Оскар Уайльд

Weihnachtsgeschichten, Märchen & Sagen (Über 100 Titel in einem Buch - Illustrierte Ausgabe)


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zu Hause, alter Knabe! Willkommen, lieber Freund!«

      Gerade als dies Ziel erreicht war, kochte der Kessel, vollständig besiegt, über und wurde schnell vom Feuer genommen. Dann lief Mrs. Peerybingle nach der Tür, und bei dem Gerassel von Wagenrädern, dem Stampfen eines Pferdes, dem Rufen eines Mannes, dem Drauflosstürmen eines aufgeschreckten Hundes und dem ebenso überraschenden wie geheimnisvollen Erscheinen eines Wickelkindes wußte sie bald gar nicht mehr, wo ihr der Kopf stand. –

      Woher das Wickelkind kam oder wo Mrs. Peerybingle es nur so im Handumdrehen herbekommen, das kann ich beim besten Willen nicht erzählen. Jedenfalls aber lag ein lebendiges Wickelkind in Mrs. Peerybingles Armen, und sie schien sogar glücklich und stolz darauf zu sein, als sie von der robusten Gestalt eines Mannes sanft ans Feuer gezogen wurde, der viel größer und viel älter als sie war; er mußte sich tief herabbücken, um sie zu küssen. Aber es war auch der Mühe wert. Sogar für einen Mann von sechs Fuß sechs Zoll lohnte es sich, ja, wäre er noch obendrein mit Kreuzschmerzen behaftet gewesen!

      »Herr, mein Gott!« sagte Mrs. Peerybingle. »Wie siehst du aus, bei dem Wetter!«

      Man konnte in der Tat nicht leugnen, daß er recht schlimm aussah, – der dicke Nebel hing in großen Tropfen an seinen Augenwimpern wie gefrorener Tau, und das Feuer und die Nässe ließen richtige Regenbogen in seinem Backenbart spielen.

      »Ja, siehst du, Dot«, sagte John langsam, während er einen Schal von seinem Halse wickelte und sich die Hände rieb: »ja, … Sommerwetter haben wir gerade nicht. Da ist’s also nicht zu verwundern.«

      »Ich bitte dich, John, nenne mich nicht Dot. Wirklich, der Name ist mir unleidlich«, sagte Mrs. Peerybingle und verzog das Mäulchen in einer Weise, die klar zeigte, daß sie ihn im Gegenteil sehr gern leiden mochte. »Na, und was bist du denn sonst?« erwiderte John, indem er lächelnd auf sie herabblickte und ihre Taille so sanft drückte, wie seine große Hand und sein starker Arm zuließen. »Was bist du denn sonst als ein Pünktchen und« – hier blickte er das Kind an – »ein Pünktchen und ein Klexchen … Aber nein, ich sag’s nicht, es würde mir doch nicht gelingen; aber ich war nahe daran, einen Witz zu machen; ich glaube, ich war noch nie so nahe daran.«

      Nach seiner Behauptung war er überhaupt oft nahe daran, etwas sehr Gescheites zu sagen, dieser unbeholfene, langsame, ehrliche John; dieser John mit seinem schwerfälligen Kopf und so hellem Herzen, mit so rauher Schale und so mildem Kern; außen so schläfrig und innen so lebhaft, so einfältig und doch so gut! O Mutter Natur, gib deinen Kindern die echte Poesie des Herzens, wie sie die Brust dieses armen Fuhrmanns in sich barg – denn nebenbei gesagt, er war nur ein Fuhrmann – und dann können sie gern in Prosa reden und ein prosaisches Leben führen, wir werden dich doch segnen für solche Gesellschaft!

      Es war ein Vergnügen, Dot zu sehen, so klein und so rundlich, mit ihrem Wickelkinde auf den Armen, ein richtiges Püppchen von einem Wickelkinde – wie sie mit koketter Nachdenklichkeit ins Feuer sah und ihr feines Köpfchen grade genug auf die Seite neigte und es in seltsamer, halb natürlicher, halb gezierter, aber ganz anmutiger Weise, gleichsam wie ein kleines Nest an die breite rauhe Gestalt des Fuhrmanns schmiegte. Es war ein Vergnügen zu sehen, wie er in seiner zärtlichen Unbeholfenheit sich bemühte, seine rauhe Stütze ihren leichten Bedürfnissen anzupassen und seine kräftige Männlichkeit zu einem nicht unangemessenen Stabe für ihre blühende Jugend zu machen. Es war ein Vergnügen zu sehen, wie Tilly Tolpatsch, die im Hintergrunde auf das Kind wartete, trotz ihrer angehenden fünfzehn Jahre sich die Gruppe ganz genau ansah und, Mund und Augen weit offen und den Kopf vorgestreckt, dastand – in einer Weise, als ob sie begierig Luft einatme. Nicht weniger erfreulich war es zu sehen, wie John, der Fuhrmann, auf einige Worte, die Dot bezüglich vorerwähnten Kindes sagte, seine Hand in demselben Augenblick zurückzog, als er es berühren wollte, als hätte er Furcht, es zu zerdrücken, und sich damit begnügte, es mit vorgeneigtem Oberkörper aus der Ferne zu betrachten, und zwar mit einer Mischung von Stolz und Verlegenheit – wie wohl ein liebenswürdiger Bullenbeißer dreingeschaut hätte, wenn er eines schönen Tages herausgefunden hätte, daß er Vater eines jungen Kanarienvogels sei.

      »Ist er nicht hübsch, John? Sieht er nicht reizend aus, wenn er schläft?«

      »Ganz reizend«, sagte John. »Ja, ja, ganz reizend. Er schläft wohl überhaupt die meiste Zeit, nicht wahr?«

      »Aber mein Gott, John! Bewahre, nein!«

      »Oh!« sagte John nachdenklich. – »Ich dachte, er hätte seine Augen meistens geschlossen. Halloh!«

      »Du lieber Gott, John, wie du einen erschreckst!«

      »Es ist nicht gut, daß er die Augen so verdreht!« sagte der erschreckte Fuhrmann. »Nicht wahr? Sieh, wie er mit beiden zugleich blinzelt! Und sieh nur den kleinen Mund an! Wie er schnappt, – gerade wie ein Goldfisch!«

      »Du verdienst garnicht, Vater zu sein, durchaus nicht«, sagte Dot mit der ganzen Würde einer erfahrenen Matrone. »Aber wie solltest du auch wissen, John, wieviel kleine Schmerzen so ein Kindchen leiden muß! Du weißt nicht einmal ihren Namen, du dummer Mann!«

      Und nachdem sie das Kind auf den linken Arm genommen und ihm als eine Art Herzstärkung den Rücken geklopft hatte, zupfte sie lachend ihren Mann am Ohr.

      »Nein«, sagte John, indem er seinen Überrock auszog. »Du hast Recht, Dot, ich verstehe mich nicht besonders auf dergleichen. Ich weiß nur, daß ich heut abend tüchtig mit dem Wind habe kämpfen müssen. Er kam von Nordost gerade in den Wagen herein, auf dem ganzen Heimweg.«

      »Ach ja, mein armer, guter Mann!« rief Mrs. Peerybingle und wurde sofort außerordentlich beweglich. »Da, nimm den kostbaren Schatz, Tilly, während ich etwas Nützliches tue. Du lieber Gott, ich glaube, ich könnt’ ihn schier totküssen! Kusch dich, gutes Tier. Kusch dich, Boxer! Erst sollst du deinen Tee haben, John, und dann will ich dir bei den Paketen helfen, wie eine fleißige Biene: ›Wie das kleine Bienchen‹ – und so weiter: du weißt ja, John. Hast du je ›Wie das kleine Bienchen‹ gelernt, John, als du in die Schule gingst?«

      »Nicht alle Verse«, antwortete John. »Ich war einmal sehr nahe daran, sie alle zu lernen. Aber ich hätte es doch nur verdorben.«

      »Ha, ha, ha!« lachte Dot. Es war das lustigste Lachen von der Welt. »Was für ein guter, lieber, alter Dummkopf du doch bist, John!«

      Ohne auf diese Behauptung irgend etwas einzuwenden, ging John hinaus, um nach dem Jungen mit der Laterne zu sehen, die wie ein Irrlicht vor Tür und Fenster hin und her hüpfte, ob er auch ordentlich für das Pferd sorge – und dieses Pferd war dicker und fetter, als ihr glauben würdet, wenn ich euch seinen Umfang angäbe, und so alt, daß sein Geburtstag sich in der grauen, dunklen Vorzeit verlor. Boxer, welcher wußte, daß die ganze Familie auf seine Aufmerksamkeit Anspruch hatte, und diese unparteiisch unter die einzelnen Mitglieder derselben verteilen wollte, stürmte überall beunruhigend ein und aus – bald bellte er rund um das Pferd herum, während dieses an der Stalltür gestriegelt wurde, bald stellte er sich, als wolle er sich wie toll auf seine Herrin stürzen, und machte dann plötzlich in ergötzlicher Weise halt, dann wieder der Tilly Tolpatsch, die auf einem Schemel am Feuer saß, einen Schrei entlockte, indem er ihr mit seiner feuchten Schnauze unvermutet im Gesicht herumfuchtelte; bald ein aufdringliches Interesse für das Wickelkind zeigte; bald rund um den Herd ging und sich niederlegte, als wolle er sich für die Nacht niederlassen; bald wieder aufstand und sein bißchen Schwanz in die Nacht hinaustrug, als habe er sich gerade eines Stelldicheins erinnert, und fort war er im raschen Trabe, um es nicht zu versäumen.

      »Da, da ist der Tee, die Kanne steht auf dem Herdrand«, sagte Dot mit der ernsten Geschäftigkeit eines Kindes, das Hausfrau spielt. »Und da ist der kalte Schinken und da Butter und da Brot und all das andere! Hier ist ein Waschkorb für die kleinen Pakete, John, wenn du welche hast – aber wo bist du denn, John? Tu, was du tust, aber laß das liebe Kind nicht auf den Rost fallen, Tilly!«

      Es muß hier bemerkt werden, daß Fräulein Tolpatsch trotz des Protestes, den sie gegen diese Möglichkeit einlegte, ein seltenes und ganz überraschendes Talent dafür besaß, das Wickelkind in allerlei Gefahren zu bringen, und mehr als einmal sein junges Leben mit einer nur ihr eigentümlichen Kaltblütigkeit