ja auch kaum zu Gesicht bekommen. Leider musste ich erkennen, dass ich mich in dieser Hinsicht geirrt habe.« Sie senkte den Kopf und blickte zu Boden.
Einen Moment lang fragte sich Daniel, ob sie auf diese Weise Tränen vor ihm verbergen wollte.
»Haben Sie Kontakt zu Ihrem Mann?«, fragte er behutsam.
»Hin und wieder ruft Heiner an. Glücklicherweise sind wir im Guten auseinandergegangen.«
»Spricht er dann auch mit seinem Sohn?«, forschte Daniel weiter.
»Natürlich. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Theo diese Gespräche so guttun. Vielmehr macht er hinterher immer den Eindruck, als ob die Wunde aufs Neue aufgerissen wäre.« Unwillig schüttelte Ramona den Kopf. »Ich verstehe nicht, wieso das immer noch so schlimm ist. Schließlich ist Theo so gut wie erwachsen. In seinem Alter bin ich von zu Hause ausgezogen und in eine andere Stadt gegangen, um Medizin zu studieren.«
»Das liegt möglicherweise daran, dass Ihre Entscheidung, sich von den Eltern zu lösen, freiwillig war. Was man bei Theo ja nicht gerade behaupten kann«, gab Dr. Norden zu bedenken. »Wir Menschen sind einfach unterschiedlich. Die einen brauchen mehr Zeit, um sich zu lösen und erwachsen zu werden und die anderen weniger.«
Dr. Ramona Miller sah den Kollegen einen Moment erstaunt an.
»Sie haben recht«, gab sie dann unumwunden zu. »Von dieser Warte aus habe ich die Sache noch gar nicht betrachtet.« Wieder senkte sie den Kopf und starrte auf ihre weißen Schuhspitzen. »Ehrlich gesagt hatte ich schon öfter das Gefühl, dass diese Trennung ein Fehler war. Nicht nur Theo, auch ich fühle mich manchmal müde und überfordert, so ganz ohne Rückhalt. Manchmal denke ich, dass das Wissen darum, dass da irgendwo auf der Welt jemand ist, doch guttun würde. So weit weg Heiner auch sein mag.« Sie machte eine Pause und seufzte schließlich tief. »Aber nun ist es nicht mehr zu ändern.«
Daniel Norden wollte noch etwas antworten, als Jenny Behnisch in diesem Augenblick eilig wie immer um die Ecke bog.
»Ach, Daniel, da bist du ja! Tut mir leid, dass ich mal wieder zu spät bin. Aber wir hatten da einen komplizierten medizinischen Fall.« Sie lächelte entschuldigend und begrüßte die Kollegin Miller.
»Gar kein Problem«, winkte Dr. Norden gut gelaunt ab. »Dafür hatte ich Gelegenheit, mich mit deiner reizenden, neuen Chirurgin zu unterhalten.«
Vor Freude färbten sich Ramona Millers Wangen zartrosa.
»Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite«, bedankte sie sich und nickte ihrer Chefin und Daniel zu, ehe sie sich auf den Weg machte zu ihrer Patientin. Agnes Kunzelmann hatte sich bei einem Unfall das Gesicht zerschnitten. Unschöne Narben waren geblieben, die Dr. Miller entfernt hatte. Bevor die überglückliche Patientin entlassen werden konnte, stand eine Abschlussuntersuchung an.
*
»Kaffee? Tee?«, fragte Jenny, während sie Daniel in der Besucherecke ihres Büros einen Platz anbot.
»Sehr gerne Kaffee, nachdem heute schon das Mittagessen ausgefallen ist«, erwiderte er und machte es sich in einem der schicken Sessel bequem. Sein hungriger Blick ruhte auf der Schale mit frischem Gebäck, für die Jennys Assistentin Andrea genauso sorgte wie für die stets gefüllte Kaffeekanne.
»Mittagessen? Du bist entschieden zu verwöhnt«, lächelte Jenny. »Aber bitte, greif zu. Dafür sind die Leckereien da.« Sie beugte sich vor und studierte die Auswahl auf der Platte. »Das hier musst du probieren. Eine süße Sünde, aber köstlich.« Sie deutete auf ein ganz mit Schokolade umhülltes Gebäckstück, dem Daniel tatsächlich nicht widerstehen konnte.
»Hmmm, fantastisch. Aus welcher Konditorei stammt das?«, fragte er und leckte sich einen Schokokrümel aus dem Mundwinkel.
»Aus der Klinikküche«, gab Jenny sichtlich stolz zurück.
Daniel lachte.
»Überzeugt! Unter diesen Umständen werde ich sofort Patient bei dir.«
»Einverstanden. Bevor wir die Aufnahmeformalitäten erledigen, sagst du mir aber, warum du mich sprechen wolltest«, gab Jenny Behnisch zufrieden zurück.
Als Daniel daran dachte, verfinsterte sich seine Miene.
»Es geht um eine äußerst schwierige Angelegenheit«, erwiderte er unwillig. »Dazu muss ich weiter ausholen.«
»Nur zu. Ich habe etwas Zeit für dich eingeplant.«
»Schön! Danny hat eine etwas eigenwillige Patientin. Ihr Name ist Victoria Bernhardt.«
»Victoria Bernhardt«, wiederholte Jenny sinnend und nippte an ihrem Kaffee. »Der Name kommt mir bekannt vor.« Sie sah Daniel fragend an. »Kann es sein, dass ich in der Zeitung von ihr gelesen habe?«
»Entweder im Wirtschaftsteil oder in der Regenbogenpresse. Sie ist erfolgreiche Jungunternehmerin und lässt trotz ihres nicht mehr ganz jugendlichen Alters keine Party aus«, wusste Dr. Norden zu berichten. »Außerdem hat sie sich in den Kopf gesetzt, meinem Sohn den Kopf zu verdrehen und schreckt dabei vor keinem Mittel zurück.«
Es dauerte einen Moment, bis der Inhalt dieser Botschaft bei Jenny angekommen war.
»Moment mal. Du meinst, sie will Dannys Herz erobern?«, fragte sie dann ungläubig. »Ist das die Möglichkeit!«, lachte sie dann amüsiert auf. »Ich glaube, wir werden alt, mein Lieber. Früher warst du doch das Objekt der Begierde.«
»Darauf kann ich gerne verzichten«, gab Daniel zurück. »Auch, dass sich eine bildschöne, makellose Frau für mich unters Messer legen wollte. Danny ist entsetzt.«
»Das kann ich mir lebhaft vorstellen«, teilte Jenny seine Bedenken. »Trotzdem verstehe ich nicht ganz, was ich damit zu tun habe?«
»Victoria hat sich in den Kopf gesetzt, sich von deiner neuen Schönheitschirurgin Dr. Miller operieren zu lassen. Und besteht darauf, dass Danny die Nachsorge übernimmt.«
Langsam aber sicher ging Jenny Behnisch ein Licht auf.
»Damit sie in dieser Zeit in aller Ruhe sein Herz erobern kann«, durchschaute sie den Plan der Jungunternehmerin sofort. »Solche Geschichten sind kein Einzelfall. Ich habe schon öfter erlebt, welchen Wahnsinn manche Frauen auf sich nehmen, um die Liebe eines Mannes zu gewinnen.« Missbilligend schüttelte sie den Kopf. »Habt ihr nicht versucht, ihr diesen Unsinn auszureden?«
»Natürlich«, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen. »Reaktion darauf war die Drohung, sich dann eben in einer nicht so renommierten Klinik von irgendeinem Scharlatan operieren zu lassen.«
»Diese Verantwortung will Danny natürlich nicht übernehmen«, nickte Dr. Behnisch verständig.
Seufzend griff Daniel nach einem weiteren Gebäckstück und musterte es eingehend. Es handelte sich um eine winzige Apfeltasche mit köstlicher Füllung, die förmlich auf der Zunge zerschmolz.
»Das ist der Grund meines Besuchs. Ich möchte dich bitten, ihr dieses Vorhaben auszureden.«
»Lass mich nachdenken.« Jenny lehnte sich zurück und rief sich die Bilder in Erinnerung, die sie von Victoria Bernhardt gesehen hatte. »Wenn ich mich recht erinnere, ist diese Frau ungesund schlank. Fast magersüchtig.«
»Ich denke wirklich, dass sie zu schwach für so einen Eingriff sein könnte. Nicht nur ihr Kreislauf ist in Gefahr«, pflichtete Dr. Norden seiner langjährigen Freundin bei. »Du weißt genauso gut wie ich, was bei so einem Eingriff noch alles passieren kann. Vor allen Dingen, wenn man sich in schlechter, körperlicher Verfassung unters Messer legt.«
»Und du glaubst, sie hört auf mich?«, fragte Jenny Behnisch skeptisch.
»Einen Versuch ist es allemal wert. Ich will Danny in dieser schwierigen Situation nicht im Stich lassen.« Die Mittagspause war vorbei und es wurde Zeit, in die Praxis zurückzukehren.
»Ich natürlich auch nicht«, versicherte Jenny, als sie sich an der Tür von Daniel verabschiedete. »Ich werde mein Bestes geben. Du kannst dich auf mich verlassen.«