte sich einen Platz in den vorderen Reihen. Es fühlte sich komisch an, allein hier zu sein, aber sie setzte sich einfach und machte sich über ihr Popcorn her. Bald fing die Werbung an, und alle Gedanken an ihre Eltern und die Jugendgruppe und das College und das Leben an sich wurden übertönt von dem Lärm und der Musik und der Action auf der großen Leinwand vor ihr.
Als der Film zu Ende war, blieb Grace noch sitzen, als schon der Abspann lief. Nicht, dass es sie interessiert hätte, wer Kamera-Assistent oder irgendein Laufbursche gewesen war. Es war die Musik, die sie dort hielt. Sie tippte mit den Zehen im Takt zu einem abgenudelten Rocksong und fragte sich, ob sie jemals die Chance bekommen würde, so etwas zu spielen.
Grace fühlte sich ein bisschen unwohl, als die Lichter wieder angingen. Sie verließ das beinah leere Kino. Etwas an der ganzen Situation – Gemeindekind schleicht sich ins Kino und guckt zweifelhaften Film – kam ihr traurig und erbärmlich vor. Aber anstatt weiter darüber nachzudenken, schaltete sie im Auto einen Rocksender ein und sang laut mit, als sie über Umwege nach Hause fuhr. So kam sie zu der Zeit nach Hause, wie es nach der Jugendgruppe normal war. In der Auffahrt stand kein Auto mehr, also waren die Bryants wohl nach Hause gegangen.
An der Haustür bemerkte sie, dass sie ihre Gitarre im Auto gelassen hatte. Damit das Instrument nicht der feuchten Nachtluft ausgesetzt war, holte sie es schnell.
Als sie das Haus betrat, räumte ihre Mutter gerade im Wohnzimmer auf.
»Hallo«, begrüßte sie Grace lächelnd. »Wie war’s?«
»Ganz okay.« Grace sah ihren Vater in seinem Lieblingssessel sitzen, scheinbar in seinen Laptop vertieft. Sie vermutete, dass er trotzdem genau zuhörte. »Es war gut«, fügte sie hinzu, um noch überzeugender zu klingen, und legte den Autoschlüssel in die kleine Schüssel neben der Haustür.
»Hast du was gegessen?« Ihre Mutter fragte sie das jedes Mal nach der Jugendgruppe.
»Ja.« Grace war schon auf dem Weg in ihr Zimmer, doch ihre Mutter schien in Plauderlaune zu sein.
»Ich habe heute Morgen Rachels Mutter im Fitnessstudio getroffen«, sagte sie heiter. »Sie hat mir erzählt, dass Rachel im Herbst auch am Monroe-College anfängt.«
Grace umklammerte den Griff ihres Gitarrenkoffers fester, als das Wort auch in ihrem Kopf nachhallte, aber sie war entschlossen, sich ihren Ärger nicht anmerken zu lassen.
»Jedenfalls, Rachel hat wohl offenbar irgendein Stipendium bekommen?«
Grace nickte nur und zwang sich, nicht etwas zu sagen wie: »Ja, ich weiß. Rachel ist perfekt. Nicht so wie eure nichtsnutzige Tochter.«
»Rachels Mutter meinte, die ganzen Studiengänge sind auch auf der Webseite aufgelistet. Praktisch, oder?«
Wieder nickte Grace nur. »Mhm.« Sie schaute noch einmal zu ihrem Vater, aber der schien immer noch in seinen Laptop vertieft zu sein. Seltsam, denn normalerweise hielt er es bei anderen für schlechte Manieren, so auf Technikspielzeug fixiert zu sein. Offenbar galten für ihn andere Regeln.
»Sprich: Wann immer du willst, Grace, kannst du einfach online ein paar Kurse für den Herbst aussuchen.«
»Cool.« Grace zwang sich zu einem Lächeln. »Ich leg mich jetzt mal ab.«
»Gute Nacht, Süße.« Ihre Mutter warf ihrem Vater einen Blick zu, als wäre auch ihr aufgefallen, dass er sich seltsam benahm.
»Gute Nacht«, sagte Grace auf dem Weg aus dem Zimmer.
»Hast du getankt?«, fragte ihr Vater, ohne seinen Blick vom Laptop zu nehmen.
Grace erstarrte.
Mann, wie hatte sie das nur vergessen können? Dabei wollte sie heute Abend besonders vorsichtig sein. Sie sah zu, wie ihr Vater nach seinem Glas griff und langsam einen großen Schluck Wasser trank, während er sie ansah, als wisse er schon Bescheid. Aber wie konnte er es wissen? War sie so leicht zu durchschauen?
»Papa, ich war gerade eingestiegen, da rief Paige an«, sagte sie schnell. »Sie war völlig aufgelöst und brauchte jemanden zum Reden. Na ja, und da habe ich das komplett vergessen. Ich fahre schnell noch mal los, ja?«
»Nein.« Er schüttelte missbilligend den Kopf, erhob sich dann langsam und ging forsch zur Tür.
»Es tut mir leid, aber …«
»Schon