Alexander von Humboldt

Kosmos


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den horizontalen Micrometer-Faden bald auf die Spitze des Schößlings einer Bambusa, bald auf die des so schnell sich entwickelnden Blüthenstengels einer amerikanischen Aloe (Agave americana) richtete: genau wie der Astronom den culminirenden Stern auf das Fadenkreuz setzt. In dem Gesammtleben der physischen Natur, der organischen wie der siderischen, sind an Bewegung zugleich das Sein, die Erhaltung und das Werden geknüpft.

      Das Aufbrechen der Milchstraße, dessen ich oben erwähnte, bedarf hier noch einer besonderen Erläuterung. Wilhelm Herschel, der sichere und bewundernswürdige Führer in diesen Welträumen, hat durch seine Stern-Aichungen gefunden, daß die telescopische Breite der Milchstraße eine sechs bis sieben Grad größere Ausdehnung hat, als unsre Sternkarten und der dem unbewaffneten Auge sichtbare Sternschimmer verkündigen Sir William Herschel in den Philos. Transact. for 1817 P. II. p. 328.. Die zwei glänzenden Knoten, in welchen die beiden Zweige der Zone sich vereinigen: in der Gegend des Cepheus und der Cassiopea, wie um den Scorpion und Schützen, scheinen eine kräftige Anziehung auf die benachbarten Sterne auszuüben; zwischen β und γ des Schwans aber, in der glanzvollsten Region, zieht sich von 330000 Sternen, welche in 5° Breite gefunden werden, die eine Hälfte nach einer Seite, die andere nach der entgegengesetzten hin. Hier vermuthet Herschel den Aufbruch der Schicht Arago im Annuaire pour 1842 p. 459.. Die Zahl der unterscheidbaren, durch keinen Nebel unterbrochenen, telescopischen Sterne der Milchstraße wird auf 18 Millionen geschätzt. Um die Größe dieser Zahl, ich sage nicht zu fassen, aber mit etwas analogem zu vergleichen, erinnere ich, daß von erster bis sechster Größe am ganzen Himmel nur etwa 8000 Sterne mit bloßen Augen gesehen werden. In dem unfruchtbaren Erstaunen, das Zahl-und Raumgrößen ohne Beziehung auf die geistige Natur oder das Empfindungsvermögen des Menschen erregen, begegnen sich übrigens die Extreme des Räumlichen, die Weltkörper mit dem kleinsten Thierleben. Ein Cubikzoll des Polirschiefers von Bilin enthält, nach Ehrenberg, 40000 Millionen von kieselartigen Panzern der Gallionellen.

      Der Milchstraße der Sterne, welcher nach Argelander’s scharfsinniger Bemerkung überhaupt die helleren Sterne des Firmaments merkwürdig genähert erscheinen, steht beinahe rechtwinklig eine Milchstraße von Nebelflecken entgegen. Die erstere bildet nach Sir John Herschel’s Ansichten einen Ring: einen freistehenden, von der linsenförmigen Sterneninsel etwas fernen Gürtel, ähnlich dem Ring des Saturn. Unser Planetensystem liegt excentrisch, der Gegend des Kreuzes näher als dem diametral gegenüberliegenden Punkte, der Cassiopea Sir John Herschel in einem Briefe aus Feldhuysen vom 13 Januar 1836; Nicholl, Archit. of the Heavens 1838 p. 22. (S. auch einzelne Andeutungen von Sir William Herschel über den sternleeren Raum, der uns in großem Abstande von der Milchstraße trennt, in den Philos. Transact. for 1817 P. II. p. 328.). In einem von Messier 1771 entdeckten, aber unvollkommen gesehenen Nebelflecke scheint das Bild unserer Sternschicht und des getheilten Ringes unsrer Milchstraße mit wundervoller Aehnlichkeit gleichsam abgespiegelt Sir John Herschel, Astron. § 624; derselbe in den Observations of Nebulae and Clusters of Stars (Philos. Transact. for the year 1833 P. II. p. 479 fig. 25): »we have here a brother System bearing a real physical resemblance and strong analogy of structure of our own.«. Die Milchstraße der Nebelflecke gehört nicht unserer Sternschicht selbst an; sie umgiebt dieselbe, ohne physischen Zusammenhang mit ihr, in großer Entfernung; und zieht sich hin, fast in der Gestalt eines größten Kreises, durch die dichten Nebel der Jungfrau (besonders am nördlichen Flügel), durch das Haupthaar der Berenice, den großen Bären, den Gürtel der Andromeda und den nördlichen Fisch. Sie durchschneidet wahrscheinlich in der Cassiopea die Milchstraße der Sterne: und verbindet ihre sternarmen, durch haufenbildende Kraft verödeten Pole Sir William Herschel in den Philos. Transact. for 185 P. I. p. 257; Sir John Herschel, Astr. § 616. (»The nebulous region of the heavens forms a nebulous milky way, composed of distinct nebulae as the other of Stars.« Derselbe in einem Briefe an mich vom März 1829.) da, wo die Sternschicht räumlich die mindere Dicke hat.

      Es folgt aus diesen Betrachtungen, daß, während unser Sternhaufe in seinen auslaufenden Aesten Spuren großer, im Laufe der Zeit vorgefallener Umbildungen an sich trägt und; durch secundäre Anziehungspunkte, sich aufzulösen und zu zersetzen strebt; derselbe von zwei Ringen: einem sehr fernen, der Nebel, und einem näheren, der Sterne, umgeben wird. Dieser letztere Ring (unsere Milchstraße) ist ein Gemisch von nebellosen Sternen, im Durchschnitte von zehnter bis eilfter Größe John Herschel, Astron. § 585., einzeln aber betrachtet sehr verschiedenartiger Größe, während isolirte Sternhaufen (Sternschwärme) fast immer den Charakter der Gleichartigkeit haben.

      Ueberall wo mit mächtigen, raumdurchdringenden Fernröhren das Himmelsgewölbe durchforscht ist, werden Sterne, sei es auch nur telescopische 20ter bis 24ter Ordnung, oder leuchtende Nebel gesehen. Ein Theil dieser Nebel würde wahrscheinlich für noch kräftigere optische Werkzeuge sich in Sterne auflösen. Unsere Netzhaut erhält den Eindruck einzelner oder sehr zusammengedrängter Lichtpunkte: woraus, wie Arago neuerlichst gezeigt hat, ganz verschiedene photometrische Verhältnisse der Lichtempfindung Arago im Annuaire du Bureau des Longit. pour 1842 p. 282–285, 409–411 und 439–442. entstehen. Der kosmische Nebel: gestaltet oder formlos, allgemein verbreitet, durch Verdichtung Wärme erzeugend; modificirt wahrscheinlich die Durchsichtigkeit des Weltraums, und vermindert die gleichartige Intensität der Helligkeit, welche nach Halley und Olbers entstehen müßte, wenn jeder Punkt des Himmelsgewölbes, der Tiefe nach, von einer endlosen Reihe von Sternen bedeckt wäre Olbers über die Durchsichtigkeit des Weltraums in Bode’s astron. Jahrbuch für das J. 1826 S. 110–121.. Die Annahme einer solchen Bedeckung widerspricht der Beobachtung. Diese zeigt große ganz sternleere Regionen, Oeffnungen im Himmel, wie Wilhelm Herschel sie nennt: eine im Scorpion, vier Grad breit, eine andere in der Lende des Schlangenträgers. In der Nähe beider, nahe an ihrem Rande, befinden sich auflösliche Nebelflecke. Der, welcher am westlichen Rande der Oeffnung im Scorpion steht, ist einer der reichsten und zusammengedrängtesten Haufen kleiner Sterne, welche den Himmel zieren. Auch schreibt Herschel der Anziehung und haufenbildenden Kraft dieser Randgruppen »An opening in the heavens«, William Herschel in den Philos. Transact. for 1785 Vol. LXXV. P. I. p. 256. S. le Français Lalande in der Connaiss. des tems pour l’an VIII p. 383; Arago im Annuaire 1842 p. 425. die Oeffnungen selbst als sternleere Regionen zu. »Es sind Theile unserer Sternschicht«, sagt er in der schönen Lebendigkeit seines Styls, »die bereits große Verwüstung von der Zeit erlitten haben«. Wenn man sich die hinter einander liegenden telescopischen Sterne wie einen Sternenteppich denkt, der das ganze scheinbare Himmelsgewölbe bedeckt, so sind, glaube ich, jene sternleeren Stellen des Scorpions und des Schlangenträgers wie Röhren zu betrachten, durch die wir in den fernsten Weltraum blicken. Die Schichten des Teppichs sind unterbrochen: andere Sterne mögen auch da vorliegen, aber sie sind unerreichbar für unsre Werkzeuge. Der Anblick feuriger Meteore hatte die Alten ebenfalls auf die Idee von Spalten und Rissen (chasmata) in der Himmelsdecke geleitet. Diese Spalten wurden aber nur als vorübergehend betrachtet. Statt dunkel zu sein, waren sie erleuchtet und feurig: wegen des hinterliegenden, durchscheinenden, entzündeten Aethers Aristot. Meteor.II. 5, 1; Seneca, Natur. Quaest. I. 14, 2. »Coelum discessisse« in Cic. de Divin. I, 43.. Derham und selbst Huygens schienen nicht abgeneigt, das milde Licht der Nebelflecke auf eine ähnliche Art zu erklären Arago im Annuaire pour 1842 p. 429..

      Wenn man die, im Durchschnitt uns gewiß näheren Sterne erster Größe mit den nebellosen telescopischen, wenn man die Nebelsterne mit ganz unauflöslichen Nebelflecken, z. B. mit dem der Andromeda, oder gar mit den sogenannten planetarischen Nebeln vergleicht; so drängt sich uns bei Betrachtung so verschiedener Ferne, wie in die Schrankenlosigkeit des Raums versenkt, eine Thatsache auf, welche die Welt der Erscheinungen und das, was ihr ursachlich, als Realität, zum Grunde liegt, abhängig von der Fortpflanzung des Lichtes zeigt. Die Geschwindigkeit dieser Fortpflanzung ist nach Struve’s neuesten Untersuchungen 41518 geographische Meilen in einer Secunde, also fast eine Million mal größer als die Geschwindigkeit des Schalles. Nach dem, was wir durch die Messungen von Maclear, Bessel und Struve von den Parallaxen und Entfernungen dreier Fixsterne sehr ungleicher Größe (α Centaur, 61 Schwan, α Leier) wissen, bedarf ein Lichtstrahl