Оскар Уайльд

Weihnachtsgeschichten, Märchen & Sagen (Über 100 Titel in einem Buch - Illustrierte Ausgabe)


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gezeigt und nicht herumgeführt wurde, sich nicht in einer Menagerie befinde und nicht beim Schlächter geschlachtet werde; es sei weder ein Pferd, noch ein Esel, noch eine Kuh, noch ein Ochs, noch ein Tiger, noch ein Hund, noch ein Schwein, noch eine Katze, noch ein Bär. Bei jeder neuen Frage, die ihm gestellt wurde, brach Scrooges Neffe von neuem in ein Gelächter aus und konnte gar nicht wieder aufhören, so daß er vom Sofa aufstehen und mit den Füßen stampfen mußte. Endlich rief die dicke Schwester, in ein ebenso unauslöschliches Gelächter verfallend: »Ich habe es gefunden, ich weiß es, Fred, ich weiß es.«

      »Was ist es?« rief Fred.

      »Es ist Onkel Scro-o-o-o-ge!«

      Und sicherlich, der war es auch. Überraschung war das allgemeine Gefühl, obgleich einige meinten, die Frage: Ist es ein Bär? hätte müssen durch »Ja« beantwortet werden, denn eine verneinende Antwort sei schon genügend gewesen, um ihre Gedanken von Scrooge abzulenken, selbst wenn sie auf der Spur daraufhin gewesen wären.

      »Nun, er ist uns ein Born des Vergnügens gewesen«, sagte Fritz, »und so wäre es undankbar, nicht auf seine Gesundheit zu trinken. Da haben wir auch ein Glas Glühwein zur Hand. Also auf Onkel Scrooge!«

      »Schön, auf Onkel Scrooge!«

      »Eine fröhliche Weihnacht und ein glückliches Neujahr dem alten Herrn, wie er auch sei!« sagte Scrooges Neffe. »Er wollte das zwar nicht von mir annehmen, aber er möge es doch haben. Also, Onkel Scrooge, sollst leben!« Onkel Scrooge war, ohne es zu merken, so fröhlich und aufgeräumt geworden, daß er der von seiner Gegenwart nichts ahnenden Gesellschaft ihr Hoch erwidert und ihr mit einer allerdings unvernehmbaren Rede gedankt haben würde, wenn der Geist ihm Zeit gelassen hätte. Aber alles verschwand in dem Hauche der letzten Worte des Neffen, und er und der Geist waren wieder auf Wanderschaft. Sie sahen viel und schritten weit umher und besuchten manches Heim. Aber immer verbreiteten sie Glück. Der Geist stand neben Kranken, und sie wurden voll freudiger Zuversicht; er trat in ferne Länder, und die Menschen träumten von der Heimat; er trat zu solchen, die mit dem Leben rangen, und sie wurden geduldig; er trat zu den Armen, und sie empfanden sich als reich. Im Armenhause und im Spital, im Kerker und in jedem Zufluchtsorte des Jammers, wo der Mensch in seiner kleinen ärmlichen Größe dem Geiste die Tür verschlossen hatte, spendete er seinen Segen und lehrte Scrooge seine Weisheit.

      Es war eine lange Nacht, wenn es nur eine Nacht war; aber Scrooge hatte seine Zweifel daran; denn die Weihnachtsfeiertage schienen in den Zeitraum, den sie miteinander zubrachten, zusammengedrängt zu sein. Es war auch seltsam, daß, während Scrooge äußerlich ganz unverändert blieb, der Geist ersichtlich alterte. Scrooge hatte diese Veränderung bemerkt, sprach aber nie davon, bis sie von einer Kinderweihnachtsgesellschaft schieden, wo er bemerkte, daß des Geistes Haar ergraut war.

      »Ist das Leben der Geister so kurz?« fragte Scrooge.

      »Mein Leben auf dieser Erde ist sehr kurz«, antwortete der Geist, »es endet noch heute nacht.«

      »Heute nacht noch!« rief Scrooge.

      »Heute um Mitternacht. Horch, die Stunde naht.«

      Die Glocke schlug drei Viertel zwölf.

      »Verzeih es mir, wenn ich nicht recht tue zu fragen«, sagte jetzt Scrooge, scharf des Geistes Gewand betrachtend, »aber ich sehe etwas Seltsames, was nicht zu dir gehört, unter deinem Mantel hervorlugen. Ist es ein Fuß oder eine Klaue?«

      »Nach dem wenigen Fleisch, was sich daran befindet, könnte es Wohl eine Klaue sein«, gab der Geist betrübt zur Antwort.

      »Sieh hier.«

      In den weiten Falten seines Gewandes wurden jetzt zwei Kinder sichtbar, elend abgemagert, erbarmungswürdig. Sie knieten vor ihm nieder und klammerten sich fest an den Saum seines Gewandes.

      »O Mensch, schau hier. Schau hier, schau hier!« rief der Geist.

      Es war ein Junge und ein Mädchen. Gelb, krank, zerlumpt und mit scheuem, bösen Blick; aber doch demütig. Wo die Schönheit der Jugend ihre Züge hätte füllen und mit ihren heitersten Farben schmücken sollen, hatte eine verschrumpfte, abgelebte Hand, gleich der des Alters, sie berührt und kränkeln gemacht. Wo Engel hätten thronen dürfen, harrten Teufel mit grimmiger, drohender Miene. Keine Änderung, keine Entwertung der Menschheit in allen Geheimnissen der Schöpfung hat so schreckliche und grauenhafte Ungeheuer vorzuweisen.

      Scrooge prallte entsetzt zurück. Weil aber der Geist sie ihm in dieser Weise gezeigt hatte, versuchte er zu sagen, es wären schöne Kinder; aber die Worte erstarben ihm selbst im Munde, als wollten sie nicht teilhaben an einer so ungeheuerlichen Lüge.

      »Geist, sind das deine Kinder?« Scrooge vermochte nichts weiter zu fragen.

      »Es sind des Menschen Kinder«, sagte der Geist, auf sie herniederschauend. »Und sie klammern sich an mich, ihre Väter anklagend. Dieses Mädchen ist die Unwissenheit. Dieser Knabe ist die Not. Präge sie dir beide gut ein, vor allem aber diesen Knaben; denn auf seiner Stirn seh’ ich geschrieben, was die verhängnisvolle Folge sein wird, wenn die Schrift nicht verlöscht wird. Leugnet es nur«, rief der Geist, seine Hand nach der Stadt erhebend, »verleumdet die, die auch darauf hinweisen! Gebt es zu um eurer Privatinteressen willen und macht es noch schlimmer! Und erwartet das Ende!«

      »Haben sie keine Stütze, keine Zufluchtsstätte?« rief Scrooge.

      »Gibt es keine Gefängnisse?« sagte der Geist, jetzt zu guter Letzt, Scrooges eigene Worte gegen ihn gebrauchend. »Gibt es keine Armenhäuser?«

      Die Glocke schlug zwölf.

      Scrooge schaute nach dem Geist um, aber er war verschwunden. Als der letzte Schlag verklungen war, erinnerte er sich an die Prophezeiung des alten Jakob Marley, und als er den Blick erhob, sah er ein grauenvolles, tief verhülltes Gespenst sich ihm nahen, wie ein Nebel auf dem Boden daherwallt.

      Viertes Kapitel.

       Der letzte der drei Geister

       Inhaltsverzeichnis

      Die Erscheinung schwebte langsam, feierlich und schweigend auf ihn zu. Als sie sich ihm nahte, fiel Scrooge auf die Knie; denn selbst die Luft, durch die sich der Geist bewegte, schien geheimnisvolles Grauen zu erwecken. –

      Die Erscheinung war in einen schwarzen, weiten Mantel gehüllt, durch den nichts von ihr sichtbar wurde, als eine ausgestreckte Hand. Wäre diese nicht gewesen, so würde es schwer gefallen sein, die Gestalt von der Nacht zu trennen, die sie umwob.

      Als sie neben ihm stand, spürte er, daß sie groß und mächtig war und daß ihr geheimnisvolles Dasein ihn mit Furcht, die ans Gefühl des Erhabenen grenzte, erfüllte. Er erkannte nicht mehr; denn der Geist sprach und rührte sich nicht.

      »Habe ich vor mir den Geist der künftigen Weihnachten?« fragte Scrooge.

      Der Geist antwortete nicht, sondern deutete mit der Hand auf die Erde.

      »Du willst mir die Schatten der Dinge dartun, die noch nicht erfolgt sind«, fuhr Scrooge fort. »Willst du das, Geist?«

      Die Spitze der verhüllten Erscheinung legte sich für einen Augenblick in Falten, als ob der Geist sein Haupt neigte; das war die einzige Antwort, die Scrooge empfing.

      Obwohl er doch ziemlich an gespenstische Gesellschaft gewöhnt war, graute es Scrooge doch vor der stummen Erscheinung so sehr, daß seine Knie wankten und er kaum mehr zu stehen vermochte, als er sich anschickte, ihr zu folgen. Der Geist hielt für einen Augenblick an, als bemerkte er seine Furcht und wollte ihm Zeit lassen, sich zu beruhigen.

      Aber Scrooge erging es dadurch noch schlechter. Ein leeres unbestimmtes Grausen durchzitterte ihn bei dem Gedanken, daß sich hinter diesem schwarzen Schleier gespenstische Augen fest auf ihn hefteten, während er, wiewohl er seine Augen heftig anstrengte, doch nichts sehen konnte als eine gespenstische Hand und einen großen, dunklen faltigen Mantel.

      »Geist der Zukunft!« rief er, »ich fürchte dich